Dreiteilige Miniserie über das legendäre Interview, das die britische Journalistin Emily Maitlis mit Prince Andrew angesichts der Anschuldigungen, er habe sich von seinem Freund Jeffrey Epstein minderjährige junge Frauen zuführen lassen, führte.
FAST FACTS:
• Dritte Miniserie nach „A Very British Scandal“ und „A Very English Scandal“ über einen realen Skandal in der Oberen Gesellschaft Englands
• Der Blick hinter die Schlagzeilen: das Radwerk rund um das legendäre Interview mit Prince Andrew im Jahr 2019
• Paraderollen für die großartigen Michael Sheen und Ruth Wilson
• Herausragender Höhepunkt des Fernsehjahres 2024
CREDITS:
Land / Jahr: Großbritannien 2024; Laufzeit: 3 x 60 Minuten; Regie: Julian Jarrold; Drehbuch: Jeremy Brock; Besetzung: Michael Sheen, Ruth Wilson, Claire Rushbrook, Joanna Scanlan, Alex Jennings, Honor Swinton Byrne, Lydia Leonard; Plattform: Magenta TV, Start: 1. Dezember 2024
REVIEW:
Clusterfuck. Lustiges Wort. PONS übersetzt es allen Ernstes mit „Clusterfuck“ und versteckt die Interpretation „Totale Scheiße“ irgendwo in der zwölften Zeile. Anderswo wird „Durcheinander” und „Schlamassel“ angeboten. LEO ist weniger dezent, sagt „die Kacke“, „der Riesenschlamassel“, „die Riesenkacke“ und beschreibt einen Clusterfuck als „unangenehme Situation“. Was also, wenn man es mit einem „clusterfuck worthy of the Karadashians“ zu tun hat? So beschreibt Sir Edward Young, der Privatsekretär von Queen Elizabeth, die Lage in „A Very Royal Scandal“, in die sich Prince Andrew, das dritte Kind der Königin, wegen seiner vielen Eskapaden auch bekannt als „Randy Andy“, nach einem desaströsen Interview mit der Journalistin Emily Maitlis für die BBC-Sendung „Newsnight“ im Jahr 2019 befördert hat: Er sollte Stellung nehmen zu den Vorwürfen, er habe sich von dem amerikanischen Multimillionär Jeffrey Epstein die 17-Jährige Virginia Giuffre als Sexpartnerin zuführen lassen, und wollte seine Unschuld bekunden. Anstatt, wie von ihm und seiner Sekretärin Amanda Thirsk erhofft, konnte er in dem einstündigen Gespräch indes nicht seinen Namen reinwaschen, sondern verstrickte sich in Widersprüche, wirkte arrogant, kaltherzig und dumm und machte sich nicht nur zum Gespött der Nation und Subjekt zahlloser ätzender GIFs und Memes („I don’t sweat“), sondern wurde auch um seinen Ruf und seine Adelstitel gebracht, für immer eine lächerliche und tragische Figur, ein Fatzke, ein Popanz.
„A Very Royal Scandal“ ist epochal gutes Fernsehen, der messerscharfe Bruder von „The Crown“, die gnadenlose Schwester von „The Queen“. Ausgehend von Emily Maitlis’ Buch „Airhead: The Imperfect Art of Making News”, sezieren Regisseur Julian Jarrold, der gerade erst in „This England“ eine andere aufsehenerregende Episode jüngster britischer Geschichte thematisiert hatte, Boris Johnsons Zeit als Premierminister, und Autor Jeremy Brock („The Last King of Scotland“, „Diana & I“) in drei einstündigen Folgen, wie es zu dem Interview kam, was bei dem Interview passierte und was die Nachwehen für alle Beteiligten waren. Für die Hauptrollen konnten mit Michael Sheen als Prince Andrew und Ruth Wilson als Emily Maitlis zwei Stars von Format gewonnen werden, die mit ein bisschen Hilfe der Maskenabteilung förmlich in ihren Figuren aufgehen zu scheinen. An ihrer Seite spielen unter anderem Joanna Scanlan und Alex Jennings als die bereits erwähnten Amanda Thirsk und Sir Edward Young, sowie Claire Rushbrook als Sarah Ferguson, Honor Swinton Byrne als Andrews Tochter Beatrice und Lydia Leonard als Emily Maitlis’ journalistische Mitstreiterin Esme Wren. Unterstützt von einem fabelhaft eloquenten Drehbuch voller brillanter Dialoge und starker Szenen, liefern sie allesamt Topleistungen ab.
Natürlich weckt der Titel beabsichtigt Assoziationen mit „A Very English Scandal“ von 2017 mit Hugh Grant und Ben Whishaw sowie „A Very British Scandal“ von 2021 mit Claire Foy und Paul Bettany, steht in einer Ahnenfolge und ist Teil einer Reihe von hochwertig produzierten Miniserien, Masterclasses in klugem Entertainment für Erwachsene allesamt, die Abgründe in der feinen Gesellschaft aufzeigen, lange gehegte Vorurteile gegen die da oben zunächst zu unterstützen scheinen, dann aber psychologisch fein austariert in die Tiefe gehen, sich nicht zufriedengeben mit einer süffigen und süffisanten Nachstellung historisch verbürgter Ereignisse, sondern durchaus komplex einen Blick werfen hinter den Vorhang, die menschliche Dimension in den Vordergrund rücken. Und wenn auf den ersten Blick alles noch so klar und eindeutig erscheint, gibt es immer noch eine andere Perspektive, die einen die ganze skandalöse Angelegenheit in einem anderen Licht sehen lässt. Zumal auch für „A Very Royal Scandal“ die Unschuldsvermutung gilt: Die Miniserie ist zurückhaltend, wie sie sich selbst zu den Anschuldigungen gegen Prince Andrew positioniert, weil das gar nicht das Thema ist, das eigentliche Thema aber überschatten würde, weil das Verbrechen als eine Episode eines ganzen Systems von Sexhandel so erschütternd ist, dass alles andere klein und nichtig wirkt dagegen. Nicht von ungefähr sagt Ruth Wilson als Emily Maitlis selbst angesichts der riesigen Empörungswelle, die ihr Interview auslöst, dass alle nur über Prince Andrew und sie sprächen, aber niemand sich um die Opfer des Verbrechens kümmere. In der allerletzten Szene, dem allerletzten Bild macht die Miniserie dann doch noch unmissverständlich klar, wo sich die Macher in dem Skandal positioniert sehen, ziehen ihrer eigenen Geschichte damit den Boden unter den Füßen weg. Ein genialer Kniff, ein Gänsehautmoment, in dem man sich als Zuschauer:in direkt impliziert sieht.
Aber davor gibt es drei Stunden, die so aufregend und anregend sind, wie man sich Fernsehen nur vorstellen kann. Augenzwinkernd und mit einem sehr trockenen britischen Humor wird die Geschichte aufgerollt, werden die Figuren vorgestellt, wird die Welt etabliert, in der sie leben. Der Blick auf das altehrwürdige Establishment ist belustigt, die durchaus scharfe Kritik verpackt in komisch entlarvende Momente, ein bisschen im Geiste des britischen Kitchen-Sink-Kinos, allerdings nicht mit der Wut eines Tony Richardson oder Lindsay Anderson. Ein Bubenstück ist es, das in „A Very Royal Scandal“ erzählt wird, ein bisschen wie in einem Heist-Movie, nur dass anstelle eines genialen Einbruchs hier das Einfädeln eines Interviews steht, an dessen tatsächliches Stattfinden selbst dann noch nicht glauben können, als die Kameras bereits rollen. Man sitzt fassungslos vor dem Bildschirm, wenn man miterlebt, wie Prince Andrew sich um Kopf und Kragen redet, sich der Tragweite des Gesagten nicht im Geringsten bewusst. In einer großartigen Szene hat Sir Edward Young der naiven Sekretärin Andrews erklärt, dass man sich immer bewusst sein müsse, dass die Royals das Leben aus anderen Augen sehen würden, Menschen, die nie selbst einkaufen müssten, denen jeder Wunsch immer erfüllt wird, bevor sie ihn äußern müssen.
Immer weiß „A Very Royal Scandal“ auch, dass seine grundsätzliche Struktur Ron Howards „Frost/Nixon“ entlehnt ist – in dem seinerzeit ausgerechnet Michael Sheen die Rolle des Journalisten David Frost gespielt hatte, der Richard Nixon in einem Interview entzauberte. Aber die Miniserie weitet den Fokus. Umso eindringlicher ist schließlich der dritte Teil, der sich eben nicht in Schadenfreude suhlt: der Triumph ist ein Fluch, die Niederlage eine Katastrophe, die Situation außer Kontrolle für die, die sich im Auge des Sturms befinden, der Kollateralschaden unermesslich: für die Töchter von Andrew, für das Privatleben von Emily Maitlis, für die Ex-Frau des Prinzen, die in seinem Schatten lebt, für die Sekretärin, die abserviert wird. Das Leben ist kein Meme, keine spöttische Bemerkung in den sozialen Medien, es gibt keine einfachen Antworten, schon gar nicht, wenn man sich in einem System wiederfindet, dessen Fäden man nicht zieht. Man sieht gebannt zu, ist bewegt und gerührt. Und staunt über den gewaltigen Bogen, den „A Very Royal Scandal“ spannt binnen drei Stunden von galliger Sozialfarce hin zu einer human tragedy, die keine Gewinner kennt, a clusterfuck worthy of the Royals.
Thomas Schultze