SmHJHX

Am Freitag, den 25.10. werden wir ab 15.00 Uhr bis ca. 18 Uhr umfangreiche technische Wartungsarbeiten durchführen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

REVIEW STREAMING/TV: „Chabos“ (ZDFneo)


Die deutsche Coming-of-Age-Serie „Chabos“ von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch feiert Weltpremiere auf dem Seriencamp Festival. Es ist eine messerscharf beobachtete Aufarbeitung von nostalgisch verklärten Erinnerungen heutiger Männer geworden.

Chabos
Auf den Spuren von Larry Clarks „Kids“: die jungen Protagonisten in der ZDF-Serie „Chabos“ (Credit: ZDF, BBC Studios Germany)

CREDITS:

Auftraggeber: ZDF; Produktion: BBC Studios Germany – Eva Holtmann; Executive Producer Lea Gamula, Nina Sollich; Regie & Drehbuch: Arkadij Khaet,Mickey Paatzsch; Writers Room: Juri Sternburg, Anna Dimitrova; Kamera Nikolaus Schreiber, Redaktion: Kristl Philippi, Christiane Meyer zur Capellen; Cast: Johannes Kienast; Nico Marischka, Anke Engelke, Peter Schneider, Olga von Luckwald, David Schütter, Paula Kober, Arsseni Bultmann, Max Mauff, Lea Pietsch, Loran Alhasan, Erol Afsin, Jonathan Kriener, Alexander Milo, Mathilda Smidt, Arina Prokofyeva, Nairi Hadodo, Vincent Krüger, Bahar Balci, Maximilian Raffelt; Programmmarke: ZDFneo; Premiere: Seriencamp Festival 5.6.25

REVIEW:

Ungefähr vor zwei Jahren muss es in den hiesigen Redaktionen der großen Sender geheißen haben: Wir müssen uns auch um die Zielgruppe junger Männer kümmern, ansonsten schauen diese in der Zukunft nur noch illegal Live-Fußball und Twitch-Streams mit Montana Black und Knossi. Anders kann man sich die aktuelle Schwemme an männlich zentrierten Coming-of-Age-Serien nicht erklären.

Auf dem diesjährigen Seriencamp Festival in Köln sind mit „Club der Dinosaurier“, „Softies“ und eben „Chabos“ aber auch gleich ganz unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema zu erkennen. Während „Club der Dinosaurier“ die Phantastik bemüht, um toxische Männlichkeit zu thematisieren und sich „Softies“ wie eine wohlig warme Therapiesitzung anfühlt, ist die ZDFneo-Serie „Chabos“ von den aufstrebenden Regisseuren und Drehbuchautoren Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch rauer, kantiger und schmerzhafter.

Das britische Vorbild „Ladhood“

Das Format um den mehr oder weniger erwachsenen Peppi (Johannes Kienast), der mitbekommt, dass er nicht zur Reunion seiner damaligen Schulklasse eingeladen wurde und in seiner alten Heimat zu recherchieren beginnt, ist inspiriert vom BBC-Original „Ladhood“. Vor allem die Idee, sowohl den desillusionierten Peppi in der Jetzt-Zeit als auch sein 16-jähriges Ich in den früheren 2000er-Jahren zu erzählen, kommt vom britischen Vorbild. Auch die visuelle Idee, dass der alte Peppi dem jungen Peppi beim jugendlichen Scheitern im gleichen Bild über die Schulter schaut, ist entlehnt.

Aber Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch haben mit ihrem Writers Room (Juri Sternburg, Anna Dimitrova) diese Formathülle mit eigenem Leben, Beobachtungen, Referenzen und Biografie angefüllt. So erinnert „Chabos“ auch weniger an eine britische Comedy und viel mehr vom Ton her an emotional tiefer gehende Jugenddramen der 1990er-Jahre wie Larry Clarks Skandalfilm „Kids“ oder Todd Solondz‘ „Willkommen im Tollhaus“.

Chabos
Der Cast der ZDFneo-Serie „Chabos“ (Credit: ZDF, BBC Studios Germany)

Nostalgie als Lockstoff für das Publikum

Die scheinbare Nostalgie der frühen 2000er-Jahren in den ausgiebig erzählten Rückblenden mit ICQ-Geräuschen, illegalen Raubkopien aus dem Internet, Namen wie Domian und Sabrina Setlur oder dem zeitgenössischen Pop-Soundtrack dient als Lockstoff, um das Publikum in eine doch ziemlich düstere und melancholische Geschichte hineinzuziehen, in der es keine sonderlich sympathischen Protagonisten gibt.

Tatsächlich macht „Chabos“ mit der Zeichnung der titelgebenden Freundesclique um Peppi, Alba, Gollum und PD dort weiter, wo Christian Ulmen in seiner sehr unterschätzten letzten Staffel von „Jerks“ aufgehört hat: das schmerzhaft genaue Zeichnen einer emotional verrohten Männergeneration mit speckig glänzender Haut und Samenstau, die bereit ist, für den eigenen Hedonismus über Leichen zu gehen.

Triste Schönheit Duisburgs

Dabei nutzen die jungen Serienmacher die triste Schönheit der Stadt Duisburg, die in einer Hassliebe gezeichnet ist ähnlich wie das Verhältnis zwischen jüngerem und älterem Ich der vier Freunde, die hinter Mädchen, Horrorfilmen und Erfahrungen her sind. Es hat fast schon etwas Rashomonhaftes, wenn der ältere Peppi kommentierend in die Kamera sprechend die Taten seines jungen Ichs zu rechtfertigen und abzumildern versucht. Dabei geht es nicht um das moralische Verurteilen von 16-Jährigen, sondern das Aufzeigen der Wurzeln, warum Menschen werden, wie sie dann als Erwachsene sind.

Es ist umso bewunderswerter, mit welcher Stringenz und inneren Logik die verschiedenen Zeitebenen in „Chabos“ zusammengewebt sind, wie unsympathisch die Serie sich traut, seine Protagonisten zu zeichnen und wie atmosphärisch dicht das Ganze für ein erstes großes, eigenes Seriendebüt erzählt ist.

Wenn in diesem Jahr die Coming-of-Age-Serie „Tschappel“ über die schwäbische Provinz den größten anarchischen Erzählspaß im Stile eines „Malcolm in the Middle“ oder den frühen „Die Simpsons“-Staffeln verbreitet, erreicht „Chabos“ teils eine Eiseskälte, aber auch Ehrlichkeit den Figuren gegenüber, die ihresgleichen in der aktuellen deutschen Serienwelt sucht.

Hinweis: Die Review basiert auf den ersten drei von acht gesehenen Episoden.

Michael Müller