Neuverfilmung der norwegischen Serie „Øyevitne – Eyewitness“ mit Nicolette Krebitz als Ermittlerin sowie den beiden beeindruckenden Newcomern Philip Günsch und Marven Gabriel Suarez-Brinkert und Lucas Gregorowicz in einer außergewöhnlichen Täterrolle.

FAST FACTS:
• Wieder von der fleißigen Anna-Katharina Maier inszeniert („Tage, die es nicht gab“, Staffel 1&2, „Blutspur Antwerpen“)
• Mit einem hervorragenden Lucas Gregorowicz in einer schillernder Täterrolle
• Von Bantry Bay Productions, die zuletzt u.a. mit der Serie „Push“ für tolles Programm sorgten
CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland 2025; Regie: Anna-Katharina Maier; Drehbücher: Jens-Frederik Otto, Anil Kizilbuga, Michael Vershinin; Cast: Nicolette Krebitz, Lucas Gregorowicz, Philip Günsch, Marven Gabriel Suarez-Brinkert, Lana Cooper, Michael Kranz, Shenja Lacher, Michele Cuciuffo, Ercan Durmaz u.a.; Casting: Nicole Schmied; Kamera: Holger Jungnickel; Kostüm: Stefanie Schroeter; Schnitt: Lucas Meissner; Szenenbild: Patrick Steve Müller; Produktion: Bantry Bay Productions in Zusammenarbeit mit Servus TV im Auftrag der ARD Degeto Film für die ARD; Ausstrahlungstermin: 3. Mai, 20.15h im Ersten; online first ab 2. Mai in der ARD Mediathek
REVIEW:
Dass Skandinavien guten Krimi und guten Thriller kann, ist kein Geheimnis mehr. „Øyevitne – Eywitness“ von Regisseur Jarl Emsell Larsen aus dem Jahr 2014 muss so ein gutes Stück Thriller sein (die Rezensentin hatte leider keine Gelegenheit, reinzugucken). Warum sonst würde der Stoff bereits schon zum vierten Mal in eine andere Sprache adaptiert werden? Es existiert eine amerikanische, eine rumänische und eine französische Variante des Stoffs. Und nun also auch eine deutsche. Diese 4×45 Minuten stammen aus der Feder eines Autorentrios, Jens-Frederik Otto („Der Fall Collini“), Michael Vershinin („Ein Krimi aus Passau“) und Anil Kizilbuga, der zuletzt vor allem die Kinoerfolge „Die drei ???“ schrieb. Schweigen, Lügen, Kontrollverlust, Schutzlos. Die Kapitel der vier Folgen deuten die Abwärtsspirale an, in die sich die Protagonist:innen begeben.

Im Mittelpunkt stehen die zwei 16-jährigen Jungs und Klassenkameraden Jan und Lukas, die sich in einer Waldhütte näherkommen und dort Augenzeugen einer grausamen Hinrichtung dreier Mitglieder einer Biker-Gang werden. Der Killer erhascht einen Blick auf Jan, den Jungs gelingt allerdings die Flucht und verabreden sich, zu niemandem ein Wörtchen zu sagen, auch um niemand Rechenschaft ablegen zu müssen, was sie da zu zweit überhaupt gemacht haben. Also schweigen sie. Doch die Schlinge zieht sich schnell zu und die Jungs können alles andere als entspannt sein. Jan lebt seit dem Drogentod seiner Mutter in einer Art WG mit seiner Tante Helen (Nicolette Krebitz), die Polizistin ist und für ihn den Job in München aufgegeben hat und nun im Kommissariat in Miesbach arbeitet, und natürlich tags drauf mit dem Fall betraut wird. Lukas hat es im Sägewerk seines Vaters mit einem schmierigen Mitarbeiter zu tun, der ihn und Jan heimlich in der Hütte gefilmt hat und nun auch noch erpresst. Die Ermittlungen laufen schnell in Richtung Bandenkrieg zwischen den Bikern mit dem furchteinflößenden Namen Balkan Barbarians und dem Mafiaboss Fontana, der zu allem Ärger auch noch eine rebellische Tochter hat, die kurz nach den Morden verschwindet. Helen ist auf die Zusammenarbeit mit ihrem alten Kommissariat für organisierte Kriminalität in München angewiesen, wo der von ihr geliebte Chef seinen Posten verlässt und ihre Nachfolgerin Corinna Will (sehr cool: Lana Cooper, die bereits in „Der Upir“ als Polizistin gefiel) sich wiederum zunächst wie ein störrischer Esel verhält.
Der Interessante Kniff bei „Die Augenzeugen“ ist, dass man von Anfang an weiß, wer der Killer ist. Und der ist wirklich faszinierend gespielt von Lucas Gregorowicz, der aktuell in „Totenfrau“ mit einem starken Gastauftritt zu sehen ist und bald den Cast von „Call My Agent Berlin“ anführen wird. Sein Roman Berg ist ein zwielichtiger Geselle, immer gut gekleidet, aalglatt und dennoch nicht unsympathisch, und der, wie man in Folge zwei erfährt, auch noch der neue Leiter des Dezernats für organisierte Kriminalität in München wird. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Berg ist ein Profi durch und durch, war lange als verdeckter Ermittler im Einsatz, weiß, was er tut und zählt schnell eins und eins zusammen auf der Suche nach den beiden Jungs, den Augenzeugen, die ihn als den Täter identifizieren könnten. Er halt die Fäden in der Hand zwischen Biker-Gang, Mafiaboss und Polizei und spielt alle geschickt gegeneinander aus, wodurch ab einem Zeitpunkt auch Helen in Gefahr gerät.
Hervorzuheben ist auch das Spiel der beiden Jungs, von denen der eine, Philip Günsch, bereits in Johannes Schmids „Wir für immer“ positiv auffiel, der andere, Marven Gabriel Suarez-Brinkert, seinem jungen Kollegen aber um nichts nachsteht. Diese beiden Gesichter darf man ruhig noch öfter sehen! Für das Casting zeichnete die Österreicherin Nicole Schmied verantwortlich, die zuletzt u.a. auch das neue Prime-Video-Original „Drunter & Drüber“ besetzte und für die stimmigen Ensembles beim ORF-Quotenhit „Kopftuchmafia“ („Die Uhudler-Verschwörung“ folgt) und diversen Landkrimis sorgte. „Die Augenzeugen“ hat nämlich auch eine österreichische Komponente, der Privatsender ServusTV ist als Partner mit im Boot der Produktion. Und Nicolette Krebitz, als aufrichtige und präzise ermittelnde Polizistin, die mit inneren Dämonen zu kämpfen hat, ist ebenfalls ein Highlight der Miniserie. Ihre Helen hat die Ruhe (äußerlich) weg, wirkt souverän im lässigen Barbour-Jacken-Outfit mit loser Krawatte (Kostümbild: Stefanie Schroeter) und pflegt einen nüchtern-liebevollen Umgang mit Jan, kann aber die private Tragödie im Zusammenhang mit ihrer Schwester, für die sie sich verantwortlich fühlt, nicht verkraften und dreht regelmäßig ihre Joggingrunden in den Wäldern um das malerische Bayrischzell, um den Kopf freizukriegen oder guckt bei Kollege Sascha (Michael Kranz) vorbei, mit dem sie eine Affäre hat, der aber ein doppeltes Spiel spielt bzw. zu der Sorte korrumpierter Bulle zählt, die man am Ende nur bemitleiden kann.
Die herbstliche bayerische Voralpenlandschaft fängt Kameramann Holger Jungnickel („Die drei ???“-Filme) immer wieder in Totalen ein und schafft es in den Szenen, die in München spielen, die bayerische Landeshauptstadt von einer coolen Seite zu zeigen (München sieht man viel zu selten im deutschen Fernsehen). Die Musik (Jaro Messerschmidt, Nik Reich) hämmert im Takt der Sägen im Sägewerk von Lukas‘ Vater oder wabert wie der Nebel im Tal über den unheilvollen Geschehnissen, deren Abfolge lange von Lucas Gregorowicz‘ Berg diktiert werden, mit Blicken, die durchbohren und einem Gesicht, das manchmal fast wie eine Maske wirkt, reglos, kalt. Falsche Fährten legen versteht er gut, bis aus dem Jäger der Gejagte wird und ein Showdown mit Wackelkamera im bayerischen Fichtenwald das Finale einläutet. Und der Zuschauer ist Augenzeuge.
Barbara Schuster