Eine der schönsten Entdeckungen beim Seriesly Berlin 2025 war das ZDFneo-Projekt „House of Bellevue“ über die so genannte Ballroom Community in der Hauptstadt. Die Serie punktet mit dem beiden unwiderstehlichen Hauptdarstellern Ricco-Jarret Boateng und Nora Henes, einer fantastischen Kamera und vor allem aufregender Energie in den Tanzszenen.

FAST FACTS:
• Weltpremiere am 17. September 2025 bei Seriesly Berlin
• Liebevolle, kenntnisreiche Milieustudie der Berliner Ballroom Community
• Mit Hauptrollen-Debütant Ricco-Jarret Boateng, Durchstarterin Nora Henes und „Tatort“- und „Black Panther“-Superstar Florence Kasumba
• ZDF-Streaming-Start ist am 28. November
CREDITS:
Auftraggeber: ZDF; Sendermarke: ZDFneo; Produktion: Don’t Panic Films, Katapult Filmproduktion; Produzent: Alexander Kiening; Creator & Headautor: Kai S. Pieck; Regie: Kai S. Pieck, Toby Chlosta, Gabriel B. Arrahnio; Drehbuch: Toby Chlosta, Laura Tamoj, Raquel Dukpa; Cast: Ricco-Jarret Boateng, Nora Henes, Abed Haddad, Ilonka Petruschka, Kawian Paigal, Christofer von Beau, Antonia Holfelder, Peer Lie Ning, Florence Kasumba; Casting Director: Liza Stutzky, Jan Nwattu; Weltpremiere 17.9.25 Seriesly Berlin; Starttermin: 28.11.25 ZDF-Stream
REVIEW:
Es war ein rauschhafter Abend beim Serienfestival Seriesly Berlin, als die ZDFneo-Serie „House of Bellevue“, die vor zwei Jahren unter dem Arbeitstitel „We Are Family“ an den Start ging, das Licht der Welt bei der offiziellen Weltpremiere in der Fotografiska erblickte. Der volle Saal war bevölkert mit Crew-Mitgliedern und Menschen aus der Berliner Ballroom Community, die in „House of Bellevue“ ins Zentrum gerückt wird.
Diese Subkultur aus Tanz, Modeln, Posen, Style, Maske und Costume Design, die ein ganz eigenes Regelsystem, Hierarchien und Wettbewerbe besitzt und aus der LGBTQ+-Gemeinschaft hervorging, wurde zwar schon einmal von Ryan Murphy in der US-FX-Serie „Pose“ behandelt, aber nur mit historischem Blick zurück auf die 1980er- und 1990er-Jahre – und eben gemünzt auf New York. Der heutige Blick auf die Berliner Szene in „House of Bellevue“ ist exklusiv.
Der deutsche Creator und Headautor Kai S. Pieck stolperte mehr zufällig in die Szene, war aber sofort fasziniert und holte sich nach und nach jüngere BIPoC-Kreative an die Seite, um nicht allein als „alter weißer Mann“ diese Milieustudie zu erzählen, sondern gerade auch die Menschen erzählen zu lassen, die direkt aus der Ballroom-Szene kommen oder über die Dreharbeiten und die Recherche engere Verbindungen knüpften.
Eintrittskarte für einen exklusiven Club
Herausgekommen ist eine Serie, die in ihren ersten beiden gezeigten Episoden wie eine Art Eintrittskarte in einen exquisiten und exklusiven Geheim-Club wirkt, der aber am 28. November für alle im Streaming-Bereich des ZDF zugänglich wird. Dabei sind neben dem visuellen Stil und dem Händchen für kinetische Tanzszenen die beiden Hauptdarsteller Ricco-Jarret Boateng als bisexueller Emm und Nora Henes als gestandene Mother Lia Bellevue die größten Glücksgriffe der Produktion.

Für Ricco-Jarret Boateng war der nach Berlin kommende und in die Ballroom-Szene abtauchende Emm die erste große Hauptrolle in einer Serie oder einem Film. Der 19-Jährige nimmt mit seinen offenen und wissbegierigen Augen den Blick für das Publikum ein, das im großen Maße diese Subkultur zum ersten Mal aus erster Hand erfährt. Ricco-Jarret Boateng, der vorher vor allem tanzte und Theater spielte, hat das richtige Charisma, die körperlichen Skills, aber auch das schauspielerische Entwicklungspotenzial, dass es ein Genuss ist, ihm beim Wachsen zuzuschauen.
Ricco-Jarret Boateng & Nora Henes tragen das Format
Ähnliches gilt für die schon erfahrenere Nora Henes, die mit der WDR-Cosmo-Serie „Hype“ einen ersten größeren Aufschlag hatte. Ihre Lia führt eines der Häuser der Berliner Ballroom Community mit strengerer Hand. Aber sie hat auch ein Auge auf Emm geworfen, weil sie sein Talent sieht und das Potenzial, wie er ihre eigene „Karriere“ in der Szene voranbringen könnte. Beide verbindet, dass ihre Eltern die Subkultur als Zeitverschwendung ansehen. Aber auch wenn Lia dem Frischling Emm erst einmal ein Zuhause und Möglichkeiten des Aufstiegs anbietet, gibt es früh schon Hinweise, dass sie das Ganze nicht aus einer selbstlosen Haltung heraus macht.
Mit diesen beiden starken emotionalen Polen, dem aufregenden Ins-Wasser-geworfen-Werden der Protagonisten, aber auch des Publikums, dem Eintauchen in diese Subkultur der neuen Begrifflichkeiten, den Ränkespielen, die schon fast einen monarchischen Anspruch haben und – wie der Titel der Serie schon andeutet – ein bisschen „Game of Thrones“-Feeling aufkommen lassen, vergehen die ersten beiden Episoden wie im Flug.

Sicherlich sieht man der Produktion auch an, dass es ein kleineres ZDFneo-Projekt war, das sich nicht in Opulenz ergehen konnte, die für manches Set nötig gewesen wäre. Aber gerade bei Kostümen und Masken haben sich die Macherinnen und Macher mit viel Leidenschaft ins Zeug gelegt. Da verzeiht man auch Aspekte, wenn zum Beispiel überwiegend weiße Beamten- oder Vermieter-Figuren als ganz dünne Karikaturen für billige Lacher gezeichnet sind oder wenn Schauspiel-Neulinge eben noch teils Schauspiel-Neulinge sind.
Kameramann Malcolm Saidou filmte auch „Schwarze Früchte“
Denn dafür rockt die Serie zu sehr. Sie sieht für das Budget auch einfach sexy aus. Oberflächen, insbesondere die Haut der Protagonisten, werden hier ähnlich verführerisch und erotisch gefilmt, wie das James Laxton damals im Oscar-Film „Moonlight“ von Barry Jenkins tat. Malcolm Saidou ist DoP bei „House of Bellevue“, der vorher auch ganz exzellente Arbeit bei „Schwarze Früchte“ und der Doku „Satou Sabally – Crunchtime“ ablieferte.
Schon nach den ersten beiden Episoden, in denen auch Schauspielgrößen wie Florence Kasumba auftreten und den Cast weiter aufwerten, ist man emotional verknüpft mit den beiden Protagonisten, will wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Bei der Weltpremiere versprach auch einer der drei Regisseure, Gabriel B. Arrahnio, dass die Ballroom-Wettkämpfe nochmal deutlich epischer, aufwendiger und größer in den späteren Episoden werden.
Das Ganze ist eine faszinierende Gegenöffentlichkeit, ein Safe Space für queere oder trans Menschen, die aber eben auch nicht die besseren Menschen, sondern vorrangig Persönlichkeiten mit Ängsten, Gelüsten, Ansprüchen, Fantasien und Abgründen sind, was die Serie auf unterhaltsame und empathische Weise zeigt, ohne die raue Realität drumherum auszusparen.
Michael Müller