Unkonventionelle und faszinierende antiromantische Komödie über einen Familienvater, der seine Ehe retten will, indem er seine Frau und seine Teeangerkinder auf ein Wochenende der Erinnerung mitnimmt.
FAST FACTS:
• Französisches Starkino der etwas anderen Art mit Charlotte Gainsbourg und José Garcia
• Regiedebüt des 34-jährigen Florent Bernard, besser bekannt als FloBer
• Antiromantische Komödie für ein erwachsenes Publikum
CREDITS:
O-Titel: Nous, les Leroy; Land / Jahr: Frankreich 2024; Regie, Drehbuch: Florent Bernard; Besetzung: Charlotte Gainsbourg, José Garcia, Lily Aubry, Hadrien Heaulmé, Lyés Salem, Luis Rego, Louisa Baruk; Verleih: Weltkino; Start: 19. Dezember 2024
REVIEW:
Ziemlich exakt fünf Minuten benötigt „Es liegt an dir, Chéri“, um mittels Nachrichten auf einem Anrufbeantworter ein komplettes Familienleben zu durchmessen, von der ersten Romanze der Eltern über das Aufwachsen der Kinder hin zu dem Punkt, an dem die Handlung einsetzt: Nichts Schwerwiegendes ist passiert, nur die Zeit, 20 Jahre, aber Sandrine, gespielt von Charlotte Gainsbourg, diese schönste und coolste aller französischen Schauspielerinnen, ohne eine klassische Schönheit zu sein, halb Papa Serge, halb Mama Jane Birkin, spürt die Liebe nicht mehr und trifft für sich eine folgenschwere Entscheidung: Sie will Christophe verlassen, ihren von José Garcia aus „Das Beste kommt noch“ gespielten Mann, der davon nichts ahnt, der Sandrine immer noch liebt, auch wenn die Romantik längst weg ist, weil er sich sein Leben ohne sie nicht vorstellen kann.
Das setzt die eigentliche Geschichte des Regiedebüts des 33-jährigen Florent Bernard in Bewegung, der sich selbst FloBer nennt und gerade erst Sébastien Vanicek beim Drehbuch von dessen erstklassigen Schocker „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“ unter die Arme gegriffen hatte. Er erzählt eine, naja, antiromantische Komödie, einen lustigen und ernsten Film über eine verzweifelte Intervention, der unerwartete Haken schlägt und zu unerwarteten Ergebnissen kommt. Der chronisch überarbeitete Christophe will retten, was zu retten ist von „Les Leroy“, wie es auf dem handgeschriebenen Namensschild vor ihrem kleinen Häuschen in der Vorstadt steht, von den Leroys, seiner Ehe, seiner Liebe, der Beziehung zu seinen fast erwachsenen Kindern, für die er so viel Überstunden in seinem Leihwagenbetrieb macht, dass keine Zeit mehr für sie bleibt, und von seinem Leben, an das er sich klammert, weil es heißen würde, dass er all das umsonst gemacht hätte, wenn es ihm auf einmal durch die Finger ränne.
Also überrumpelt er die Familie und nimmt sie in einem alten Geländewagen mit auf einen dreitägigen Trip der Erinnerung. In Amerika käme aus einem solchen Szenario eine dieser Roadtripkomödien heraus wie „Vacation“ oder „Wir sind die Millers“, also eine witzige Gagparade mit einem gewissen Maß an Harmoniesucht, oder vielleicht eine etwas schrägere Variante wie „Little Miss Sunshine“, aber gewiss kein Film, der so gegen den Strich gebürstet ist wie „Es liegt an Dir, Chéri!“, der unglaublich komische Szenen so entschlossen gegenbalanciert mit ernsten Momenten, dass er sich nie so richtig ausrechnen lässt. Es ist ein Schwachsinnsplan, den Christophe da verfolgt, aber in seiner Aussichtslosigkeit hat er etwas entwaffnend Anrührendes. Wer nicht für eine Frau kämpft wie Sandrine, mit ihren verwuschelten Haaren, ihrem schwarzen Rock-T-Shirt, ihrem ach so lässigen Trenchcoat und den Röhrenjeans, die sie aufreizend zufällig in ihre Boots von Isabel Marant steckt, der ist, ehrlich gesagt, ein größerer Narr, als wenn er einfach die Realität akzeptierte, dass nichts mehr zu holen ist. Und so begibt man sich auf einen Trip in die scheußlicheren Ecken des Landes, unbehauste Industriegebiete, Wohnblocks, Tankstellen, Parkplätze, in das gleißende Licht von Neonröhren getauchte Gaststätten und Billigmotels, die man nur bucht, wenn man törichterweise nach den „best hotels“ einer Gegend googelt und dann das Etablissement wählt, das „Best Hotel“ heißt.
Für sich genommen, sind die meisten Szenen erfüllt von einem absurden Humor, beim Besuch der Wohnung, wo Sandrine und Christophe erstmals zusammenlebten und jetzt ein Psycho mit Hammer mit seiner Mama wohnt, auf einem Stadtplatz, wo sich die Familie von einem Karikaturisten verewigen lässt und in einen handfesten Streit mit ihm gerät, in einem schäbigen Restaurant, wo Christophe seine Liebe zu Sandrine mit einem Karaoke-Auftritt erneuern will. Zusammengenommen offenbaren sie eine tiefe Traurigkeit und Verzweiflung, amplifizieren sie die Zerrüttung der Leroys. Nicht nur die Erwachsenen haben ihr Päckchen zu tragen. Sohn Bastien hängt immer am Handy und wäre lieber Zuhause, weil sich wiederum seine Freundin von ihm trennen will. Tochter Loreleï fühlt sich als fünftes Rad am Wagen: Blutgetränkte Bandagen um ihre Handgelenke wären plärrende Hilferufe, wenn sich nur mal jemand die Mühe machen würde, genauer hinzuschauen. So drängen die vier Leroys allesamt in verschiedene Richtungen. Wenn Mama eine Flasche oder Dose öffnet, kann man sicher sein, dass sie überschäumen wird, so sehr stehen alle unter Druck.
Erfrischend undiszipliniert und respektlos ist „Es liegt an dir, Chéri!“, ein Film, der nie den Weg des geringsten Widerstands geht, sondern das Leben schön und erstrebenswert, aber manchmal auch eine offene Wunde sein lässt, bevor es weitergehen kann. Das ist die eigentliche Botschaft, die die Figuren lernen müssen: Love conquers all, aber manchmal ist es nicht die romantische Liebe, die überdauert. Das hat einen Rock’n’Roll-Spirit, wie man ihn von einem Film erwarten kann, dessen Hauptfiguren Poster von Eric Clapton und Pink Floyd, aber auch Jane’s Addiction und Nirvana an den Wohnzimmerwänden haben, auch wenn die beste Musik hier eine wuterfüllte Karaokeversion von Gérard Lenormans „Voici les clés“ ist. Am Schluss wird das handgeschriebene Namensschild entfernt, aber es wird nicht weggeschmissen. Der Blick von Filmemacher Bernard ist liebevoll und nach vorn gerichtet, er lässt Charlotte Gainsbourg eine Heldin sein, trotzig und unerschütterlich, und José Garcia vielleicht einen Narren, aber einen Narren, der schließlich kapiert, wo’s langgeht. In „Autres directions“, das letzte Bild des Films, den man gerne empfehlen will.
Thomas Schultze