Dreiteilige Doku-Miniserie von Julia Krampe und der Film Five, die einen sehr weiblichen Blick auf die Porno-Industrie wirft.
FAST FACTS:
• Dreiteilige Doku-Serie von Julia Krampe, nach „Beautiful – Die Schönmacher“ die zweite Zusammenarbeit mit Film Five
• Film Five steht als unabhängige Produktionsfirma für Formate wie „Bezzel & Schwarz – Die Grenzgänger“ oder den preisgekrönten Kinofilm „Liebe, D-Mark und Tod“
CREDITS:
Buch & Regie: Julia Krampe; Produktion: Film Five; Sender: rbb; Veröffentlichung: Abrufbar ab 30. November in der ARD Mediathek; Länge: 3×35 Minuten
REVIEW:
Man könnte die dreiteilige Doku-Miniserie „Let’s Talk About Porn“ als ein Stück Female Empowerment in der Sexindustrie lesen. Vor allem Frauen aus der Branche kommen zu Wort, denen als Pornodarstellerinnen unverändert noch ein Schmuddelimage, Stigma anhaftet – zumindest wenn die Gesellschaft öffentlich darüber spricht. Die Diskrepanz zwischen Verhalten und Nutzung ist gewaltig, wie die Serie aufweist und wie jeder Normalbürger auch weiß: Porno ist ein Massenmedium, 96 Prozent der Männer und 79 Prozent der Frauen zwischen 18 und 75 Jahren haben nach eigenen Angaben schon einmal einen Porno geguckt. Aber nur 38 Prozent finden dies moralisch vertretbar. Feministinnen beklagen, dass Pornographie zur Objektifizierung von Frauen beiträgt.
Aber wie sehen das die Frauen, die als Pornodarstellerinnen arbeiten und vor allem die Fantasien von heterosexuellen Männern, der nach wie vor größten Gruppe an Pornonutzern, befriedigen (müssen)? Autorin und Regisseurin Julia Krampe lässt diese Menschen zu Wort kommen. In „Let’s Talk About Porn“ geht es nicht um Verurteilung oder das Hinbiegen in eine bestimmte Richtung. Krampe malt weder Engel noch Teufel, wäscht die Porno-Industrie nicht rein. Selbstbestimmung ist ein wichtiges Stichwort. Ihre Protagonistin ist Jolee Love, eine der bekanntesten Pornodarstellerinnen in Deutschland. Aber auch Kolleginnen wie Micaela Schäfer, Lou Nesbit, Maria Mia oder Hanna Secret kommen zu Wort. Eingebettet sind deren Beiträge in Interviews mit Expert:innen wie Buchautorin Madita Oeming, die mit „Porno: Eine unverschämte Analyse“ das Basiswerk für Krampes Serie geliefert hat. Oder Tech-Journalist Sebastian Meineck, der auch wirtschaftliche Aspekte einstreut und zum Beispiel über den Erfolgslauf einer Seite wie YouPorn berichtet, die nach Seitenaufrufen längst auf einer Ebene mit Amazon oder Paypal liegt.
Man bekommt Einblicke einerseits in die Historie der Porno-Industrie, vom ersten Mainstream-Porno auf Papier, über Dänemark, das Anfang der 1970er Jahr das einzige Land der Welt war, in dem Pornographie erlaubt war und zum Magnet für deutsche Sextouristen wurde, das Phänomen „Deep Throat“, das einen neuen Industriezweig, der Pornos für die große Leinwand produzierte, nach sich zog, dem Internet, das die fetten Jahre beendete, hin zu ganz aktuellen Gegebenheiten. Etwa wie sich die Branche seit Einführung der Web Cams verändert hat, dass Amateurvideos das Ding der Stunde sind, oder wie seit der Coronapandemie Fanseiten wie Only Fans an Zugkraft gewonnen haben. Auch wie knallhart die Branche ist, wie man als Pornodarstellerin wie jeder andere Creator oder Influencer auch ständig Content generieren muss, seine Fans bedienen muss, wenn man nicht schnell „zum alten Eisen“ gehören will, und wie auch eine Jolee Love – Stichwort Stigma – Unverständnis von ihren Eltern erntete, als sie ihnen erzählte, dass sie ihren Job als Physiotherapeutin an den Nagel hängt, um ihr Geld als Pornodarstellerin zu verdienen.
Produziert wurde „Let’s Talk About Porn“ für den rbb von der Berliner Film Five, mit denen Julia Krampe bereits ihre Doku über die Schönheits-OP-Branche, „Beautiful“, gemacht hat (für RTL+), ebenfalls so ein Thema, das im Alltag zwar gängig ist, aber niemand gerne öffentlich darüber spricht. Bei „Let’s Talk About Porn“ ist ihre ohne Klischees beladene Herangehensweise spannend, auch wie ihre Protagonistinnen offen sprechen. Außerdem staunt man doch über viele Fakten, wie die Tatsache, dass das in Anspielung auf Silicon Valley auch Silicone Valley genannte San Fernando Valley seit Einführung des Internets das Hollywood der Porno-Industrie geworden ist. Dort werden fast alle Studio-Pornos produziert. Es geht um Masse, schnell und günstig hergestellt. In Deutschland werden kaum mehr Studio-Pornos produziert. Rentiert sich nicht mehr, wie unabhängige Produzentinnen wie Inka Winter oder Paulita Pappel erläutern. Das liegt sicher nicht am fehlenden Anreizmodell…
Barbara Schuster