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Sebastian Brose & Regina Kräh: „Diversität wird bei uns großgeschrieben“

Übermorgen, am 10. April, startet die 20. Jubiläumsausgabe des achtung berlin Filmfestival. Wir sprachen mit dem Leitungs-Duo Sebastian Brose und Regina Kräh über die Entwicklung des Festivals und die Lebendigkeit des Filmstandorts Berlin-Brandenburg.

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Sebastian Brose und Regina Kräh, die Festivalleitung des achtung berlin Filmfestivals (Credit: Moritz Hilker)

Ein Jubiläum steht ins Haus: 20 Jahre achtung berlin. Auf was sind Sie besonders stolz? Wie wird der Geburtstag mit dem Publikum gefeiert? 

Sebastian Brose & Regina Kräh: Wir sind sehr froh darüber, dass wir das achtung berlin Filmfestival fest etablieren konnten. Als zweitgrößtes universelles Filmfestival in Berlin erfreuen wir uns eines großen Zuspruch vom Fachpublikum aber auch vom Publikum. Unter anderem feiern wir das 20-jährige Jubiläum mit dem Filmprogramm „Für immer jung“. Das Jubiläumsprogramm, bestehend aus 15 ausgewählten Spiel- und Dokumentarfilmen, umfasst vom künstlerischen Debüt und mutigem Sozialdrama, über den Improvisationsfilm bis hin zum dokumentarischen Berlinfilm die wichtigsten Nuancen, Stilrichtungen und Talentfilme, die mit ihren innovativen Premieren das achtung berlin Filmfestival in den letzten 20 Jahren geprägt haben und so die einzigartige Bandbreite und programmatische Vielfalt des Festivals widerspiegeln.

Das Festival legt seinen Fokus auf junge deutsche Filme aus Berlin und Brandenburg. Wie präsentiert sich Ihnen der Nachwuchs in dieser Region?

Sebastian Brose & Regina Kräh: Berlin ist Deutschlands Filmstadt Nummer Eins, Berlin zieht nicht nur auf Grund der vielfältigen Produktionslandschaft sehr viele internationale Kreative an, sondern auch die hohe Anzahl von Ausbildungsstätten am Standort Berlin-Brandenburg erzeugen eine große Anziehungskraft. Dadurch erleben wir den Filmnachwuchs als außerordentlich mutig und divers, viele junge Filmschaffende aller Gewerke profitieren dabei von einer großen Freiheit was die Entwicklung und Umsetzung neuer Stoffe angeht. Sie sind sehr oft Trendsetter.

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„Milchzähne“ von Sophia Bösch, von Weydemann Bros, produziert, ist Eröffnungsfilm (Credit: Merav Maroody)

Wenn Sie auf die Produzentenlandschaft der Hauptstadtregion blicken: wie vital zeigt sie sich Ihnen? Gibt es neben den „Platzhirschen“, den Großen, auch genug junge Firmen? Können diese leicht Fuß fassen?

Sebastian Brose & Regina Kräh: Ja, gerade wir sehen viele junge Produktionsfirmen oder auch freie Produzent:innen, die bei uns zum ersten Mal auf einem Filmfestival aufschlagen. So waren wir, auch besonders in unseren ersten Jahren, für viele Talents ein „Probierfeld“, eine Art geschützter Raum. Zudem hat das Medienboard Berlin-Brandenburg als Förderinstitution u.a. die „Leuchtstoff“-Förderung zusammen mit dem rbb aufgebaut, die explizit Debütfilme und erste Koproduktionen der Filmhochschulabsolvent:innen fördert. Viele dieser Produktionen feierten ihre Berlin-Premiere dann bei uns. Spannend ist es auch, zu sehen, wie wir immer wieder junge Produktionsfirmen begleiten konnten – die auch uns und unser Profil prägten -, bis sie dann zur Berlinale und zu anderen internationalen Festivals eingeladen werden.

Was tut sich an den Ausbildungsstätten in der Hauptstadtregion, in erster Linie der dffb und Filmuni Babelsberg Konrad Wolf? Inwiefern stehen Sie hier mit Ihrem Festival im Austausch?

Sebastian Brose & Regina Kräh: Wir sind von Anbeginn in intensivem Kontakt mit den beiden staatlichen Filmhochschulen, aber auch mit der UdK, der filmArche oder der Beuth Hochschule und weiteren freien Filmschulen. Dieser Austausch ist uns sehr wichtig, um am Puls der Zeit zu bleiben. Wir waren zum Beispiel sehr glücklich, dass wir seinerzeit das Talent von Jakob Lass gesehen haben und als einziges Filmfestival seinen ersten Langfilm „Frontalwatte“ gezeigt haben. Aber auch Regisseur:innen wie Astrid Schult, Pola Beck, Süheyla Schwenk, Tom Lass, Ramon Zürcher, Laura Lackmann oder auch Produzent:innen wie Sol Bondy, Martin Heisler, Eva Kemme, Jamila Wenske oder Tara Biere waren mit ihren frühen Mittellangen Filmen oder Kurzfilmen bei uns und sind dann mit ihren Langfilmen auch wieder zurückgekommen. 

Das Geschlechterverhältnis zeigt sich ja sehr ausgeglichen, im aktuellen Spielfilmwettbewerb sind fast 50/50 der Filme von Männern und Frauen inszeniert; auch bei den Drehbüchern passt es in etwa. Welche Meinung vertreten Sie zur vieldiskutierten Geschlechterquote, die ja nicht nur auf Filmfestivals Thema ist, sondern auch bei Musikfestival etc.?

Sebastian Brose & Regina Kräh: Wir achten bereits seit vielen Jahren auf Geschlechtergerechtigkeit in unserer Kuration. Darüber hinaus ist es uns wichtig, diese Form der gleichberechtigten Sichtbarkeit auch bezüglich unterschiedlicher Perspektiven – sei es vor oder hinter der Kamera – zu berücksichtigen und auszudehnen. Mit anderen Worten: Diversität wird bei uns großgeschrieben. Wir versuchen auch in diesem Jahr diesem Themenkomplex innerhalb unserer Branchentage nachzugehen, es wird u.a. einige Panel in Zusammenarbeit mit WIFT Germany oder dem viet-deutschen Filmworkshop „Dreh’s um“ geben.

Was fällt Ihnen thematisch/künstlerisch bei der Auswahl Ihres Wettbewerbs im Spiel- und Dokumentarfilm auf?

Sebastian Brose & Regina Kräh: Wir sehen in diesem Jahr in den Spielfilmen große Spielfreude, Sorgfalt und Versiertheit in Themen und Umsetzung. Auffällig ist die Frage nach der eigenen Verortung, der moralischen Be- und Hinterfragung der eigenen Haltung, der Geschlechterrollen, der eigenen Identität und der Suche nach Zugehörigkeit. Im Dokumentarfilm finden wir ebenfalls die Suche nach der richtigen Lebensform und dem richtigen Ort – und dessen Verteidigung – als ein zentrales Thema. Insbesondere in Filmen, die Flucht, Migration oder Klimagerechtigkeit in den Fokus stellen.

Festival-Facts

Hat sich das Festival nach der Coronapandemie verändert? Wie ist die Besucherstruktur? Hat es sich gänzlich erholt? 

Sebastian Brose & Regina Kräh: Im letzten Jahr waren wir total überwältigt, weil wir mit den Besucher:innenzahlen wieder an die Vor-Coronazeit anknüpfen konnten. Als ausgewiesenes Präsenzfestival war es uns sehr wichtig, dass wir unsere Festivalausgaben 2020 und 2021 in den Herbst verschieben konnten. Obwohl diese beiden Jahrgänge sehr ernüchternd waren, haben wir gemerkt, dass es mehr als notwendig war, präsent zu bleiben. Somit konnten wir mit der Coronazeit einige Veränderungen angehen und sind eigentlich gestärkt daraus hervorgegangen. Einziger Wermutstropfen: Wir spüren, dass bei unseren Partner:innen und Sponsor:innen die Nachwirkungen der Coronazeit jetzt deutlich werden, die Auftragslage in der Filmbranche erlebt gerade einen leichten Rückgang.

Was funktioniert besonders gut? Was funktioniert vielleicht nicht mehr so gut? An welchen Stellschrauben mussten Sie drehen?

Sebastian Brose & Regina Kräh: Die finanzielle Lage ist wie bei vielen Filmfestivals, egal welcher Größe, auch bei uns angespannt. Wir müssen nachhaltig mit unserem Budget umgehen und achten darauf, nicht über unsere Verhältnisse zu leben. Das heißt im Konkreten, dass es uns nicht darum geht, jedes Jahr größer zu werden, sondern unser Profil zu schärfen und uns auf unseren Markenkern zu fokussieren. Was wir auch gemerkt haben, ist, dass der Bereich Social Media immer wichtiger wird und dass man auch als Kulturveranstaltung in der Ansprache des potentiellen Publikums auf der Höhe der Zeit bleiben muss. 

achtung berlin ist Mitglied der AG Filmfestival. Wie weit sind Sie mit der Arbeit, bessere Bedingungen für Filmfestival zu schaffen, gekommen?

Sebastian Brose & Regina Kräh: Wir finden, dass das Engagement der AG Filmfestival bereits sehr viel bewegen konnte, gerade in Hintergrundgesprächen auf politischer Ebene wurde schon einiges geleistet, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Filmfestivals mit Blick auf Kulturvermittlung, aber auch Stärkung von Demokratie, Austausch und Dialog zu stärken. Wir freuen uns sehr über den Sitz im Verwaltungsrat der FFA ab 2025 und hoffen, dass mit der Verbandsgründung jetzt im Sommer die AG Filmfestival noch wirkungsvoller in Erscheinung treten wird.

Sind Festivals darüber hinaus genügend in der FFG-Novellierung berücksichtigt?

Sebastian Brose & Regina Kräh: Wie bereits gesagt, freuen wir uns sehr über den Sitz im Verwaltungsrat der FFA, aber dies kann nur ein erster Schritt sein. Denn Filmfestivals sind ein wichtiger Akteur auch innerhalb der Filmwirtschaft und leisten einen großen Beitrag mit ihrer Arbeit als Distributor und Vermittler – und eben diese Funktion sollte anerkannt und im Fördersystem berücksichtigt werden.

Barbara Schuster