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REVIEW STREAMING: „Sunny“

Innovative und anrührende zehnteilige Comedy-Serie voller schwarzem Humor mit Rashida Jones, die nach spurlosen Verschwinden ihres Mannes mit ihrem Sohn bei einem Flugzeugabsturz einen Haushaltsroboter als Geschenk erhält, den er entworfen hatte.

CREDITS: 
O-Titel: Sunny; Land/Jahr: USA, 2024; Laufzeit: 10 x 35 Minuten; Showrunner: Kate Robbins; Regie: Lucy Tcherniak; Besetzung: Rashida Jones, Hidetoshi Nishijima, Joanna Sotomura, Judy Ongg, YOU, Annie the Clumsy, Jun Kunimura; Plattform: Apple TV+; Start: 10. Juli 2024

REVIEW
In Japan, wo es Wörter für alles gibt, bezeichnet der Begriff „Hikikomori“ Menschen, meist junge Erwachsene, die sich so stark zurückgezogen haben, dass sie monate- bis jahrelang keinen Kontakt zu anderen Menschen haben, ähnlich wie während der Corona-Pandemie. Hikikomori ertragen ihr Alleinsein nur, indem sie es gänzlich umarmen und alle Türen zur Außenwelt verschließen. Doch je isolierter man lebt, desto schwieriger wird es, auf andere zuzugehen, und die Betroffenen entwickeln oft einen Hang zu Verfolgungs- und Verschwörungswahn. Um ihnen dabei zu helfen, ihr Misstrauen gegenüber sozialer Interaktion abzulegen, werden im technikverliebten Land der aufgehenden Sonne, wo das Problem der Vereinsamung schon immer systemisch ist, längst Humanoid-Roboter eingesetzt, die die Leidtragenden aufheitern und Mitgefühl vortäuschen sollen.

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„Sunny“ mit Rashida Jones (Credit: Apple TV+)

Die Titelfigur der zehnteiligen Serie „Sunny“, produziert von A24, dem Studio hinter dem Oscar-Hit „Everything Everywhere All at Once“ und der Netflix-Sensation „Beef“, ist genau das: ein Homebot, der alle möglichen menschlichen Reaktionen zeigen kann, in diesem Fall aber rein äußerlich gerade mal die körperlichen Grundvoraussetzungen für Humanoide erfüllt. Sunny (Joanna Sotomura) hat die Größe eines Kindes, einen runden Kopf, ein freundliches Gesicht mit überproportional großen Augen und eine niedliche Kawaii-Stimme, mit der sie ihre neue Besitzerin gleich mal mit einem kumpelhaften „Bring it in, I’m a hugger!“ begrüßt. Die in Kyoto lebende Amerikanerin Suzie (Rashida Jones) hat soeben erfahren, dass ihr Mann Masa (Hidetoshi Nishijima aus „Drive My Car“) und ihr siebenjähriger Sohn Zen nach einem ungeklärten Flugzeugabsturz verschollen sind, und mit dem Auftauchen des distanzlosen Homebots wird alles noch seltsamer. Sunny wurde von Masa speziell für Suzie programmiert, erklärt der Überbringer (Jun Kunimura, der Yakuza-Boss aus „Kill Bill“), angeblich ein Mitarbeiter ihres Mannes, von dem sie immer dachte, er würde Kühlschränke herstellen. Außerdem findet Suzie künstliche Intelligenz generell creepy, seit ihre Mutter von einem selbstfahrenden Auto getötet wurde. Dass sich Sunny nicht so einfach abschalten lässt und ihr von nun an nicht mehr von der Seite weicht, macht alles noch unheimlicher. 

Gibt es einen „Killing Code“ in ihrer Software? Hat Masa ein Doppelleben im Darknet geführt? Und was ist wirklich mit ihrer Familie geschehen? Um sich von ihrer Verzweiflung abzulenken, begibt sich Suzie auf eine abenteuerliche Mission, bei der ihr die hypersexuelle und hypercoole Barkeeperin Mixxy (YouTube-Star Annie the Clumsy) zu Hilfe und das organisierte Verbrechen in die Quere kommt. Undurchsichtige Männer beobachten sie. Überall taucht die durchtriebene Yakuza-Tochter Himé (You) auf, die es offenbar auf Sunnys Festplatte abgesehen hat und vielleicht sogar hinter dem Absturz von Flug 405 steckt. Suzie, Sunny und Mixxy landen im Rotlichtviertel von Kyoto, wo sich bis zu den Haarwurzeln tätowierte Gangster in Badehäusern treffen und in Hinterzimmern von „Host Clubs“ illegale Roboterkämpfe veranstaltet werden, Masas Tech-Firma entpuppt sich als undurchschaubares Bürolabyrinth mit den Vibes von Lumon Industries aus „Severance“, und Suzies Schwiegermutter Noriko (Judy Ongg) benimmt sich auch immer eigenartiger.

„Sunny“ ist wie ein Puzzlespiel aus mysteriösen Einzelteilen und Details, verteilt über zehn Episoden, in denen die Regisseurin Lucy Tcherniak souverän und unaufgeregt zwischen Zeitebenen und Erzählperspektiven wechselt, mit Cold Opens und schockierenden Cliffhangern Dinge andeutet, die schon passiert sind oder noch passieren werden, und gleich im Prolog zur Pilotfolge wird sehr explizit dargestellt, wie ein vermeintlich harmloser Homebot einen blutrünstigen Mord begeht. Das Drehbuch von Showrunnerin Katie Robbins spielt ironisch mit allen erdenklichen Gegensätzen, wie ein 60er-Jahre-Yakuza-Krimi mit der Handschrift von Sofia Coppola, ein Sci-Fi-Thriller im Mid-Century-Design, der gleichzeitig eine philosophisch tiefgründige und melancholische Geschichte über Verlust und Vereinsamung erzählt, wie man sie nur in Japan erzählen kann, wo man sich in Listening-Bars anschweigt und in Silent Restaurants am Automaten bestellt und selbst als Hikikomori kontaktlos unter Menschen sein kann. 

Für den hinreißenden Charme des Ganzen sorgen neben den Schauplätzen und dem nostalgischen Soundtrack aus Karaoke-Lovesongs und Jukebox-Oldies die introvertierten Hauptfiguren, ihre rührend komische Dynamik und vor allem die beeindruckende emotionale Intensität und das perfekte Comedy-Timing von Rashida Jones. Während sich Sunny dank ihres merkwürdigen Algorithmus aufrichtig darum bemüht, aus Suzie wieder ein sozialverträgliches Wesen zu machen, trägt diese ihren messerscharfen Sarkasmus, ihre unhöfliche Abneigung gegen alles und jeden wie ein Schutzschild vor sich her, und die viel zu großen Jacken, Hemden und T-Shirts ihres vermissten Mannes, als wolle sie sich in ihre Trauer hüllen. Aber es ist Judy Ongg als ihre Schwiegermutter Noriko, die selbst Suzies Verzweiflung die Show stiehlt und dem wiederkehrenden Song „The Great Pretender“ alle Ehre macht. Sie tut ständig so, als sei die Welt in Ordnung, obwohl sie nichts mehr fürchtet, als von Traurigkeit und Einsamkeit verschlungen zu werden, und alles dafür, um im Gefängnis zu landen und endlich wieder in Gesellschaft zu sein. 

Alle haben ihre Geheimnisse und geben vor, etwas zu sein, was sie nicht sind – Masa, der behauptet, er würde lediglich das Gesetz der Thermodynamik brechen, Bartenderin Mixxy, die jeden Code Dealer der Unterwelt kennt, Sunny, die so tut, als könnte sie Suzies Gefühle verstehen, obwohl sie ein Roboter ist. Der Höhepunkt des vor Witz und Einfallsreichtum sprühenden Drehbuchs ist schließlich eine im großen Stil durchgeknallte Backstory-Episode, die das Publikum in Sunnys Innere blicken lässt, die Frage beantwortet, ob darin tatsächlich ein „Killing Code“ oder wohlmöglich ein gebrochenes Herz steckt, und das Puzzle zumindest so weit aufdeckt, dass man sich auch auf eine zweite Staffel freuen darf. Es sei denn, selbst der letzte Cliffhanger dieser Serie ist nur eine großartige Täuschung. 

Corinna Götz