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REVIEW STREAMING: „Warum ich?“


Sechsteilige Anthologieserie von David Schalko, in der vermeintlich ganz normale Situationen auf überraschende Weise aus dem Ruder laufen.

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„WARUM ICH? – Cowboys, Folge 1“ mit Andrea Sawatzki und Charly Hübner (Credit: © ARD Degeto Film/Superfilm Filmproduktions GmbH)

CREDITS:
Land / Jahr: Österreich 2024; Laufzeit: 6 x 20 Minuten: Regie & Drehbuch: David Schalko; Besetzung: COWBOYS: Charly Hübner, Andrea Sawatzki, Klaus Huhle, David Bennent, Hannes Ringlstetter / REGENSBURG: Nora Waldstätten, Bärbel Schwarz, Bjarne Mädel, Marcus Richter, Dirk Warme / LEBENSKERZE: Robert Palfrader, Sylvie Rohrer, Sammy Scheuritzel, Zoë Valks, Katharina Thalbach / FREUNDE: Thomas Schubert, Merlin Sandmeyer, Damyan Andreev, Paula Carbonell Spörk, Nils Hausotte, Robert Palfrader; David Bennent / MONDFENSTER: Detlev Buck, Sarah Bauerett, Oscar Kehlmann, Lukas Vogelsang, Stefko Hanushevsky, Sophie Löffler / CASA CARMEN: Bjarne Mädel, Oscar Ortega Sánchez, Simon Kirsch, Mervan Ürkmez, Aaron Altaras, Stefanie Dvorak, Lionel Hesse, Lisa Hagmeister, Andreas Anke, Tina Pfurr, Samuel Koch, Raphael von Bargen, Laura Julie Bollmann, Nadeshda Brennicke, Jona Moro, Veronika Petrovic, Nora Islei; Plattform: ARD Mediathek; Start: 20. Juni 2025

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„WARUM ICH? –Regensburg, Folge 2“ mit Nora Waldstätten (Credit: © ARD Degeto Film/Superfilm Filmproduktions GmbH/Nicole Albiez)

REVIEW:
In dem Song „1928“ besingt Ludwig Hirsch eine verwüstete Welt nach dem letzten großen Krieg, die von Außerirdischen heimgesucht wird. Anstatt der erhofften Menschen finden sie nur einen alten Film, den sie auf ihr Raumschiff projizieren und in dem die Micky Maus, Donald Duck und Goofy zu sehen sind. Lustig sei er gewesen, der Mensch, sagen die Außerirdischen, die Pillen gegen die Traurigkeit als Geschenk mitgebracht hatten: Die hätten wir gar nicht gebraucht, sagen sie resigniert und fliegen wieder weg. Wie sie wohl reagiert hätten, wenn sie statt des Disney-Films die neue Anthologieserie von David Schalko gesehen hätten, deren sechs Folgen in ihrem Blick für Abgründiges, Schwarzhumoriges, allzu Menschliches gar nicht mal so anders sind wie die lebensüberdrüssigen Moritaten, die der 2011 verstorbene Wiener Chansonnier gesungen hatte? Hätten die Außerirdischen gelacht, hätten sie geschmunzelt oder hätten sie vielleicht ihr ganzes Fläschchen Pillen gegen die Traurigkeit mit einer Flasche Scotch runterspülen müssen: Wie können sich diese Menschen nur all diese Grausamkeiten antun?

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„WARUM ICH? –Lebenskerze, Folge 3“ mit Sylvie Rohrer, Robert Palfrader, Zoë Valks und Sammy Scheuritzel (Credit: © ARD Degeto Film/Superfilm Filmproduktions GmbH)

Da schwingt ein bisschen Roald Dahl und dessen morbide Kurzgeschichtensammlung „Kuschelmuschel“ mit, diese treffsichere Verschränkung von alltäglichem Ennui und unerwartetem Moment, in dem den Charakteren der Boden unter den Füßen weggezogen wird, der Schrecken Einzug hält in eine vermeintlich ganz alltägliche Situation. Aber es ist doch auch immer unverkennbar Schalko, der mit „Braunschlag“ eine der herausragenden deutschsprachigen Serien der letzten 15 Jahre geschaffen hat und seither mit Formaten wie „Altes Geld“, „Ich und die Anderen“ oder zuletzt „Kafka“ immer wieder besonderes Fernsehen mit unverkennbarer Handschrift vorgelegt hat, ambitioniert, intellektuell, hintergründig. „Warum ich?“ wirkt daneben wie die pechschwarze Seele baumeln lassen, eine Petitesse mit Ansage, eine Fingerübung zum Recken und Strecken, eine Versuchsanordnung mit verblüffenden Ausgängen, produziert von Schalko, Katharina Theissen und John Lueftner mit ihrer Superfilm, jeweils um die 20 Minuten kurz, sechsmal wilder Schlag des Herzens mit der Lakonie eines Kaurismäki und der Lässigkeit eines Jarmusch, sechsmal Vortasten in vermeintlich ganz klare Situationen, die der Macher aus der Kurve tragen lässt, nur um sie im letzten Moment wieder einzufangen. Oder auch nicht.   

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„Warum ich?“ (Credit: ARD Degeto Film/Superfilm Filmproduktions GmbH)

„Warum ich?“ ruft stets eine der Figuren an einem gewissen Punkt aus, das einende Attribut der in sich abgeschlossenen sechs Geschichten, die nach Belieben einzelne Figuren überlappen lassen, insbesondere Bjarne Mädel, der in seinen beiden Auftritten in den Folgen „Regensburg“ und „Casa Carmen“ jeweils für reinen Tisch sorgt. Ansonsten ist die Reihenfolge letztendlich egal, solange „Cowboys“ am Anfang steht und gerade erwähnte „Casa Carmen“ am Ende, die Kulmination dieser Aneinanderreihung niederträchtiger und hämischer Betrachtungen, die vielleicht auch Abrechnungen sein könnten mit dem in seinen Zwängen und Ritualen gefangenen modernen Menschen, wenn der Ton nicht derart aus der Hüfte geschossen wäre, immer mit adäquater Bebilderung von Meisterkameramann Martin Gschlacht.

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„WARUM ICH? – Mondfenster, Folge 5“ mit Sarah Bauerett und Oscar Kehlmann (Credit: © ARD Degeto Film/Superfilm Filmproduktions GmbH)

Wenn er am Schluss von Episode sechs zu der Textzeile „Like a serial killer of self“ aus Adam Greens Song „Blackout“ die Kamera über das Schlachtfeld streifen lässt wie einst Martin Scorsese am Ende von „Taxi Driver“ mit klinischer Distanz über Travis Bickles Blutbad schwenkt, dann ist das die Apotheose zum Finale, ein Fanal, das Fazit, nachdem man miterleben durfte, wie erfolglose Countrymusiker einsamen Frauen in deren Wohnzimmer ein Ständchen bringen („Cowboys“ mit Charly Hübner und Andrea Sawatzki), eine Personalerin auf dem Heimweg eine dunkle Ahnung hat, warum ihr Zug einen außerplanmäßigen Zwischenstopp einlegen muss („Regensburg“ mit Nora Waldstätten und Bärbel Schwarz), ein Vater seiner Familie beim 60. Geburtstag reinen Wein einschenken will („Lebenskerze“ mit Robert Palfrader), ein oberflächlicher Angeber an seinem Geburtstag von einem Fremden entführt wird („Freunde“ mit Thomas Schubert) und eine Familie von Verschwörungstheoretikern tatsächlich mit dem Ende der Welt konfrontiert wird („Mondfenster“ mit Detlev Buck und Sarah Bauerett). 

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„WARUM ICH? – Casa Carmen, Folge 6“ mit Oscar Ortega Sánchez (Credit: © ARD Degeto Film/Superfilm Filmproduktions GmbH)

In „Casa Carmen“ verdichten sich die Themen, werden sechs Geschichten auf einmal erzählt, wartet an jedem Tisch und in der Küche eine tickende Zeitbombe: David Schalko jongliert da dann wie ein Mad Scientist. Lachen könnte man, traut sich aber nicht. Weinen könnte man, will aber nicht. Die Pillen gegen die Traurigkeit und ein Flug im Raumschiff von Ludwig Hirschs Außerirdischen erscheinen nicht die schlechteste Alternative nach dieser unnachgiebigen Begegnung der dritten Art, in der David Schalko den Mensch dem Menschen Wolf sein lässt, weil er zwar viel über Übergriffigkeit, Diversität und all diese Dinge debattieren mag, aber am Ende seiner Natur doch nicht entkommen kann. Hier schon gleich gar nicht. 

Thomas Schultze