Zweite Staffel der furios spannendenden österreichisch-deutschen Thrillerserie über eine Leichenbestatterin, die in eine Verschwörung mächtiger Männer gerät und um das Leben ihrer Tochter kämpfen muss.
FAST FACTS:
• Paraderolle für die großartige Anna Maria Mühe
• Sehr starkes Ensemble u. a. mit Britta Hammelstein, Robert Palfrader, Peter Kurth und Sabine Timoteo
• Die Regie liegt in dieser Staffel in den Händen von Daniel Geronimo Prochaska
• Basierend auf der „Totenfrau“-Romantrilogie von Bernhard Aichner
• Erste Staffel mit mehr als 21,9 Mio. Views eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Formate bei Netflix
• Erste Staffel beim ORF mit durchschnittlich 585.000 Zuschauenden (MA von 21 %)
• Staffel 2 im ORF: Folge 1 mit 553.000 Zusehenden; Folge 2 mit 511.000 Zusehenden
CREDITS:
Land / Jahr: Österreich, Deutschland 2024; Laufzeit: 6 x 45 Minuten; Creators: Barbara Stepansky, Benito Mueller, Wolfgang Mueller; Regie: Daniel Geronimo Prochaska; Drehbuch: Barbara Stepansky, Timo Lombeck, Marcel Kawentel; Executive Producers: Benito Mueller, Wolfgang Mueller, Thomas Hroch, Gerald Podgornig, Daniel Geronimo Prochaska; Co-Executive Producer: Al Munteanu; Besetzung: Anna Maria Mühe, Yousef Swed, Britta Hammelstein, Robert Palfrader, Dominic Marcus Singer, Michou ‚Friesz, Emilia Pieske, Lilian Rosskopf, Peter Kurth, Sabine Timoteo; Plattform: Netflix; Start: 19. März 2025; in Österreich beim ORF seit 22. Februar
REVIEW:
Da ist ein Moment in der vierten Episode der zweiten Staffel von „Totenfrau“, dem Erfolgsformat von Barry Films (Wolfgang Mueller und Benito Mueller) und Mona Film (Thomas Hroch und Gerald Podgornig) in Koproduktion mit dem ORF und der Münchner Square One Productions (Al Munteanu) basierend auf der gleichnamigen Romantrilogie von Bernhard Aichner, da fällt es einem wie Schuppen von den Augen. Da befinden wir uns in einem Animierschuppen namens Chéz Nous, da sind wir unter uns, ein bisschen altmodisch und angestaubt alles, chintzy, da stehen weiße Porzellanfiguren voller Blutspritzer, und auf der Bühne steht eine Frau in mondäner Aufmachung und singt „Blue Velvet“. Wie es Isabella Rossellini in David Lynchs gleichnamigem Film von 1986 getan hatte, auch so eine Höllenfahrt über den Horror sexueller Perversion und Abhängigkeit, über die Abgründe der Gewalt der Männer, die alles in ihren Schlund reißt. Es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl von Regisseur Daniel Geronimo Prochaska, der in dieser Staffel von Nicolai Rohde übernommen hat, der vielleicht nicht nötig gewesen wäre, aber dem geneigten Publikum überdeutlich vor Augen führt, dass die erste Assoziation beim Betrachten dieser düsteren Saga aus der ländlichen Bergwelt von Österreich wohl „Der Pass“ evozieren mag, das andere deutschsprachige Seriengroßwerk aus der Gegend über die schlimmen Dinge, die Menschen einander antun, aber doch vor allem aus der Ideen- und Bilderwelt von David Lynch schöpft, ein „Twin Peaks“ made in Austria, minus dessen hintergründigen Humors und subversiver Verspieltheit allerdings.
Wenn es Dopingkontrollen bei Serien gäbe, würde die zweite Staffel von „Totenfrau“ sofort gesperrt werden. Vom ersten Moment an sind die Bilder in ihrer stilisierten Hyperrealität maximal hochgejazzt, als stünde die Staffel unter Steroiden. Der Look ist gepusht, manipuliert, angelegt darauf, Eindruck zu machen und zu hinterlassen, expansive Kinobilder von Bildgestalterin Anna Hawliczek („Love Machine 1 & 2“), die förmlich über den Rand des Fernsehbildschirms drängen zu scheinen. Das wird nicht jedem gefallen und ist doch eine Einladung zu einem Seherlebnis, das nur in seiner Überhöhung seine Wirkung entfaltet, Einstieg in eine ewige Schattenwelt, die immer ein bisschen mehr ist, als man es aus seiner persönlichen Erfahrungswelt kennen dürfte: Hinter jeder Ecke lauern Geheimnisse, hinter jeder Tür ein neuer Schrecken, immer wieder muss die Heldin lange dunkle Gänge entlang in die Schwärze tappen in diesem kafkaesken Szenario, in dem die Spielräume für Brünhilde Blum immer enger werden, weil die Vergangenheit sie einzuholen beginnt, die Ereignisse aus Staffel eins, die sie im Kampf gegen ein Kabal mächtiger Honoratioren zur wiederholten Mörderin werden ließen, von der passiven zur aktiven Totenfrau, und andere Verzweiflungstaten aus der Vergangenheit, damit sie zur selbstbestimmten Frau in einer Welt der Männer reifen konnte. Dass sie nur „Blum“ genannt wird und in den sechs Folgen der zweiten Staffel fast ausschließlich Männerkleider trägt, die meiste Zeit ihr Gesicht hinter einem Motorradhelm verbirgt, ist sinnbildlich, dass sie, um Mutter bleiben zu können und ihre Tochter retten zu können, alle weiblichen Attribute ablegen muss.
Alles steht auf dem Spiel in der zweiten Staffel: Die scheinbar schön in andere Särge mit verräumten Leichenteile tauchen wieder auf, eine aus Wien angereiste Beamtin des BKA erhöht den Druck auf die Hauptverdächtige. Gleichzeitig steckt mehr als nur die Handvoll Typen hinter den Machenschaften, neue Abgründe tun sich auf, ein Menschenhändlerring, eine weltweite Tauschbörse für Snuff-Filme und andere Perversitäten, eine Verbrecherbande, die Blums Tochter entführt. Und mittendrin Blum auf ihrem schweren Motorrad, Inbegriff von Virilität und männlichem Freiheitsdrang, wie sie förmlich durch den Bildschirm schneidet, wenn sie die Landstraßen entlangrast, als könne sie nur mit Vollgas den vielen Armen entkommen, die förmlich nach ihr greifen. Bilder mitten aus einem Albtraum sind es, die Daniel Geronimo Prochaska heraufbeschwört in seiner Serie, die thematisch gar nicht einmal so sehr anders gelagert ist wie der neue Film seines Vaters, Andreas Prochaska, „Welcome Home Baby“, der auf der Berlinale Weltpremiere gefeiert hat.
Die Serie steht und fällt mit Anna Maria Mühe, die hier eine Paraderolle gefunden hat, ihre Blum mit einer trotzigen Widerspenstigkeit spielt, als sei sie von Furien gejagt, und nun selbst eine werden muss, damit ihr nicht das Wenige, was sie sich erkämpft hat in ihrem Leben, durch die Finger rinnt. Sie ist eine Frau im konstanten Alarmzustand, immer zum Äußersten bereit, weil auch immer das Äußerste auf sie zu warten scheint. Wie es der Schauspielerin dabei gelingt, in zumindest gefühlt zahllosen gewaltsamen Auseinandersetzungen und einer sich langsam zuziehenden Schlinge um ihren Hals immer auch eine Figur zu spielen, die um ihre Weiblichkeit ringt, um ihr Frausein, und wenn es nur die Existenz einer Totenfrau ist, das geht einem mehr an die Nieren als die absurd expliziten Gewaltexplosionen, als würden die Fotografien eines Joel-Peter Witkin in einer Serie zu Leben erweckt werden. Dabei ist sie hier nicht die einzige Totenfrau. Da ist die von Britta Hammelstein gespielte Kommissarin Wallner, die sich nur mit penetranter Hartnäckigkeit und unbeugsamem Siegeswillen gegen die männlichen Kollegen behaupten kann, die von Michou Friesz gespielte Hotelierin und Strippenzieherin Schönborn, die sich keinen Illusionen hingibt, zu was Männer fähig sind, deren Exzesse sie aber als Schwächen ansieht, die sie für sich nutzen kann, die von Sabine Timoteo gespielte Tamar, Schwester des von Peter Kurth herrlich wurstig dargebotenen Oberbösewichts Sarkissian, die wie ein Dämon aus dem Schatten an der Seite des Bruders Härte beweisen muss.
Sonst gibt es hier nur Männer, je mächtiger, desto verderbter, zu allem fähig. Nur der aus Syrien geflohene Ex-Soldat Reza, gespielt von Yousef Sweid, der bei Blum Zuflucht gefunden hat, ihr in tiefer Zuneigung verbunden ist und sich mit väterlicher Fürsorge um ihre Kinder und sie kümmert, bildet einen Gegenpol, ein paar weitere sind nicht ganz so schlimm, der Rest sind Monster. „Totenfrau“ sieht den weiblichen Figuren dabei zu, wie jede für sich darum kämpft, in diesem Sumpf nicht unterzugehen und sich seine Würde zu bewahren. Es ist ein epischer Kampf in einer epischen Serie, die einen abholt mit all den drastischen Mitteln, die zum Einsatz kommen, und fortwährenden Kämpfen auf Leben und Tod, in denen das ein oder andere Mal zu oft ein Deux ex Machina bemüht wird, um die Sympathieträger zu retten. Und doch verliert dieses sehr auf Effekt und Effektivität getrimmte Narrativ nie seine Figuren aus den Augen, speziell die weiblichen Figuren nicht. Und Anna Maria Mühe schenkt der Serie ein letztes Bild, einen letzten Blick, den man so schnell nicht vergisst, weil er alles aussagt über ihre Figur und was es gekostet hat, an diesem bittersüßen Moment anzukommen – welcome home, baby. „It’s a strange world, isn’t it?“, sagt Kyle MacLachlan in „Blue Velvet“ und könnte auch für diese Serie sprechen.
Thomas Schultze