SmHJHX

Am Freitag, den 25.10. werden wir ab 15.00 Uhr bis ca. 18 Uhr umfangreiche technische Wartungsarbeiten durchführen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

REVIEW KINO: „Bagman“

Psychologischer Grusel-Thriller über einen Vater, für den eine Folk-Horror-Legende zur echten Gefahr wird.

CREDITS: 
O-Titel: Bagman; Land/Jahr: USA 2024; Laufzeit: 92 Minuten; Drehbuch: John Hulme; Regie: Colm McCarthy; Besetzung: Sam Claflin, Antonia Thomas, Caréll Vincent Rhoden, Peter McDonald, Steven Cree, William Hope, Sharon D. Clarke, Adelle Leonce; Verleih: LEONINE Studios; Start: 5. Dezember 2024

REVIEW:
Es ist die schlimmste vorstellbare, existenzielle Angst des Menschen, die im Horrorgenre schon so oft Mütter um den Verstand gebracht hat, in diesem Jahr etwa Sarah Paulson in „Hold Your Breath“ und Halle Berry in „Never Let Go – Lass niemals los“, und die nun in „Bagman“ einen Vater in den Wahnsinn treibt. Sam Claflin, der zuletzt als „Daisy Jones & the Six“-Frontmann Herzen höherschlagen ließ, verkörpert den gepeinigten Patrick, einen sensiblen Holzarbeiter im Lumberjack-Look, der von der Sorge um seinen dreijährigen Sohn gequält wird – und von einem Kindheitstrauma, für das sein eigener, verstorbener Vater (Peter McDonald) verantwortlich ist. Der hat ihm einst die Wahn- bzw. Warnvorstellung in den Kopf gesetzt, ein dämonischer „Bagman“ habe es auf ihn abgesehen – so, wie man Jungs und Mädchen, die nicht gehorchen wollen, eben das Fürchten lehrt, nur dass das metaphorische Monster in dieser Geschichte ausschließlich Jagd auf die Braven und Schüchternen, auf Träumer wie Patrick macht, um sie im schlimmsten Fall in einen stinkenden Ledersack zu stecken und dessen überdimensionalen Reißverschluss für immer zuzuziehen.

Bagman Szenenbilder .dpi scaled e x
„Bagman“ mit Sam Claflin (Credit: LEONINE Studios)

Das morbide Märchen hat Patrick verständlicherweise traumatisiert, er ist sogar davon überzeugt, dem Boogeyman, der sich der Sage nach in einem nahe gelegenen Minenschacht versteckt, einmal leibhaftig begegnet und nur knapp entkommen zu sein. Zwei Jahrzehnte nach diesem Vorfall wird der Dämon der Vergangenheit wieder geweckt, als Patrick aufgrund von finanziellen Problemen gezwungen ist, mit seiner Frau Karina (Antonia Thomas) und dem dreijährigen Sprössling Jake (Caréll Vincent Rhoden) zurück in sein Elternhaus zu ziehen. Er arbeitet fortan für seinen Button-Down-Hemden tragenden, angepassten Bruder Liam (Steven Cree) im familieneigenen Holzlager und muss seinen Traum von der Herstellung eines selbst designten Baumschneiders an den Nagel hängen. Der Haussegen hängt schief, die Eltern sind übernächtigt, überfordert und dauergestresst. Karina sitzt selbst auf dem Spielplatz vor ihrem Laptop, Patrick lässt seinen Sohn allein in der Badewanne, ist aber wie besessen von einer unsichtbaren Gefahr, die er im Garten hinter dem Haus vermutet. Dinge verschwinden oder tauchen aus heiterem Himmel irgendwo wieder auf, nachdem sie zuvor im Müll entsorgt wurden. In einer Szene wird Jake von einer sprechenden „Chucky“-ähnlichen Puppe in den angrenzenden Wald gelotst und in letzter Sekunde von seiner Mutter vor einer mörderischen Hand gerettet, die ihn in eines der dunklen Löcher zerren will, die sich überall auftun. All das existiert wohlmöglich nur in Patricks Fantasie so wie jeder Einbruchsversuch, für den der zu Hilfe gerufene Detective (William Hope) keine Beweise findet. Das ganze Szenario, die Locations (aus Budgetgründen wurde in Bulgarien gedreht), das Produktionsdesign muten surreal und unnatürlich an wie ein Wachtraum – oder ein Themenpark für Horrorfilme, ausgestattet mit allen denkbaren, schaurigen Genre-Elementen, von den im Studio nachgebauten typisch amerikanischen Vorstadthäusern über die flackernden Glühbirnen und Straßenlaternen bis hin zur bedrohlichen Geräuschkulisse. Noch nervenaufreibender als das metallische Ritsch-Ratsch des Reißverschlusses, das auf die ständige Anwesenheit des Bagman hindeutet, sind allerdings die schrillen Töne, die Jake einer Holzflöte entlockt, die Patrick für ihn geschnitzt hat.

Bagman Szenenbilder .dpi scaled e x
„Bagman“ (Credit: LEONINE Studios)

Musik und Dialoge wirken ebenso generisch wie der Prolog, in dem der Bösewicht ein beliebiges Kind aus der Nachbarschaft „einsackt“, und wie der Vorspann, der die historische Legende ausführlich illustriert, womit man alles, was einem in den folgenden 90 Minuten Angst einflößen soll, bereits gesehen und als Folklore abgespeichert hat. Die Story liefert keinen triftigen Grund dafür, warum man den Bagman nicht für Paranoia halten sollteim Gegenteil: Nach etwa einer Stunde, einer Reihe von Stromausfällen, vielen besorgten Blicken auf die Kamera des Babyfons und Rückblenden in Patricks Kindheit, bestätigt seine ehemalige Therapeutin Barbara (Sharon D. Clarke), dass seine Panik nur Folge der Phobie sei, die die Erzählungen seines Dads ausgelöst hätten. Da die Wurzel des Übels also wie üblich in der Psyche des Protagonisten vergraben ist, rät sie ihm, sich seiner tiefsitzenden Wut und Verletzlichkeit zu stellen. Patrick und Karina gönnen sich wohl aus diesem Grund anschließend einen babyfreien Abend, während sich Schwägerin Anna (Adelle Leonce) um Jake kümmert, was den „Sackmann“ erwartungsgemäß aus seiner Höhle holt, damit das hartgesottene Genrepublikum endlich auf seine Kosten kommt. Statt dem therapeutischen Rat zu folgen und psychologisch in die Tiefe zu gehen, setzt das Drehbuch auf oberflächliche Schockmomente und verzichtet unter anderem auf die Ausarbeitung der Figuren. Die Schauspieler scheinen in manchen Szenen fast verloren, was nicht allein am Schlafentzug ihrer Charaktere liegt, sondern auch an den Löchern im Drehbuch. 

Bagman Szenenbilder .dpi scaled e x
„Bagman“ mit Antonia Thomas und Sam Claflin (Credit: LEONINE Studios)

Die Inszenierung von Colm McCarthy, der zuletzt den dystopischen Roman „The Girl With All the Gifts“ mit Glenn Close für die Leinwand adaptierte und bei der zweiten Staffel von „Peaky Blinders“ Regie führte, möchte sowohl den Erwartungen der Horrorfans gerecht werden, die mit dem Filmplakat und Trailer abgeholt werden, als auch dem Drehbuch des amerikanischen Schriftstellers John Hulme, der darin tatsächlich einen persönlichen Albtraum verarbeitet hat, der dem des Protagonisten ähnelt, wie der Pressetext verrät. Der spannendste und berührendste Teil des Folk-Gothic-Psycho-Mystery-Thrillers ist dann auch Patricks innerer Kampf, den Sam Claflin mit der spürbaren Verzweiflung eines Mannes verkörpert, der versucht, seiner Rolle als Familienoberhaupt gerecht zu werden, während ihn der Verlust seines eigenen Vaters schier überwältigt. Kein Kind kann sich selbst schützen, wenn es das verliert, was es am meisten liebt, heißt es an einer Stelle im letzten, wirklich packenden Drittel des Films – „a child‘s love is a magical thing“. Anders gesagt: Die Liebe eines Kindes kann jedem Alltagsgegenstand quasi prophylaktische Eigenschaften verleihen, die sogar die Ängste des Erwachsenwerdens abwehren, weshalb man das, was einem am Herzen liegt, niemals aus den Augen oder aus den Händen lassen darf. Daran, so lehrt „Bagman“, sollte man auch dann denken, wenn man die Blockflöte seines Kindes am liebsten in den Müll werfen möchte.

Corinna Götz