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REVIEW TV: „Die Zweiflers“

Am heutigen Sonntag hat bei Canneseries die ARD-Serie „Die Zweiflers“ ihre Weltpremiere gefeiert. SPOT sagt, warum das sehr sehenswerte Format von Showrunner David Hadda auch einen der großen Preise verdient.

ARD-Serie "Die Zweiflers"
Aaron Altaras (l.) und Saffron Coomber (Credit: ARD Degeto/HR/Turbokultur/Elliott Kreyenberg)

CREDITS:

„Die Zweiflers“, Produktion: Turbokultur, ARD Degeto; Auftraggeber: HR für ARD; Creator & Showrunner: David Hadda; Produzenten: David Hadda, Martin Danisch; Bücher: David Hadda, Sarah Hadda, Juri Sternburg; Regie: Anja Marquardt, Clara Zoe My-Linh von Arnim; 6 Episoden; Start: ab 3. Mai 2024 in der ARD-Mediathek & ab 10. Mai 2024 um 22.20 linear im Ersten

REVIEW:

Neben den beiden deutschen Koproduktionen „Moresnet“ und „This Is Not Sweden“ läuft mit „Die Zweiflers“ auch eine rein deutsche Serienproduktion im Internationalen Wettbewerb von Canneseries. Die Weltpremiere ist am heutigen Sonntag an der Croisette. Nach „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ ist das schon die zweite bedeutsame Konkurrenz eines prestigeträchtigen internationalen Serienfestivals, in der eine ARD-Serie einen Slot erhält.

Dieser prominente Platz ist dabei mehr als verdient, weil die Dramedy „Die Zweiflers“ von Showrunner David Hadda und der Produktionsfirma Turbokultur über eine jüdische Familie mit einem Delicassen-Imperium im heutigen Frankfurt am Main ein echter Volltreffer ist. Es ist eine epische Familiensaga, die vor Leben, Humor, Weltschmerz, Wärme, dichten Atmosphären, flirrenden Stadtbildern und starken Schauspielleistungen nur so strotzt.

Frankfurt leuchtet wie New York

Die ARD mit der federführenden ARD Degeto und dem HR ist hier ein klares Wagnis eingegangen, weil sie mal nicht jüdisches Leben unter Nazi-Herrschaft oder in einer ultraorthodoxen Gemeinde in New York, sondern mitten aus dem jetzigen Leben gegriffen im geographischen Herzen Deutschlands zeigt. Showrunner David Hadda steckte schon hinter der Grimme-Preis prämierten Sendung „Freitagnacht Jews“ und der fantastischen ZDFneo-Serie „Deadlines“. Aber „Die Zweiflers“ zielt als High-End-Serie vom Aufwand und der Ambition nochmal etwas höher. Allein wie Kameramann Phillip Kaminiak Frankfurt am Main mit seinen Straßen und dem Rotlichtviertel in der Nähe des Hauptbahnhofs mit dem richtigen Licht so filmt, als sei es New York und die faszinierendste Stadt der Welt, begeistert.

Quelle: YouTube

In der sechsteiligen Serie geht es um den Familienpatriarchen Symcha Zweifler, gespielt von Mike Burstyn, bislang eher bekannt durch jiddisches Theater am Broadway. Dieser plant, das Delicatessen-Imperium in Frankfurt zu verkaufen, was Unruhe in die Familie bringt. Will er damit nur eines der Enkelkinder provozieren, doch seine Nachfolge anzutreten? Was wird aus den Beschäftigten wie Tochter Mimi Zweifler (Sunnyi Melles), deren Lebenssinn aus der Arbeit besteht? Zumal die Enkelkinder des Familienpatriarchen ganz eigene Probleme haben: Samuel Zweifler (Aaron Altaras) bekommt zusammen mit Köchin Saba (Saffron Coomber) ein Kind, Dana Zweifler (Deleila Piasko) steckt in Israel fest und Leon Zweifler (Leo Altaras) verarbeitet die Familienangelegenheiten in Kunstwerken, die nicht nur auf Gegenliebe stoßen.

„Die Zweiflers“ ist sicherlich kein Format, das sich an ein Mainstream-Publikum anbiedert. Hier wird mehr jiddisch oder englisch als deutsch gesprochen, um so authentisch wie möglich die Atmosphäre in der Familie zu schildern. Ein gutes Beispiel dafür ist das Kennenlernen von Womanizer Samuel und Saba. Wie die beiden auf dem Hinterhof eines Lokals auf Englisch miteinander anbandeln und wie deren Verliebtsein in flirrend-lebendigen Bildern in verschwitzter Atmosphäre zwischen Leckereien auch mit amerikanischer Soul-Musik erzählt wird, ist in dieser Qualität selten im deutschen Fernsehen zu sehen.

Die Familie Zweifler in der ARD-Serie
Die Familie bei der Kunstausstellung (Credit: ARD Degeto/HR/Turbokultur/Elliott Kreyenberg)

Mit diesem Talent für Bilder und Stimmungen ist die gesamte Familie geschildert, die zwischen Weltschmerz und Joie de vivre schwankt und im Hintergrund immer die große Frage schwebt, warum man überhaupt im Land der Täter leben will. Die Regisseurinnen Anja Marquardt und Clara Zoe My-Linh von Arnim erzählen aber auch den Druck, den sich die Familie selbst macht. Das fängt beim emotionalen Chaos an, der beim regelmäßigen Schabbat-Treffen entsteht und bei der Frage endet, ob das neue Familienmitglied Saba nicht noch vor der Geburt des Sohnes zum Judentum übertreten und deren Kind dann unbedingt beschnitten werden muss.

Die Serie bietet so einen faszinierenden, sehr süffigen und unterhaltsamen Blick auf einen jüdischen Mikrokosmos, der in seiner Genauigkeit der Schilderung auch eine Allgemeingültigkeit für Familienstrukturen, Generationenkonflikte und die Frage nach Identität liefert. Und gerade in einer Welt, in der sich der wachsende Antisemitismus auch öffentlich immer mehr zeigt, sind „Die Zweiflers“ ein wichtiges popkulturelles Gegengewicht.

Superstar Aaron Altaras

In einer gerechten Welt würde der brandoeske Aaron Altaras durch seine Rolle des Samuel zu einem Superstar werden. So zerrissen ist seine Figur zwischen dem Hedonismus seines Lebens als Musikmanager in Berlin und den familiären Verpflichtungen in Frankfurt. Aber eigentlich sollte man bei dem Cast, bei dem die Casting Director Liza Stutzky und Berti Caminneci helfend unter die Arme griffen, niemanden herausgreifen, weil sie als Ensemble und glaubhafte Familie so gut miteinander funktionieren.

„Die Zweiflers“ fühlt sich so an, als ob der umfeierte „We Own the Night“- und „Two Lovers“-Regisseur James Gray eine deutsche Miniserie gemacht hätte: Sinnlich, sehr persönlich, witzig, neurotisch, stilsicher, manchmal laut und anstrengend, aber mit schwelgerischen Kamerabewegungen und voller aufregender Figuren.

Michael Müller