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REVIEW KINO: „The Zone of Interest“

Jonathan Glazers furiose und sehr lose Verfilmung des Romans von Martin Amis, der die Familie Höß bei ihrem Alltag unmittelbar neben dem Vernichtungslager Auschwitz beobachtet.

CREDITS:
O-Titel: The Zone of Interest; Land/Jahr: Großbritannien, Polen 2023; Laufzeit: 106 Minuten; Regie & Drehbuch: Jonathan Glazer; Besetzung: Sandra Hüller, Christian Friedel; Verleih: Leonine; Start: 29. Februar 2024

REVIEW:
Nichts wusste man von „The Zone of Interest“, als sich in Cannes am vierten Wettbewerbstag des 76. Festival de Cannes der Vorhang hob. Gewiss, eine Adaption von Martin Amis‘ gleichnamigen Skandalroman sollte es sein, dessen Provokation, eine Liebesgeschichte zwischen einem SS-Offizier und der Ehefrau des Lagerkommandanten in der Kulisse Auschwitz, selbst Amis‘ angestammtem deutschen Verlag zu viel war. Aber was bedeutet der Begriff „Adaption“ schon, wenn Jonathan Glazer der Künstler ist, der sich der Vorlage annimmt? Der eigenwillige britische Filmemacher, der seine Karriere mit aufsehenerregenden Videoclips begonnen hatte („Rabbit in Your Headlight“ von UNKLE bleibt unerreicht) und in 24 Jahren gerade einmal vier Spielfilme realisiert hat, jeder von ihnen ein singuläres Ereignis, hatte auch von Michael Farbers Roman bestenfalls den Hauch einer Prämisse übernommen, als er 2013 mit „Under the Skin“ einen der rätselhaftesten und intensivsten Filme des Jahrzehnts vorstellte, mit Scarlett Johansson als Alien auf Menschenjagd in Schottland. 

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Christian Friedel und Sandra Hüller in „The Zone of Interest“ (Credit: Leonine)

So ist es nun auch in „The Zone of Interest“, der den Zuschauer als Ouvertüre erst einmal minutenlang auf die schwarze Leinwand blicken lässt, während ein Drone von Mica Levin anschwillt, immer mächtiger und bedrohlicher, Einstimmung auf Kommendes. Dann wird der Blick freigegeben auf Natur, Idylle, eine Familie beim Baden, beobachtet aus einiger Entfernung und unbeteiligt, neutral, als würde tatsächlich das Alien aus „Under the Skin“ zusehen. Erst nach dem Badespaß sehen wir sie, die Insignien des Dritten Reichs, Hakenkreuze, SS-Zeichen. Glazer lässt den Zuschauer teilhaben am Leben und Alltag von Rudolf Höß, Lagerkommandant von Auschwitz, der sich mit seiner Frau Hedwig und den Kindern sein Traumzuhause eingerichtet hat, ein schönes Haus mit großzügigem Garten. Später wird Hedwig ihrer Mutter, die zu Besuch gekommen ist, aufzählen, welche Blumen und welches Gemüse hier wächst. Schön habt ihr’s hier, antwortet die Mutter. Und klammert aus, was die Familie Höß auch stets ignoriert: Ihr Haus steht direkt neben dem Lager, getrennt von einer Mauer. 

Man sieht wenig von dem, was nur ein paar Meter entfernt passiert, sieht man ab von kleinen Hinweisen und Bediensteten, die in der KZ-Uniform ihre Arbeit im Anwesen verrichten, und immer wieder die vorbeifahrenden Züge und den Rauch aus den Kaminen. Dafür hört man alles. Befehle, Hundegebell, Schmerzensschreie, Schüsse. „The Zone of Interest“ ist zwei Filme. Die Bilder erzählen etwas anderes als die – geniale und mit dem Oscar prämierte – Tonspur, die Bilder ein Täterfilm, der Ton ein Opferfilm. Man kann sie getrennt erleben. Man kann aber auch versuchen zu verstehen, wie sie sich zueinander verhalten, wie sie einander bedingen, dass sie sich nicht voneinander freimachen können. Bequeme Filmkritiker führen an, Glazers experimentelle Versuchsanordnung, großteils gefilmt von statischen Kameras, die an strategisch wichtigen Stellen im Haus angebracht wurden und einfach nur aufzeichnen, sei die Verbildlichung der von Hannah Arendt apostrophierten „Banalität des Bösen“. Das ist viel zu kurz gegriffen, sie verfehlen das Ziel. Es geht darum, dass ebendiese Banalität des Bösen eben doch wirkt auf die, die sie praktizieren. Sie ist ein schleichendes Gift, das sich in jede Pore ihrer Existenz absetzt, wie auch der durchdringende Score sich vollumfänglich in den Sinnen ausbreitet.

Das Leben von Rudolf Höß hatte bereits Theodor Kotulla 1977 in „Aus einem deutschen Leben“ mit Götz George in der Hauptrolle abgehandelt, erschöpfend und ergreifend. Aber „The Zone of Interest“ ist nicht an den Eckpunkten eines historischen Lebens interessiert. Man kann den Film mehr als inoffizielle Fortsetzung von „Das weiße Band“ betrachten, Michael Hanekes Meilenstein über die Herkunft des Faschismus. In Jonathan Glazers kühner Betrachtung ist diese Ideologie zur Blüte gekommen, beherrscht jede Facette des Daseins der Menschen, deren Handeln er dokumentiert, in den Hauptrollen von Christian Friedel und Sandra Hüller mit einer Entäußerung gespielt, wie man es selten erlebt. Am Schluss ist von Höß nur noch eine menschliche Hülle geblieben, benebelt von grotesken Gewaltfantasien und überwältigenden Brechgefühlen. Unvermittelt schneidet der Film kurz in die Gegenwart auf die Gedenkstätte Auschwitz. Wo tausende Menschen starben, industriell ausgelöscht wurden, verrichten Putzfrauen ihre Arbeit. Danach folgen wir Höß die Treppe hinab, in die Schwärze, the downward spiral is complete. 

Thomas Schultze