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REVIEW STREAMING: „The Gentlemen“

Achtteilige Netflix-Serie von Guy Ritchie basierend auf dem gleichnamigen Film von 2019, in der ein junger britischer Aristokrat nach dem Tod seines Vaters feststellen muss, dass der Patriarch im Untergrund seines Anwesens eine Marihuana-Plantage unterstützt hat.

CREDITS:
O-Titel: The Gentlemen; Land/Jahr: Großbritannien 2024; Laufzeit: 8 x 60 Minuten; Showrunner & Regie: Guy Ritchie; Besetzung: Theo James, Kaya Scodelario, Daniel Ings, Vinnie Jones, Joely Richardson, Giancarlo Esposito; Plattform: Netflix; Start: 7. März 2024

REVIEW:
Als Guy Ritchie 2019 seinen Film „The Gentlemen“ lancierte, sah man das als Rückkehr zu den Wurzeln, als er sich mit seinen ersten Filmen „Bube, Dame, König, GrAs“ und „Snatch“ als britische Antwort auf Quentin Tarantino empfahl, allesamt freche, dreikäsehoche Bubenstücke aus der Unterwelt, angefüllt mit skurrilen Typen, stilvoller Kleidung, edler Ausstattung und gedrechselten Dialogen, die sich als eminent zitierfähig erwiesen. Eine offenkundige Reaktion darauf, sich nach mehr als einem erfolgreichen Jahrzehnt in Hollywood von „Sherlock Holmes“ über „King Arthur“ und „Man from U.N.C.L.E.“ hin zu „Aladdin“ wieder auf den eigenen Markenkern zu konzentrieren, zu sich selbst zu finden und sich treu zu bleiben. Was die seither folgenden Filme, so unterschiedlich „Cash Truck“, „Guy Ritchie’s Der Pakt“ und „Operation: Fortune“, unterstrichen – und der in Kürze startende „The Ministry of Ungentlemanly Warfare“ (und ein aktuell gerade unter anderem auch in Wien entstehender neuer Film, der noch keinen Titel, aber Henry Cavill und Jake Gyllenhaal in den Hauptrollen hat) unterstreichen wird. Ritchie hat seinen Groove wiedergefunden. 

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Kaya Scodelario und Theo James sind ein tolles schräges Paar in „The Gentlemen“ (Foto: Netflix)

Wie sehr ihm „The Gentlemen“ am Herzen liegt, den man zunächst einfach nur als Verschnaufpause empfunden hatte, unterstreicht die Tatsache, dass die Prämisse des Films mit Matthew McConaughey, Charlie Hunnam und Colin Farrell, nun auch die Grundlage für Ritchies ersten Ausflug ins Serienfach bildet. Vielleicht hatte der 55-Jährige aber einfach noch so viele Ideen übrig, die keinen Eingang in das Drehbuch des Films fanden, dass sich eine achtteilige Serie regelrecht aufdrängte. Wie auch immer: Diese neuen „Gentlemen“ sind ein echtes Geschenk, eine Bereicherung im Schaffen von Guy Ritchie, eine Bereicherung für Netflix, eine Bereicherung für die Marke selbst, die hier den Raum erhält, richtig Luft zu holen und zu atmen. Bekannt ist die Welt, neu sind die Figuren und Zusammenhänge, ungemein unterhaltsam und überraschende Wege und Umwege gehend die Erzählung. Wenn man es sich recht überlegt: gar nicht einmal so besonders anders, als es gerade erst bei „Mr. & Mrs. Smith“ der Fall gewesen war, mit dem feinen Unterschied, dass der Urheber und Schöpfer bei Film und Serie „The Gentlemen“ jeweils derselbe Kopf ist. 

Im Mittelpunkt steht diesmal der Offizier Eddie Horniman, gespielt mit wunderbarer Nonchalance und belustigtem Charme von Theo James, bekannt aus den „Die Bestimmung“-Filmen, der sein geliebtes Militärleben hinter sich lassen muss, um das Erbe seines Vaters als neuer Duke of Halstead anzutreten und sich um das 500 Jahre alte Anwesen zu kümmern. Als zweiter Sohn hat er nicht damit gerechnet: Eigentlich wäre sein älterer Bruder Freddy an der Reihe gewesen. Ebenso wenig hat Eddie damit gerechnet, dass der unberechenbare Freddy mit acht Millionen Pfund bei einer Gangsterbande in der Kreide steht, mit der nicht zu spaßen ist und ihre Schulden eintreiben will. Und als wäre der Druck nicht ohnehin schon unerträglich hoch, entdeckt der neue Duke von Halstead auch noch, dass sein Vater gemeinsame Sache mit einer Londoner Gangsterfamilie gemacht hat, die im Untergrund des Anwesens eine florierende Marihuana-Plantage betreibt. Die patente und schlagfertige Susie Glass, die den Familienbetrieb führt, während Papa im Gefängnis sitzt, könnte die Lösung für Eddies Probleme sein. Und vielleicht auch Auslöser für neue Probleme, weil man zwar schnell den Weg in die Unterwelt findet, aber nicht so einfach wieder rauskommt. 

Von einem wilden Plot zum nächsten eilt „The Gentlemen“. Mancher füttert das treibende Narrativ der Handlung, andere sind einfach nur Kabinettstückchen, eingestreut aus purem Spaß an der Freude und um noch ein paar mehr dieser köstlichen Figuren einzuführen, die Guy Ritchie nach Belieben aus dem Ärmel zu schütteln scheint. Tatsächlich spielt ihm der expansive Rahmen eines Achtteilers in die Hände, weil er hier noch freier agieren und fabulieren kann. Absurde Gewaltausbrüche und filigran geschnitzte Dialoge, wie von ihm gewohnt, sind selbstverständlich ebenfalls zu erwarten. Pakte und Gegenpakte werden geschlossen, Loyalitäten werden getestet, Blut wird fließen. Vor allem aber freut man sich, wenn die Geschichte wieder einmal rechts oder links abbiegt, anstatt gerade aus nach vorne zu erzählen, und den Blick auf Unerwartetes freigibt. 

Neben Theo James in der Rolle seines Lebens, so gut, dass man sich nicht wundern würde, wenn er von der Presse alsbald ins Feld potenzieller Bond-Kandidaten aufgenommen wird, drückt die tolle Kaya Scodelario der Serie ihren Stempel auf: Ihre Susie Glass ist eine wunderbare Erfindung. Um sie gesellen sich bekannte Namen – Vinnie Jones, Ray Winstone, Joely Richardson, Giancarlo Esposito – und eindrucksvolle Hackfressen, die Namen tragen wie The Gospel oder Sticky Pete. Allesamt fühlen sich pudelwohl in dieser lässigen Ritchie-Welt, in der genug Raum für jeden ist, sich eine Weile von der besten Seite zu zeigen. Nichts davon ist auch nur im Entferntesten realistisch, es ist eine Aneinanderreihung bizarrer Geschichten, die einen Schmunzeln oder den Kopf schütteln lassen. Aber gerade das macht den Spaß aus, eine Show, die nur Schall und Rauch ist – aber was für ein Schall, was für ein Rauch! Vielleicht, nur vielleicht, lässt sich hinter dieser endlosen Parade teurer Gegenstände, glänzender Autos und körperbetont geschnittener Barbour-Jacken aber doch mehr entdecken, eine ebenso valide Kritik an britischem Klassendenken, wie es gerade erst ein „Saltburn“ war. Aber eben einfach viel lässiger. 

Thomas Schultze