Aktuell müssen Kinos weiterhin um angemessene Förderung auf Bundesebene ab dem kommenden Jahr bangen. Anlass genug, einen genauen Blick auf eine SPOT exklusiv vorliegende Studie zu werfen, die einen klaren Zusammenhang zwischen Investitionstätigkeit und positiver Besuchsentwicklung in den deutschen Kinos zeigt.
Ob sich der Erholungskurs des deutschen Kinomarktes in diesem Jahr wird fortsetzen können, muss sich erst noch zeigen. Das erste Quartal konnte nur knapp unterhalb jenes des Vorjahres abgeschlossen werden; Anfang April sorgte eine Hitzewelle dafür, dass der Rückstand zwischenzeitlich auf rund zehn Prozent anwuchs.
Klingt zunächst dramatisch, kam aber keineswegs unerwartet und ist primär auf erhebliche programmatische Lücken zurückzuführen, die die beiden letztjährigen Streiks in die Startlisten gerissen haben. Einzelne Titel wie „Dune: Part Two“, die ursprünglich für Herbst 2023 vorgesehen waren, stützten nun zwar das erste Quartal dieses Jahres (in diesem Fall wird dieser Tage sogar die Goldene Leinwand des HDF für drei Mio. deutsche Kinobesuche fällig), unter dem Strich kamen jedoch nicht genügend Tentpoles in die Kinos, als dass der Markt nahtlos an die positive Tendenz der Vorjahre hätte anknüpfen können.
Tatsächlich erwarten sowohl der HDF und AllScreens wie auch die GfK für 2024 rund 90 Mio. verkaufte Tickets. Hundertprozentig klar wurde dabei bislang allerdings nicht, ob man diese schon mit der Zählung von Comscore oder erst jener der FFA erreicht sehen will. Was einen erheblichen Unterschied macht: 2023 lag die Differenz zwischen diesen Werten bei fast zehn Prozent. Zumindest im Fall der GfK wird man aber von der FFA-Zählweise als Basis ausgehen müssen. Dann käme man bei einem für 2024 prognostizierten Besuchsminus von sechs Prozent heraus. Wer sich auf den Comscore-Wert bezieht, hofft hingegen auf ein Plus im Bereich von drei Prozent.
Dass weiteres Wachstum mit entsprechender programmatischer Versorgung kein Wunschdenken ist, zeigt aktuell das zuletzt gut versorgte Arthouse-Segment, wo über die vergangenen Monate hinweg diverse „Überperformer“ zu verzeichnen waren, zu denen ganz aktuell natürlich vor allem „The Zone of Interest“ mit seinen rund 770.000 Besuchen zählt.
Um kurz zu skizzieren, wie entschieden sich der deutsche Kinomarkt aus dem Pandemieloch herausgearbeitet hat: 2020 verzeichnete die FFA gerade einmal 38,1 Mio. Besuche; 2021 ging es mit 42,1 Mio. nur um etwas mehr als zehn Prozent nach oben; 2023 stand man wieder bei 95,7 Mio. verkauften Tickets – das waren 22,7 Prozent mehr als im Vorjahr; wenn auch noch 19,4 Prozent weniger als 2019. Also jenem Jahr, an dessen Ergebnisse man mittelfristig wenigstens wieder anzuknüpfen hofft. Nicht nur wochen- oder monatsweise, versteht sich – das ist schließlich längst gelungen, je nach Programm teils mit beeindruckenden Steigerungen.
„Im Sinne eines gesunden Gesamtmarktes muss dringend noch nachgebessert werden.“
Cineplex-Geschäftsführer Kim Ludolf Koch
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang natürlich: Wir sprechen von Durchschnittswerten. Auf die einzelnen Kinos heruntergebrochen, zeigt sich ein sehr heterogenes Bild. Vor allem zeigt sich, dass einzelne Standorte tatsächlich schon wieder an vorpandemische Zeiten anknüpfen können, während andere noch (teils deutlich) größere Lücken aufweisen.
Zu analysieren, welche Faktoren für diese Abweichungen ursächlich sind, ist elementar – und Cineplex hat im Rahmen einer internen Studie die (ohnehin naheliegende) These auf den Prüfstand gestellt, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen der Qualität des Angebotes und der Publikumsnachfrage; eine klare Beziehung zwischen Investitionstätigkeit und (überdurchschnittlich) positiver Besuchsentwicklung gibt. Wichtig ist in diesem Kontext, dass der Verbund Cineplex Deutschland mit den (zum Zeitpunkt der Studie) 26 Familienunternehmen und 90 Kinos in 13 von 16 Bundesländern aktiv ist und mit seinen Standorten sämtliche Ortsgrößen abdeckt; der bundesweite Marktanteil der Cineplex-Kinos lag zuletzt bei gut 16 Prozent.
Konkret verglichen wurden Besuch und Ticketumsatz im Zeitraum 1. Januar bis 31. Juli für die Jahre 2019 und 2023; in die Betrachtung mit einbezogen wurden dabei jene 79 Häuser (mit insgesamt 519 Leinwänden), die in beiden Jahren regulären Spielbetrieb vorzuweisen hatten. Die Arbeitshypothese dabei lautete: Kinos, in deren Infrastruktur in den Jahren 2020 bis 2022 maßgeblich investiert werden konnte, haben sich bei Besuch und Ticketumsatz besser und schneller erholt als andere Standorte.
Tatsächlich stellte sich heraus: die Unterschiede sind frappierend. So konnten die 27 Cineplex-Kinos mit größeren Renovierungen bzw. Modernisierungen den Besuch im Analysezeitraum 2023 gegenüber 2019 um 2,5 Prozent steigern; während bei teilrenovierten Häusern eine Lücke von 8,9 Prozent klaffte – was zum Stichtag 31. Juli 2023 ziemlich genau dem Bundesdurchschnitt entsprach. Nicht renovierte Häuser hingegen lagen mit den Besuchszahlen aus 2023 um fast 31 Prozent unter dem Niveau des letzten Vorpandemiejahres.
Vergleich 2023/2019 (1. Januar bis 31. Juli)*
Typ | Häuser | Leinwände | Besuch | Ticketumsatz |
Renoviert | 27 | 200 | +2,5% | +24,1% |
Teilw. renoviert | 29 | 207 | -8,9% | +16,8% |
Nicht renoviert | 23 | 112 | -30,8% | -18,5% |
Summe Cineplex | 79 | 519 | -8,4% | +13,3% |
Bundesschnitt | – | – | -9,0% | +3,2% |
Die Entwicklung beim Ticketumsatz folgt diesem Muster im Prinzip. Zwar mussten aufgrund zwischenzeitlich enorm gestiegener Kosten (u.a. für Energie) nahezu alle Kinos für den Betrachtungszeitraum 2023 Anpassungen beim Ticketpreis vornehmen (also auch die nicht renovierten); Verbesserungen des Angebots in den für die Gäste sichtbaren Bereichen erlaubten aber mitunter etwas größere Schritte. Hinzu kommt der hohe 3D-Anteil in den ersten Monaten des Jahres 2023, der mit entsprechenden Aufpreisen verknüpft war. Deswegen reichte es bis Ende Juli vergangenen Jahres unter dem Strich zu einem Boxoffice-Plus gegenüber 2019 – wobei nicht renovierte Standorte an dieser Stelle ein gänzlich anderes Bild abgaben (siehe Tabelle).
Für Cineplex-Geschäftsführer und HDF-Hauptausschussmitglied Kim Ludolf Koch liegt der Fall klar: „Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Qualität des Angebotes und der Nachfrage des Publikums. Diese Erkenntnis mag zunächst nicht revolutionär wirken. Die Ergebnisse unserer Untersuchung – ergänzt um interne Detailbetrachtungen der Standorte – machen jedoch erstmals das Ausmaß deutlich, in dem hochwertige Ausstattung, neue Sitzkonzepte und moderne Projektions- und Tontechnik der Schlüssel dazu sind, die während der Pandemie verlorenen Besuchsschichten sukzessive wieder in die Kinos zu holen. Gleichzeitig hängt auch die Akzeptanz der Eintrittspreise daran, den Publikumsgeschmack bei Angebot und Ausstattung zu treffen.“
Die Kinos hätten dies natürlich erkannt, nicht umsonst gebe es eine eindrucksvolle Investitionsbereitschaft – die ohne Förderung allerdings sehr schnell an erhebliche Grenzen stoße, wie dies zuletzt auch eine im Herbst vergangenen Jahres vorgelegte FFA-Studie klar unterstrichen habe.
„Gerade Unternehmen, die während der Pandemie ihre Reserven aufgezehrt haben, müssen in die Lage versetzt werden, die erforderliche Investition zur Modernisierung ihrer Infrastruktur zu leisten. Denn nur dann kehrt das Publikum zurück und ist bereit, die auch durch starke Kostensteigerungen ausgelösten höheren Preise zu akzeptieren“, so Koch: „Eine Kulturpolitik, die den Wert der Filmtheater erkennt, muss also daran interessiert sein, mit flankierenden Programmen die Finanzierung zu unterstützen.“
Eines dieser Programme war das Zukunftsprogramm Kino, dessen Zukunft aktuell wiederum in den Sternen steht – zumal der Gesamttopf schon in diesem Jahr auf zehn Mio. Euro zusammengeschrumpft wurde. Eine Summe, die laut Informationen aus Branchenkreisen genau 20 Sekunden nach Antragsstart vollständig beantragt war.
So wichtig das Zukunftsprogramm für die Kinos auch war (bzw. in diesem Jahr noch ist), legt Koch an dieser Stelle aber noch einen Finger in die Wunde. Denn abgesehen von der in diesem Jahr evident zu niedrigen Ausstattung (aktuell sieht es nach SPOT-Informationen so aus, als könnten nur etwa 60 Prozent der vor Schließung des Portals eingegangenen Anträge positiv beschieden werden) und der ungewissen Zukunft des ZPK, adressierte nur das mit Ablauf des Jahres 2022 beendete Zukunftsprogramm II auch größere Häuser. „Die Begrenzung der Förderung des Zukunftsprogramms I unter anderem auf Kinos mit maximal sieben Leinwänden hat sich mir nie erschlossen“, so Koch. „Weder ist das gerecht, noch ist es im Sinne einer konsequenten Belebung des Marktes nach der Pandemie – denn immerhin entfielen rund 46 Prozent der Kinobesuche im Jahr 2023 auf Kinos mit acht oder mehr Leinwänden.“ Insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es auf Bundesebene momentan jenseits der FFA-Förderung kein Instrument gebe, das größere Kinos adressiere, müsse „an dieser Stelle im Sinne eines gesunden Gesamtmarktes dringend noch nachgebessert werden“, so der Cineplex-Geschäftsführer.
Nicht zuletzt läge in der Unterstützung – und damit im Großteil der Fälle erst Ermöglichung – von Investitionen in die Kinostruktur auch ein wesentlicher Schlüssel zur Stützung der FFA als künftig noch zentralerer Säule der Förderung auf Bundesebene. Denn mehr Besuch und mehr Ticketumsatz bedeutet natürlich direkt mehr Filmabgabe. Auch dies ein Argument, das die Politik auf den finalen Metern der Förderreform keinesfalls aus den Augen verlieren sollte. Die dort an Schlüsselstellen vorliegende Cineplex-Studie jedenfalls lässt keinen Zweifel an den Zusammenhängen.
Marc Mensch