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Filmemacherin Julia Krampe über „Let’s Talk About Porn“: „Ich möchte weder Engel noch Teufel zeichnen“

Am 30. November ist die Dokumentar-Miniserie „Let’s Talk About Porn“ in der ARD Mediathek verfügbar (produziert von Film Five für den rbb). Im Interview spricht Autorin und Regisseurin Julia Krampe über die intensive Recherche und ihre Herangehensweise, die Porno-Industrie aus Sicht der Frauen zu beleuchten.

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Julia Krampe (Credit: Chris Krätzmann)

„Let’s Talk About Porn“ wirft einen feministischen Blick auf die Porno-Industrie. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Julia Krampe: Das war ein Zufallsfund. Ich recherchierte für ein anderes Projekt, bei dem es um das Porträt einer Pornodarstellerin aus den 1980er-Jahren ging… Dabei bin ich auch über Maditas Oemings Buch „Porno – Eine unverschämte Analyse“ gestolpert und habe generell bei meinen Recherchen festgestellt: Da ist ein riesiger Unterschied zwischen dem, wie die Gesellschaft Porno nutzt, nämlich als Massenmedium, und wie man nach wie vor darüber spricht. Das hat mich fasziniert. Der gesellschaftliche Widerspruch hat mich gereizt. Dieses Spannungsfeld zwischen Nutzung und Verhalten hat mich interessiert. Es hat eine gewisse Ähnlichkeit zu „Beautiful“: Viele machen Schönheits-OPs, keiner will es zugeben. 

Wenn man über die Porno-Industrie spricht, spricht man vor allem über die Frauen…

Julia Krampe: Das war genau mein Ansatz: Eben weil man vor allem über die Frauen spricht, wollte ich vor allem mit denen reden, die vom Stigma, dem „Pornostempel“, am meisten betroffen sind, denen das Wort geben. Es war ein ganz natürlicher Prozess zu sagen: Wir schauen uns die Porno-Industrie aus Sicht der Frauen an, die im Fokus dieser Industrie stehen. Weil ohne Frauen keine Porno-Industrie, egal, wer im Hintergrund die Strippen zieht. Das sind die Menschen, die Millionen Konsument:innen anziehen – auch wenn es natürlich eine Gay-Porn-Szene etc gibt. Für uns war ein Fokus wichtig, sonst wäre es oberflächlich geworden. So habe ich angefangen, mit Frauen aus der Branche zu sprechen, und habe sehr schnell differenzierte Geschichten gehört, die sich sehr unterschieden von den Artikeln, die man lesen oder in der ein oder anderen Reportage sehen kann.

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„Let’s Talk About Porn“ – rbb-Doku-Serie ab 30. November in der ARD Mediathek (Credit: rbb/Film Five/Susanne Erler)

Ihre Protagonistin ist Jolee Love, einer der erfolgreichsten deutschen Pornostars. Aber auch viele andere Frauen der Industrie kommen zu Wort. War es eine Herausforderung, deren Vertrauen zu gewinnen?

Julia Krampe: Das war eine ziemliche Herausforderung. Wir sind über die Expert:innen gegangen, von außen sozusagen. Haben mit Leuten wie Journalist Sebastian Meineck oder auch Madita Oeming und Paulita Pappel gesprochen. Über die haben wir angefangen, um uns ein Bild zu machen. Dann haben wir versucht, Darstellerinnen zu kontaktieren. Das war nicht einfach, ging nicht über die öffentlichen Kanäle. Denen kann man nicht einfach eine Mail schreiben und sie schreiben zurück. Wir haben auch das Feedback bekommen, dass viele Frauen aus der Porno-Industrie, einschließlich unserer Protagonistin Jolee, schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht haben, weil sie immer wieder in einem bestimmten Licht dargestellt werden. Bei vielen schrillten also erst mal die Alarmglocken. Durch Zufall stellte sich heraus, dass einer meiner Produzenten über die Unterhaltungsindustrie gemeinsame Bekannte mit Jolee hatte… So kam ich mit Jolee in Kontakt. Sie ist ein sehr offener Mensch. Wir haben uns getroffen, uns lange unterhalten… Da war eine menschliche Verbindung da. Über Monate führten wir Telefonate, trafen uns, ich durfte sie irgendwann auch mit der Kamera zuhause besuchen. Es hat sich ein Vertrauen aufgebaut, was mir Türen zu anderen aus der Branche geöffnet hat. Viele hat Jolee überzeugt, weil sie sah, dass wir sie nicht in ein bestimmtes Licht rücken wollten, sondern wir verstehen wollten, wie die Branche funktioniert, welche Probleme es gibt, aber was vielleicht auch gar nicht so ist, wie es oft dargestellt wird… So kam ich Stück für Stück voran. Aber es war nicht einfach. Auch mit Shaiden Rogue musste ich stundenlang sprechen, weil sie Angst hatte, dass es falsch dargestellt wird, nämlich zu gut dargestellt wird. Irgendwann hat sie mir vertraut, weil ich ihr deutlich machen konnte, dass ich nichts reinwaschen oder glorifizieren wollte.

„Ich versuche immer, die Menschen zu verstehen.“

„Let’s Talk About Porn“ gibt auch einen fundierten historischer Überblick über die Porno-Industrie und liefert aktuelle Zahlen und Statistiken. Wie aufwändig war dieser Teil?

Julia Krampe: Madita Oemings Buch war eine wunderbare Grundlage. Sie ist Kulturwissenschaftlerin und hat über Pornographie promoviert. In ihrem Buch hat sie den Forschungsstand der letzten Jahre zusammengetragen. Das war eine unglaublich gute Basis. Auch Sebastian Meineck war ein wichtiger Gesprächspartner, der auch schon seit Jahren über die Industrie schreibt und immer wieder mit journalistischer Akribie Zahlen zusammenträgt. Ich habe mit einem Team alle Bücher, Statistiken recherchiert, immer wieder Faktenchecks gemacht. Das war nicht einfach. Man kann nicht einfach „Pornostatistik“ googeln, dann tauchen verschiedene Zahlen auf. Es war viel Abgleich nötig. Ab einem gewissen Punkt mussten wir uns auch eingestehen: dazu gibt es keine Zahlen. Das ist auch eine der größten Erkenntnis von Madita: Es gibt empirisch keine quantitativen Studien dazu, weil es einfach nicht finanziert wird. Was es gibt, sind qualitative Erfahrungsberichte von Frauen. 

Wie würden Sie Ihren generellen Ansatz beim dokumentarischen Schaffen beschreiben?

Julia Krampe: Ich versuche immer, die Menschen zu verstehen. Es geht viel ums Zuhören. Das ist essenziell. Gerade auch den Menschen in der Porno-Industrie hört man nie richtig zu. Deshalb war für mich wichtig, mich mit Jolee hinzusetzen und ihr erst einmal zuzuhören. Das fand sie so anders als andere Begegnungen, dass sie Lust hatte aufzumachen. Ich möchte weder Engel noch Teufel zeichnen, sondern ich möchte durch die Menschen die Menschen verstehen. Das Spannende für mich ist zu erkennen: Es ist nicht so einfach schwarzweiß, wie es gerne dargestellt wird, nur um Schlagzeilen zu erzeugen. Da sind immer Nuancen und Widersprüche. Da will ich hin. Auch eine Jolee kämpft mit Sachen, die teilweise passieren, und findet nicht alles toll. 

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Jolee Love ist die Protagonistin (Credit: rbb/Film Five/Susanne Erler)

Ist es aktuell eine gute Zeit für Dokumentarfilmproduktionen? 

Julia Krampe: Es ist einerseits eine gute Zeit, weil sich sehr viel bewegt in der Gesellschaft und sehr viele interessante und lehrreiche Geschichten passieren. Inhaltlich gesehen ist es für Dokumentarfilmschaffende eine sehr spannende Zeit. Wirtschaftlich leidet unser Zweig wie alle anderen auch. Es gibt weniger Gelder, es gibt Verknappung. 

Film Five aus Berlin ist die Produktionsfirma von „Let’s Talk About Porn“. Mit ihr haben Sie bereits „Beautiful – Die Schönmacher“ gemacht. Was zeichnet sie aus?

Julia Krampe: Film Five zeichnet eine sehr große Offenheit gegenüber unkonventionellen Themen aus. Sie hatten den Mut, mir mit „Beautiful“ meine erste komplette Serie zu geben, obwohl ich davor nur als Creative Producerin bei den Beetz Brothers gearbeitet hatte. Film Five zeichnet aus, dass sie in Leute vertrauen, auch ins Risiko gehen. Das rechne ich denen hoch an. Das ist ein Mut, den nicht viele Produzenten haben. Außerdem sind sie wenig von Hierarchien und alten Gesetzen getrieben als eher von Interesse und Neugier. Menschlich fühle ich mich da sehr wohl.

„In den Geschichten, die ich durch meine Recherchen für Dokumentarstoffe auftue, liegen noch viele Ebenen darunter.“

Könnten Sie sich vorstellen, auch mal fiktional zu arbeiten?

Julia Krampe: Total! Ich kann Ihnen auch sagen, aus welchem Grund: Bei allem Vertrauensaufbau stößt man bei Doku immer wieder an Grenzen des Unsagbaren. Denn auch, wenn Leute ihren Kopf hinhalten, sind viele dann doch nicht bereit, vor der Kamera gewisse Dinge zu sagen. Oder man muss seine Protagonisten selbst schützen. Der Schutz der Protagonisten ist mir immer wichtig, obwohl ich immer sauber journalistisch arbeite. Aber ich möchte nicht, dass den Protagonisten ein persönlicher Nachteil entsteht, nur weil sie in meinem Film mitmachen. Das ist immer ein stückweit ein schwieriger Balanceakt: wie schützt man sie, aber was braucht der Film, um aufrichtig zu sein? Deshalb gehört es zu meinem Job als Dokumentarfilmemacherin, viele, viele Gespräche zu führen. Das kann man umgehen, wenn man Geschichten in die Fiktion überträgt. Da musst niemand seinen Kopf hinhalten. In den Geschichten, die ich durch meine Recherchen für Dokumentarstoffe auftue, liegen noch viele Ebenen darunter. Da könnte ich mir durchaus vorstellen, fiktiv weiterzuerzählen. Da könnte ich noch mal anders darüber erzählen, wer wir eigentlich sind, wie wir als Gesellschaft leben, was für Werte wichtig sind.

Das Gespräch führte Barbara Schuster