Ein Landkino wie ein Multiplex, nur ein wenig kleiner. Regional verwurzelt und in besonderer Weise auf Familien ausgerichtet. Mit dem Cineplex Vilsbiburg legte die Betreiberfamilie Fläxl 1994 den Grundstein für ihre heutigen Unternehmungen. Anlässlich des runden Kinogeburtstages sprachen wir mit ihr über ein Haus, das einen eigenen Begriff prägte – und über weitere Pläne.
Hürth, Bochum, Köln, Essen, Hannover, Oberhausen, Sulzbach. Orte, die eng mit der deutschen Kinogeschichte verbunden sind – denn sie zählen zu jenen, in denen von Oktober 1990 an (UCI Kinowelt Hürth) die ersten Multiplexe in Deutschland eröffnet wurden. Und dann wäre da Vilsbiburg. Eine niederbayerische Kleinstadt mit heute stolzen 13.000 Einwohnern, im Herzen des Landkreises Landshut, umringt von Metropolen wie Geisenhausen, Gerzen, Egglkofen und Velden. Hier eröffnete 1994 das, was bei der FFA den Begriff des „Miniplex“ prägte. Ein Filmtheater, ganz nach der Fasson der modernen Kinotempel, schon in der Planung inspiriert von den Multiplexen aus England und vor allem Belgien – nur ein wenig kleiner dimensioniert. Zunächst sechs Säle, rund 650 Plätze. Und angesiedelt in einem Landstrich, dem man nicht despektierlich begegnet, wenn man ihn als „Provinz“ bezeichnet. Der „Lichtspielberg“, heute besser bekannt als das Cineplex Vilsbiburg. 30 Jahre jung und nach wie vor kulturelles Zentrum eines Ortes, an dem es zunächst eigentlich gar nicht hätte entstehen sollen.
Aber von vorne: Es war in den späten 1980er Jahren, als Paul Fläxl und Angela Lipp-Fläxl, mit den beiden Freisinger Häusern Camera und Bavaria Kinounternehmer in dritter Generation, mit den Planungen für das begannen, was sich ihnen – nicht zuletzt über Reisen in die genannten Länder – als Zukunft des Kinos eröffnet hatte. Ein Haus, das über genügend Säle verfügte, um die ganze Breite des Kinoprogramms abbilden und Filme auch angemessen lange im Programm halten zu können. Ein Erstaufführungshaus, das es in seinen Dimensionen zwar nicht mit jenen großer Ketten würde aufnehmen können, das mit seinen Saal- und Leinwanddimensionen trotz jeweils überschaubarer Sitzplatzzahl aber meilenweit entfernt sein sollte von den einstigen Schachtelkinos, die in den 1970er Jahren in Mode gekommen waren und als deren Vater noch heute Heinz Riech gilt (dessen Rolle für die deutsche Kinowirtschaft sich aber beileibe nicht darauf reduzieren lässt). Ein Haus, das dort entstehen sollte, wo man das Publikum bereits auf seiner Seite wusste: in Freising.
Was diese Pläne durchkreuzte? Der im Mai 1992 eröffnete neue Münchner Flughafen, der die Grundstückspreise in Freising nicht etwa drückte, wie man angesichts der Nähe des Ortes zu den Start- und Landebahnen vermuten könnte. Sondern geradezu explodieren ließ. Selbst in einer Zeit, in der man in Freising mit 550 Sitzplätzen um die 220.000 Besuche pro Jahr machen konnte, war das laut der Familie Fläxl „schlicht nicht darstellbar“. Angela Lipp-Fläxls damalige Rolle als Stadträtin erwies sich insofern als glückliche Fügung. Denn bei einer Schulung lernte sie Stadtratskollegen aus Vilsbiburg kennen, die sie prompt beknieten, sich für ihren Ort als neuen Standort zu entscheiden – und damit die kommunalpolitische Forderung Nummer 1 der dortigen Jugend zu erfüllen.
Ob es nun ein Zehntel dessen war, was man in Freising für ein entsprechendes Grundstück hingelegt hätte – oder sogar noch deutlich weniger: Darauf wollte sich Paul Fläxl nach drei Jahrzehnten nicht mehr genau festlegen. Fest steht aber: Das Angebot aus Vilsbiburg war eines, das man nicht ablehnen konnte. 1991 wurde das Grundstück erworben, im Herbst 1993 war Baubeginn – und im Oktober 1994 eröffnete der „Lichtspielberg“ Vilsbiburg als erstes der heute drei „Miniplexe“ der Familie Fläxl – und startete durch. Dass 1994 ein ziemlich gutes Kinojahr war, daran erinnerten wir uns kürzlich auch gemeinsam mit Gregory Theile anlässlich des 30jährigen Jubiläums des nur wenige Wochen vor dem Vilsbiburger Haus eröffneten Kinopolis Main-Taunus, dem ersten Multiplex der Kette. „Speed“, „Der bewegte Mann“, „Der König der Löwen“, „Forrest Gump“ (in Vilsbiburg gut ein halbes Jahr im Einsatz!), alle binnen weniger Wochen. Nicht so schlecht.
Die Erwartungen an den Standort waren dabei durchaus nicht gering – denn auch wenn Vilsbiburg Anfang der 1990er noch nicht einmal 10.000 Einwohner hatte, kam man mit dem engeren Einzugsgebiet auf knapp 80.000. „Wenn die im Schnitt zwei bis drei Mal im Jahr kommen, dann läuft’s rund, hatte ich damals ausgerechnet“, schildert Paul Fläxl. Tatsächlich kamen sie sogar noch ein wenig öfter: In der Spitze waren es um die Jahrtausendwende rund 340.000. Sohn Andreas Fläxl, der mittlerweile in vierter Generation das operative Geschäft leitet, erinnert sich (die Familie war mittlerweile umgezogen und wohnte im Kinogebäude) an „komplettes Verkehrschaos am Wochenende“ – und enorme Arbeitsbelastung bei den Eltern. Die Eröffnung des Kinopolis Landshut Ende 2003 kostete in der Folge zwar „rund ein Drittel“ der Gäste in Vilsbiburg, das auch viel Publikum aus der Kreisstadt angezogen hatte, aber unzufrieden war man nie. Auch heute nicht, obwohl sich die Besuchszahlen natürlich nicht mehr mit jenen von vor 20 oder 30 Jahren messen lassen.
Was der einschneidendste Moment für den ersten „Lichtspielberg“ war, der später auch die (dann sukzessive vergrößerte) Blaupause für die Häuser in Erding und Neufahrn lieferte? Vermutlich der Beitritt der Fläxls zur Cineplex-Gruppe, der dem Kino – wenn auch erst nach Jahren – den ursprünglichen Namen kostete. „Ich dachte, wir würden unser Image beschädigen, wenn wir nicht mehr der Lichtspielberg sind“, erinnert sich Angela Lipp-Fläxl. „Und ich hatte unseren Mitarbeitern immer erzählt, wir seien kein Plex…“, ergänzt Paul Fläxl lachend. Nun, es wurde dann doch das Cineplex Vilsbiburg – und die Vorteile, unter dem Dach dieser Gemeinschaft, zu agieren, mit der man im regelmäßigen Austausch stehe, seien enorm.
Rein äußerlich hat sich am laut Paul Fläxl „vermutlich ersten Miniplex Deutschlands“ wenig geändert, auch wenn drei Jahre nach Eröffnung noch ein siebter Saal mit 50 Sitzplätzen in die Tiefgarage gesetzt wurde. Der Indoor-Spielplatz (noch heute abseits einiger Cineplex-Häuser durchaus eine Rarität in der deutschen Kinolandschaft), der die familienfokussierte Ausrichtung (die sich auch im Programm spiegelt) in besonderer Weise unterstreicht, ist weiterhin ein Magnet für die jüngsten Besucher, während die etwas älteren Gäste nach wie vor unter Beweis stellen, dass das von den Fläxls aus Österreich abgeschaute, zuerst 2007 im Freisinger Camera umgesetzte und dann 2009 nach Vilsbiburg geholte Selbstbedienungskonzept bei den Concessions ein echter Gewinn ist. „Von vier bis fünf Euro Verzehrumsatz pro Besuch hatte uns der Kollege aus Imst berichtet, wir waren damals mit 2,30 Euro glücklich“, erinnert sich Paul Fläxl. Der Tipp zahlte sich aus. Tatsächlich – und das erstaunt nach wie vor – brachte die Pandemie eine weitere Steigerung beim Verzehr mit sich, wie sie auch generell die Nachfrage nach höherwertigen Sitzkategorien steigerte.
„Natürlich sprechen wir nach wie vor noch nicht von vorpandemischen Besuchszahlen, erst recht nicht von solchen wie bei der Eröffnung – aber umsatzseitig haben sich die Kinos erstaunlich gut behaupten können“, schildert Andreas Fläxl. „Die Zahlungsbereitschaft ist hoch – wenn man entsprechend hochwertige Angebote macht“. Dass nicht zuletzt die Sitzqualität, unter anderem über die Installation von Sofareihen, für die drei Euro Aufpreis fällig werden, gerade über die Zeit der Pandemie hinweg noch einmal gesteigert werden konnte, führt er nicht zuletzt auf staatliche Unterstützung (vor allem in Form des Zukunftsprogramms) zurück, die zwar spät, aber dann doch in entscheidender Höhe gekommen sei. Mit der Größe von sieben Sälen – der Obergrenze für das ZPK I – habe man Glück gehabt, mancher Kollege sei mit etwas größeren Häusern außen vor geblieben. Besonders stolz sei man auf Maßnahmen im Bereich der Nachhaltigkeit, so habe man unter anderem in den letzten Jahren von Gas auf Wärmepumpe umgestellt, eine Photovoltaikanlage vergrößert, einen entsprechend großen Batteriespeicher angeschafft – und sei nun zu rund 70 Prozent autark. „Das war nur dank des Zukunftsprogramms möglich“, so Andreas Fläxl.
Voraussichtlich macht das ZPK in Vilsbiburg noch mehr möglich – auch wenn man selbst zum Zeitpunkt unseres Gesprächs Mitte Oktober noch auf den Förderbescheid der berühmt-berüchtigten 20-Sekunden-Förderrunde („Ich bin laut FFA bei Sekunde 3 gelandet…“) aus dem Februar (!) wartet. Pläne gebe es jedenfalls genug – nicht zuletzt die Installation eines Ultimate.-Saals mit Laserprojektion und Dolby Atmos, wie man sie bei den Fläxls schon in den Cineplex-Häusern in Erding und Neufahrn findet – und wie sie dort besonders gut nachgefragt seien. Was übrigens auch für die D-Box-Sitze in den Ultimate.-Sälen gelte, die man – so offen ist Andreas Fläxl – mangels eigener Begeisterung eigentlich eher widerwillig installiert habe, die nun aber die bestausgelasteten Plätze überhaupt seien. Und die sich laut Paul Fläxl dann doch auch als erstaunlich nuancierte „Untermalung“ des Kinoerlebnisses erwiesen.
Ob es noch Spaß macht, 30 Jahre nach der Eröffnung und in einem Kinojahr, das mit „herausfordernd“ durchaus freundlich beschrieben sein mag? „Absolut“, so die klare Antwort. Die Eltern seien froh, ihren Betrieb in guten Händen zu wissen, der Sohn blickt nach vorne – nicht zuletzt auf ein Kinojahr 2025, das wieder sehr viel besser zu werden verspreche. „Bully“ und „Eberhofer“ lauten zwei der besonderen Hoffnungsträger in Bayern. Nicht dass das ein Selbstläufer wäre, „wir konkurrieren heutzutage einfach mit einer enormen Vielfalt an Angeboten um das Zeitbudget der Menschen“, so Andreas Fläxl. Stillstand sei daher keine Option – aber nicht zuletzt der Investitionswille der Branche habe dieser enorme Resilienz verliehen. „Mitten in der Pandemie dachte ich schon, dass wir bundesweit etliche Kinos verlieren würden – aber das ist so nicht eingetreten.“
Was ihn antreibe, seien vor allem zwei Aspekte: Zum einen die grundsätzliche Lust an Gestaltung und Investition. Die Augen nach Trends offen halten, ständig daran zu arbeiten, noch ein Stück besser zu werden. „Ganz ohne Risiko geht es nicht – und da hilft der Elan der jüngeren Generation“, formuliert es seine Mutter. Zum anderen habe er sich in besonderer Weise dem Aufbau einer positiven Unternehmenskultur verschrieben, die man nach außen auch mit dem Label „Die Kinofamilie“ signalisiert. „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren viel dafür getan, frischer und schneller zu sein. Denn ein Unternehmen lebt von den Ideen seiner Angestellten – und wenn Mitarbeiter motiviert sind, Spaß an der Tätigkeit haben, dann überträgt sich das auf die Menschen, die zu uns kommen, dann sind wir gute Gastgeber“, so Andreas Fläxl.
Was die Zukunft abseits des Standortes Vilsbiburg bringt? Konkret will man sich zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht in die Karten schauen lassen, aber man kann zumindest andeuten, dass Expansion eine Option ist. Die Erweiterung des Cineplex Erding um zwei 40-Platz-Säle auf nun insgesamt zwölf Säle (in einer Stadt mit rund 35.000 Einwohnern) sei eine „sehr gute“ Entscheidung gewesen, erklärt Paul Fläxl. Zumal die Rechnung, kleinere – aber dafür zahlreichere – Säle unter einem Dach zu haben, voll aufgehe. In der entsprechenden Breite spielen zu können, bedeute, sich aus mehreren „Langläufern“ quasi noch einen zusätzlichen Blockbuster schmieden zu können. Eine Philosophie, die nach Ansicht der Fläxls gerne Nachahmer finden dürfe. Die Unternehmensstruktur gebe jedenfalls das her, was man bis 2013, als man das Vier-Saal-Kino Camera mit seinen 290 Sitzplätzen schließen musste, schon einmal gehabt habe: vier Standorte. Es muss schließlich nicht immer ein Neubau sein…