Am 25. November startet auf RTL+ eines der beachtlichsten Debüts des Jahres: Die mit Verve und Chuzpe erzählte Serie „Angemessen Angry“ über ein Zimmermädchen, das nach einer Vergewaltigung Superkräfte entwickelt, hat Regisseurin Elsa van Damke gemeinsam mit Jana Forkel geschrieben. Ein Gespräch darüber, wie aus diesem brisanten Stoff eine so sehenswerte Serie werden konnte.
Wenn man sich eine Festival-Karriere für eine Serie ausmalen könnte, müsste sie eigentlich genau so aussehen: „Angemessen Angry“ bekam zuerst ein größeres Podium auf dem Seriencamp, feierte Weltpremiere beim Filmfest München und ist nun auch für die TeleVisionale nominiert. Wie empfanden Sie die bisherige Reise?
Elsa van Damke: Als Debüt-Regisseurin ist das für mich alles schwer zu glauben. Regelmäßig muss mir meine Agentin den Kopf waschen, dass ich mich nicht kleiner machen soll, als ich bin, aber ich weiß schon, dass es sich wie eine klassische Cinderella-Story anhört: Im letzten Master-Semester nehme ich an der Storytellers-Ausschreibung von RTL+ teil, pitche das Format mit meiner Freundin Jana Forkel im Finale. Wir gewinnen das Ding, ich schreibe meine Masterarbeit und fange eine Woche später an, an dem Projekt zu arbeiten. 2023 war ich das erste Mal beim traumhaften Filmfest München und da wuchs der Wunsch, dass ich dort gerne Premiere feiern würde. Auf dem Seriencamp in Köln haben wir uns dann zwischen Mammut-Serienprojekten wie „Achtsam Morden“ und „Hameln“ vorstellen dürfen und uns klein gefühlt, als diese quasi fertige Trailer hatten und wir mit einer ungemischten Szene aus dem Schnitt auf die Bühne gingen. In den Gesprächen danach merkten wir aber, dass wir einen Nerv getroffen hatten, weil vor allem viele Kolleginnen auf uns zu kamen. Dass das jetzt alles so geklappt hat, ist wie ein Fiebertraum. Ich bin so dankbar, dass ich die Serie durch das Filmfest München und das Filmfestival Cologne so häufig mit Publikum auf der großen Leinwand gucken durfte. Ich war echt ein bisschen überrascht, wie viel bei den Vorführungen geweint wurde, was für mich auch ein Brocken war, den ich erst mal aushalten musste.
Marie Bloching spielt die Hauptrolle Amelie in „Angemessen Angry“. Ein Zimmermädchen, das nach einer Vergewaltigung Superkräfte entwickelt. Ein größeres Publikum kennt Marie durch die Prime-Video-Hit-Serie „Die Discounter“. War es schwer oder leicht, sie für diese Rolle zu gewinnen?
Elsa van Damke: Marie zu überzeugen, war überhaupt nicht schwer. Sie las die Bücher, zu denen wir generell ein sehr gutes Feedback aus allen Ecken bekamen. Ich bin unfassbar stolz auf das, was Jana und ich da geschaffen haben. Als schreibende Regisseurin stelle ich Fragen, die sich eine Drehbuchautorin nicht unbedingt stellt beim Schreiben, weil sie aus der Regie-Perspektive kommen. Jana und ich waren deshalb zusammen ein tolles Team! Sie ist unglaublich smart und schreibt wahrhaftige Figuren und Dialoge! Wir haben Marie letztendlich sehr spät angefragt. Sie war für mich immer auf der Favoritinnen-Liste, aber ich hatte auch Lust, weil die Serie ein Debüt ist, ein neues Talent zu entdecken, welches noch nicht so bekannt war. Für das Pensum mit 21 Drehtagen für 120 Minuten Serie merkten wir aber schnell, dass wir eine erfahrene Schauspielerin brauchten. Generell war es sehr schwer, diese Rolle im Casting zu besetzen, weil sie so viele Ebenen besitzt. Es ging auch um eine klare Abgrenzung zwischen mir als Creatorin und Regisseurin von der Rolle und auch von der Spielerin, weil in dem Stoff autobiografische Geschichten verarbeitet wurden und ich verwischende Grenzen und Grenzüberschreitungen vermeiden wollte. Es gab Schauspielerinnen, die mir vom Typ und Wesen her sehr ähnlich waren und damit habe ich mich nicht wohl gefühlt. So hatten wir bereits eine lange Suche hinter uns, bis wir Marie anfragten. Nach ihrem Casting war mir klar, dass ich selten eine so durchlässige, uneitle und besondere Spielerin kennengelernt habe. Sie hat für diese Rolle alles gegeben. Ich bin so beeindruckt von ihrer Professionalität und ich hoffe, dass es Anerkennung regnen wird.
Es heißt, man soll gerade beim Debüt über das schreiben, was man kennt. Aber wie schwierig ist Ihnen die Entscheidung gefallen, dieses Thema in den Mittelpunkt des ersten großen Projekts zu rücken? Zumal damit das Wissen einherging, dass Sie sich damit praktisch Jahre nochmal beschäftigen müssen.
Elsa van Damke: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ich habe in meinem allerersten Kurzfilm den Alkoholismus in meiner Familie verarbeitet, den ich als Kind miterlebte. In meinem zweiten Kurzfilm habe ich das “Tabu“-Thema Menstruation behandelt und eine absurd-komische Situation inszeniert, die mir und Freundinnen so oder so ähnlich schon mehrfach passiert ist. In meinem Abschlussfilm „Lang lebe der Fischfriedhof“ geht es um mentale Gesundheit, was auch ein Thema ist, welches nah an mir dran ist, weil ich schon durch zwei schwerere depressive Episoden in meinem Leben gehen musste. Ich merke natürlich, dass die künstlerische Arbeit kein Ausgleich für Therapie ist, aber dass es schon einen heilenden und selbstermächtigenden Effekt hat. Das Konzept zu „Angemessen Angry“ entstand 2019. Es war zuerst ein Two-Pager als Kinoprojekt für meine Bewerbung an der Hamburg Media School.
Unterschätzten Sie damals die potenzielle Wirkung?
Elsa van Damke: Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, was es bedeutet, sich zwei Jahre lang hauptberuflich und tiefgehend mit diesem Thema und der Recherche zu beschäftigen. Das habe ich retrospektiv betrachtet etwas zu leicht genommen. Jetzt fühlt sich alles noch wie ein Prozess an. Wir haben uns viele Fakten angeschaut und uns mit der Rechtslage in Deutschland und der Dunkelziffer beschäftigt, was Strafverfolgung angeht. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht. Diese Aussichtslosigkeit lässt einen so taub werden und nimmt einem so viel Energie und Hoffnung. Aber ich merke auch, wie viel Kraft, Heilung und Verschwesterung in dem Stoff steckt. Und das wiederum gibt Hoffnung. Die Geschichte von „Angemessen Angry“ hat viele autobiografische Stellen, aber auch Geschichten, die Freundinnen passiert sind. Meine Antwort auf die Frage, mit wie vielen Frauen ich für die Recherche sprach, lautet immer: null. Dafür musste ich nicht in Recherchegespräche treten, weil das alles schon da war. Die Serie besteht aus 28 Jahren Sammlung aus Küchen- und Couch-Gesprächen mit Freundinnen und weiblichen Familienangehörigen. Und leider enthält sie nur einen Bruchteil der Geschichten, die wir erleben mussten. Ursprünglich fand die Vergewaltigung in der Serie in einem dunklen Park statt, wurde aber nicht von einem „Weirdo“ oder betrunkenen Mann begangen, wie es in vielen Mythen immer heißt. Tatsächlich ist das ein prozentual gesehen minimaler Anteil dieser Art von sexuellen Übergriffen. Es sind oftmals Menschen, die einem nahestehen oder Menschen am Arbeitsplatz. Für uns war klar, dass unser Haupttäter Geschäftsmann und Familienvater sein muss, weil es eine neue und nötige Erzählung ist. Und die Wahrheit. Wir arbeiteten bei dem Projekt mit Sophie Charlotte Rieger zusammen.
Eine Journalistin, Drehbuchlektorin und Beraterin, die das feministische Online-Filmmagazin „Filmlöwin“ betreibt.
Elsa van Damke: Sie beriet uns als Sensitivity Reader und mokierte, dass die Rolle des Mannes gut gewählt, der Ort in unserem Drehbuch allerdings immer noch die „dunkle Gasse“ sei. Das sei eben ein weiterer Mythos und eine Erzählung, die sich durchgesetzt habe. Bei der Suche nach dem neuen Ort haben wir uns dann für den Arbeitsplatz entschieden, um auch zu zeigen, dass unsere Protagonistin nicht einfach mal den Job wechseln kann, sondern wieder an diesen Ort zurückmuss, dorthin, wo sie vergewaltigt wurde.
Eines der verruchtesten Genres der Filmgeschichte ist der Rape ‘n‘ Revenge Film, bei dem bislang hauptsächlich Männer Regie führten. „Angemessen Angry“ lässt sich in seinen Entscheidungen jetzt wie ein Meta-Kommentar auf diesen Teil der Filmgeschichte verstehen. Wie bewusst hat sich Ihre Inszenierung von Gewalt in der Serie auch als Gegenstück zu diesem Genre verstanden?
Elsa van Damke: Ich wollte eine Serie machen, die ich gebraucht hätte damals oder auch immer noch brauche, um ehrlich zu sein. Was ich damals nicht gebraucht hätte, sind zahlreiche Filme – auch innerhalb des Genres des Rape ‘n‘ Revenge Films-, die Bilder reproduzieren, die aus einem Male Gaze erzählt werden oder potenziell retraumatisieren. Das war eine unserer allergrößten Herausforderungen bei diesem Stoff. Wir untersuchten, wie Vergewaltigungen für gewöhnlich erzählt werden. Das betrifft die Ästhetik und die Fragen, wie gewaltvoll oder gar sexualisiert sie gezeigt werden oder ob sie aus Sicht der Täter oder der Überlebenden bebildert werden. Wir haben uns auch genau überlegt, welche Art von Bildern welche Gefühle auslösen könnten bei Betroffenen. Es war eine riesige Aufgabe für meine Kamerafrau Doro Götz und mich, festzulegen, was und wie explizit wir etwas zeigen. Darüber sprachen wir auch viel mit unserer Intimitätskoordinatorin Julia Effertz. Eine Frage war, welche Bilder es braucht, um klarzumachen, was passiert. Den Rest ergänzt sowieso das Gehirn. Bilder sind in unseren Köpfen häufig viel schlimmer als das, was wir sehen. Im Film ist man generell abgestumpft. Es gibt wenig, was man noch nicht gesehen hat. Als Filmemacherin frage ich mich immer, mit welcher Haltung ich erzähle. Bei dem Rapper Yung Pesto in unserer Geschichte muss man nicht sehen, wie er ein bewusstloses Mädchen vergewaltigt. Für uns reichte, dass er mit einem minderjährigen Fan in einer Bar ist und ihr in einem Moment der Ablenkung K.o.-Tropfen ins Glas macht. Damit ist eigentlich alles erzählt. Wir hoffen, dass unsere Bilder respektvoll sind, auch wenn ich weiß, dass sie wahrscheinlich trotzdem manche Betroffene triggern können. Das tut mir im Herzen weh, aber ich musste Entscheidungen treffen, was ich für meine Geschichte brauche und stehe hinter diesen Entscheidungen.
In der Serie ist ein bewusst gesetzter Ausschnitt aus einem Reality-TV-Format von RTL zu sehen. Es ist ein sehr interessantes Spannungsfeld, dass „Angemessen Angry“ jetzt am 25. November auf RTL+ veröffentlicht wird, wo das eines der erfolgreichsten Genres ist.
Elsa van Damke: Ich bin absolut Reality-TV-süchtig, wahrscheinlich eine der treuesten Kundinnen von RTL+ und hinterfrage aber trotzdem, warum ich als Konsumentin solche Formate so leidenschaftlich schaue. Ich liebe das Genre, weil man dort manchmal echte Dialog-Perlen und eine Zwischenmenschlichkeit findet, die man sich im Schreibprozess gar nicht ausdenken vermag. Das große zentrale Thema von „Angemessen Angry“ ist die Rape Culture, in der wir leben und in der wir alle sozialisiert wurden: Eine Gesellschaft, die die Sexualisierung und Objektifizierung und oft auch die damit einhergehende Dehumanisierung und Abwertung von Frauen begünstigt. Von dieser sind wir alle nicht frei. Auch im TV findet sich dies wieder: Wenn wir den Fernseher einschalten, sehen wir ständig normalisiertes übergriffiges Verhalten an Frauen. In jedem zweiten „Tatort“ liegt eine tote nackte Frau im Wald. Das sind Bilder, die uns nicht mehr schocken. Sie sorgen für eine Normalisierung und Bagatellisierung von sexuellen Übergriffen. Doch ich merke einen Wandel, vor allem auch im Reality-TV-Genre. Sender, Kommentator:innen und Moderation gehen immer mehr auf Fehlverhalten ein, ziehen Konsequenzen und kommentieren wertend. Ich finde es wichtig, dass man in den Diskurs geht. RTL ist nicht nur Reality-TV. Besonders die Fiction hat viele gute Formate. Ich werde häufiger gefragt, wie ich mit meiner politischen Haltung „zu RTL gehen konnte“. Ich habe mich bei unserem RTL-Redakteur Thomas Disch extrem wohl gefühlt, und er war in den vergangenen zwei Jahren ein starker Partner. Ich habe auch das Gefühl, dass die Serie intern bei RTL generell sehr gemocht und gepusht wird.
Man darf supergespannt sein, was Sie als Nächstes machen werden. Gibt es am Horizont schon ein spruchreifes Projekt?
Elsa van Damke: Ich arbeite gerade an einem nächsten Comedy-Serienprojekt mit Jana Forkel und Sophie Dittmer, wo es genau um das geht: Um unser gesellschaftliches Verhalten zu den sozialen Medien und auch zum Reality-TV. Parallel arbeite ich an meinem Kinodebüt. Ich bin froh, dass ich gerade stattfinden darf und sich viele Menschen für das interessieren, was in meinem Kopf vor sich geht. Ich fühle mich in der Comedy am wohlsten und versuche komödiantische Stoffe mit gesellschaftspolitisch ernstzunehmenden Themen zu verbinden. Frausein, sexualisierte Gewalt und intersektionaler Feminismus werden dabei für mich immer eine große Rolle spielen.
Das Interview führte Michael Müller
Credits: Produzent:innen von „Angemessen Angry“ sind Solmaz Azizi und Lasse Scharpen (beide Studio Zentral), als Producerin zeichnet Clara Gerst verantwortlich. Development Producerin ist Sophya Frohberg. Die Drehbücher stammen von Jana Forkel und Elsa van Damke, Regie führt Elsa van Damke. Die redaktionelle Verantwortlichkeit seitens RTL+ liegt bei Thomas Disch unter der Leitung von Hauke Bartel, Bereichsleiter Fiction RTL Deutschland.