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Chiara Fleischhacker zu „Vena“: „Die Kraft von Bildern ist Wahnsinn“

„Vena“ ist ein Brett. Gefeiert in Hamburg, ausgezeichnet mit zwei First Steps Award und dem Hamburger Produzentenpreis. Jetzt kommt das Regiedebüt von Chiara Fleischhacker im Verleih von Weltkino in die Kinos. Wir unterhielten uns mit der Filmemacherin. 

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Regisseurin Chiara Fleischhacker und ihr Film „Vena“ (Credit: Weltkino)

Sie haben vier Jahre mit „Vena“ verbracht – und werden nun mit verdienten Preisen belohnt. Das ist toll, war aber gewiss nicht das, was Ihnen durch den Kopf ging, als Sie das Projekt angestoßen haben…

Chiara Fleischhacker: Am Anfang stand die Idee. Als ich mit meiner Tochter schwanger war, befand ich mich gerade im Schneideraum zu einem Dokumentarfilm zum Thema Strafe und Strafvollzug und habe mich gefragt, wie es ist, wenn schwangere Frauen in Haft müssen. Mich treibt sehr stark die Neugierde an, das Leben kennenzulernen, immer weiterzuforschen, immer weiter die Welt zu begreifen. Da war ganz viel das Bedürfnis, das nach außen zu tragen. Wobei der größere Drang daherkam, auch diese vulnerablen Momente einer Frau, einer jungen Mutter zu verarbeiten und ins Drehbuch zu übertragen.

Warum finden Sie, dass Film das richtige Medium ist, sich mit diesem Thema zu befassen? 

Chiara Fleischhacker: Die Kraft von Bildern ist Wahnsinn. Wir definieren uns selbst darüber, was wir sehen. Wir werden, was wir sehen. Wir brauchen sehr lange, uns für Wege zu entscheiden, die gegen das Gesehene und Vorgelebte laufen. Deswegen sehe ich Kino als schönstes Medium, um Geschichten zu erzählen. Und eben nicht nur einfach zu erzählen, sondern Figuren über Bilder zu durchdringen, nahbar zu machen, erlebbar zu machen. Ich könnte mir nichts Stärkeres vorstellen. Für mich ist es ein wunderschönes Medium, eine Figur wertschätzen zu lernen. Man kann ganz viel Liebe vermitteln über die Farblichkeit, die Bildgestaltung, über das Soundsystem. Wir saßen endlos in der Mischung mit unseren tollen Foley-Artists, die jedes Krabbeln eines Marienkäfers, jedes Fingernagelknipsen nachvertont haben. Wir haben viel Zeit darauf verwendet, jeden noch so kleinen Atmer von Jenny herauszuholen. Film hat wundervolle Mittel, um sich der Figur ganz nah zu fühlen und in eine Welt eintauchen zu lassen, die uns fremd ist und wahrscheinlich nicht begreifbar wird, wenn man sie einfach nur erzählt.

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Chiara Fleischhacker, Regisseurin des als bester abendfüllender Film ausgezeichneten „Vena“, bei der Verleihung der First Steps Awards (First Steps Award 2024 / Eventpress)

Warum ist „Vena“ ein Spielfilm geworden?

Chiara Fleischhacker: Ich komme aus dem Dokumentarischen. Was die Hebamme Mala angeht im Umgang mit Jenny und ihrer Professionalität, so sind das Themen, die junge Filmschaffende oder junge Menschen, die angetrieben sind von Idealismus und auch einer gewissen Portion Naivität, direkt ansprechen. Mich hat das persönlich beschäftigt in meinen dokumentarischen Arbeiten: Wie gehe ich um mit mir und meinen Protagonisten? Wie kann ich so tief in das Leben Anderer eintauchen und mich gleichzeitig aber auch abgrenzen? Im szenischen Arbeiten habe ich eine gewisse Art von Selbstschutz auch gefunden. Man kann das Erlebte auf eine andere Weise vermitteln. Ich kann den Ausdruck generieren, der mir wichtig ist.

Und doch lebt der Film auch davon, dass er streckenweise regelrecht dokumentarisch anmutet.

Chiara Fleischhacker: Ich arbeite dokumentarisch in Hinblick darauf, dass die Recherche so aufwändig war und einen großen Raum einnahm. Aber der Output im Szenischen ist für mich mittlerweile so wie noch einmal Luft Holen und all diese vielen Bilder noch einmal zu ordnen. Ich muss sagen, dass es mir im Dokumentarischen zunehmend schwerfiel, den Konflikt im Film zu suchen, der für einen Film wichtig ist, obwohl ich doch meiner Hauptfigur immer nur das Beste gewünscht habe. Das war eine Diskrepanz. Dieses Paradoxon hat mir nicht mehr gefallen. Ich will nicht ausschließen, wieder dokumentarisch zu arbeiten. Aber ich empfinde das Szenische für mich als die bessere Form, um meiner Wahrnehmung der Welt Raum zu geben.

Können Sie den Schritt vom Dokumentarischen zur Inszenierung noch genauer beschreiben?

Chiara Fleischhacker: Es war kein Sprung ins kalte Wasser. Ich habe an der Filmakademie Ludwigsburg studiert, wo man den ersten szenischen Film gleich im ersten Jahr macht. Da habe ich also bereits Erfahrungen gesammelt, selbst auch das Drehbuch geschrieben. Dann hatte ich in Paris mit der La Fémis einen Austausch, wo ich ebenfalls szenisch gearbeitet habe, ebenso im Atelier Ludwigsburg-Paris. Die Überschneidung zwischen dokumentarischem und szenischem Arbeiten gab es also schon immer. Ich begreife mich aber immer mehr als Geschichtenerzählerin, ich will selbst gestaltete Bilder in die Welt tragen, finde Fotografie spannend, Storytelling. Es kann ganz verschiedene Kanäle haben. Meine Tochter sagte gerade erst zu mir, sie wolle sich nicht entscheiden zwischen Astronautin und Prinzessin, sondern würde das einfach nacheinander machen. Das trifft es sehr gut. Wir bewegen uns in einer sehr freien und unstrukturierten Branche, dass ich mich auch gar nicht festlegen will. Und es zum Glück auch nicht muss. 

Das ist ein gutes Stichwort: Inwiefern hat es Sie als Filmemacherin berührt oder verändert, Mutter geworden zu sein?

Chiara Fleischhacker: Mutter zu werden, war eine der einschneidenden Veränderungen in meinem Leben. Alles ist anders. Die Mutterschaft hat auch ein großes Bedürfnis in mir ausgelöst, Bilder und Geschichten in die Welt zu tragen. Was meine Art und Weise, Geschichten zu erzählen und zu realisieren, aber noch stärker verändert hat, ist der Umstand, dass ich alleinerziehende Mutter bin. Das hat mich in eine so druckvolle Situation gebracht, dass ich gar nicht mehr meine Bedürfnisse runterschrauben konnte, was man als Frau oft tut. Wir arbeiten wahnsinnig viel unbezahlt. Das machen wir, weil wir unseren Wert nicht verkaufen, weil wir nicht für uns einstehen, weil wir nicht selbstbewusst verhandeln. Irgendwann gab’s da keine Chance für mich. Wenn ich nicht für mich einstünde, für meine Arbeitsbedingungen, für meine Gagen, dann hätte es mich in der Filmwelt nicht mehr gegeben. Alleinerziehende Mutter zu sein, war ein krasser Faktor. Klar auszusprechen, was meine Bedürfnisse sind, war meine einzige Chance, in der Branche zu bestehen. Und hat sehr stark meine Art, Filme zu machen, verändert.

Hat das Ihr Kino persönlicher gemacht? Ist „Vena“ ein persönlicher Film?

Chiara Fleischhacker: Die Reflektion, welche Anteile des Films ganz intensiv aus mir selbst herauskamen, fand gewiss später statt, nicht während der Vorbereitung oder Umsetzung. Aber definitiv ist „Vena“ ein sehr persönlicher Film, weil ich mit „Vena“ seit meine Tochter geboren ist lebe. Es gibt für mich keine Zeit der Mutterschaft, in der „Vena“ nicht auch dagewesen wäre und mich beschäftigt hätte. Natürlich habe ich in den Figuren auch Elemente von mir verankert, woraus der Film gewiss auch einen Teil seiner Kraft bezieht. Ich denke, das trifft auf alle Filmschaffenden zu, mit Ausnahme höher budgetierter Projekte vielleicht. Ob es die Figur Mala ist und der kleine Hint auf Essstörungen, dann ist das natürlich etwas, das ich über mich selbst erzähle, das ich vielleicht auch persönlich durchlaufen habe. Oder die Geschichte, die Jenny durchläuft. Mangelnder Selbstwert ist ein Punkt, der mich selbst lange Jahre begleitet hat. Ich hatte einen sehr kaputten Selbstwert und habe mich deshalb in Situationen begeben, von denen ich dachte, dass sie mir gerecht werden. Das waren definitiv Erfahrungen, die ich verarbeitet habe, ebenso wie der Prozess, sich da herauszulösen und für sich einzustehen, gute Entscheidungen zu treffen, sich selbst zu achten. 

Wenn Sie auf die Erfahrung der letzten vier Jahre blicken, wie fällt Ihr Urteil aus, Ihre Bewertung?

Chiara Fleischhacker: Ich fange an, langfristiger zu denken. „Vena“ ist aus dem Moment heraus entstanden, war immer im Moment. Es standen immer die Dinge im Fokus, die gerade erledigt werden mussten: das Drehbuch schreiben, die Hoffnung darauf, dass der Stoff tatsächlich produziert wird. Eine Ahnung davon zu haben, was auf dem Weg auf uns zukommen würde, welche Hindernisse es zu bewältigen gäbe, davon war ich weit entfernt. Ich denke, man bekommt bei allen Projekten der Mitstudierenden mit, wie hart die Drehbedingungen sind. Aber das in Kombination mit meiner Mutterschaft war extrem. Natürlich war mein erster Gedanke: Ich möchte es umsetzen. Und ich hätte niemals gedacht, dass ich in der Lage sein könnte, so an und über meine Grenzen hinauszugehen. Wir waren mit so vielen Extremsituationen konfrontiert, bin hin zum Drehabbruch. Das habe ich mir weder so vorgestellt, noch hätte ich mir das jemals so gewünscht. 

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„Vena“ von Chiara Fleischhacker (Credit: Neue Bioskop Film)

Sind Sie zufrieden mit Ihrem Film?

Chiara Fleischhacker: Auf jeden Fall. Zufrieden ist absolut untertrieben. Ich bin tatsächlich stolz, was wir geschafft und was wir geschaffen haben als sehr weibliches Team. Wir sind einfach für vieles eingestanden, das nicht selbstverständlich in unserer Branche ist. Wir haben uns Dinge erkämpft. Ich habe ein Au-Pair bekommen. Wir haben einen zweiten Drehblock bekommen, unter besseren Bedingungen. Wir haben immer unsere Zuversicht und Hingabe und Liebe für den Film bewahrt. Das war eine Herausforderung. Weil wir kämpfen mussten. Und da bin ich tatsächlich stolz, dass wir so viel Zärtlichkeit für unsere Figuren und unseren Film bewahren konnten. Ich bin glücklich, dass er seinen Weg findet, so viel Zuspruch und Lob erhält. Ich habe ein sehr positives Gefühl dabei. 

Weckt er in Ihnen das erhoffte Gefühl?

Chiara Fleischhacker: Es war ein tolles Gefühl, ihn erstmals mit einem Publikum zu sehen. Aber es war auch ganz anders, als ich mir das ausgemalt hatte. Das unterstreicht für mich den langen Weg, den wir gegangen sind, der anders war, als ich es gedacht hätte. Der sich für mich aber gelohnt hat.

Das Gespräch führte Thomas Schultze.