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REVIEW STREAMING: „Parallel Me“


Wunderbare achtteilige Highendserie über eine junge Frau, der es möglich ist, in verschiedenen Paralleluniversen ihr Leben immer wieder aufs Neue anzutesten.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 8 x 45 Minuten; Showrunnerin, Headautorin: Jana Burbach; Regie: Felix Binder (5 Episoden), Vanessa Jopp (2 Episoden), Sebastian Sorger (1 Episode); Besetzung: Malaya Stern Takeda, David Kross, Larissa Sirah Herden, Caroline Peters, Ulrich Noethen, Maria Schrader, Theo Trebs, Golo Euler; Plattform: Paramount+; Start: 26. April 2025

REVIEW:
Wie man in der Schule gelernt hat, ist der Ariadnefaden in der griechischen Mythologie buchstäblich eine Lifeline, eine Rettungsleine: Mit seiner Hilfe findet Theseus den Weg aus dem Labyrinth, nachdem er den Minotaurus erschlagen hat. In „Parallel Me“, der neuen Serie aus dem Traditionshaus Gaumont (Produktion: Sabine de MardtRainer Marquass) für die Plattform Paramount+, die man aus dem Geschäft mit der lokalen Produktion zurückgezogen gewähnt hatte, sich jetzt aber mit diesem Glücksgriff zurückmeldet als willkommene Ausspielstätte für deutschen Content, ist besagter Faden Dreh- und Angelpunkt, um die fantasievolle Prämisse einer jungen Frau, die weniger eine Fremde im eigenen Leben ist, sondern vielmehr eine Fremde in vieler Leben in unterschiedlichen Paralleluniversen und zu sich selbst zu finden beginnt, indem sie wertvolle Lektionen in all den fremden Existenzen lernt. Das ist, so ehrlich muss man sein, so kompliziert, wie es sich anhört. Creator und Showrunner Jana Burbach („Die Heiland: Wir sind Anwalt“, „Bad Banks“) und ihr souveräner Lead-Regisseur Felix Binder („Club der roten Bänder“) müssen erst einmal ganz schön viel Arbeit reinstecken und jede Menge Exposition leisten, bis der Motor der achtteiligen Staffel schnurren und ausgerechnet eine deutsche Serie Marvel zeigen kann, wie man aus Multiversen ein faszinierendes, reichhaltiges Handlungskonstrukt spinnt. 

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Malaya Stern Takeda in „Parallel Me“ (Credit: Krzysztof Wiktor/Paramount+)

Weshalb der Stolperstein – wenn diese hinreißende Serie denn einen hat – die erste Folge ist, die förmlich mit der Tür ins Haus fällt. Hier muss alles auf einmal auf den Tisch gelegt werden. Man muss die Figuren kennenlernen, die doch nicht ganz simple Prämisse etablieren, dem Publikum das umfassende Regelwerk der Erzählung verständlich machen und gleich einmal eintauchen in eines der weiteren Leben der Heldin Toni, die zu Beginn nur deshalb die Identifikationsfigur ist, weil sie im Mittelpunkt der Erzählung steht und sie von der Entdeckung Malaya Stern Takeda aus „Love Addicts“ gespielt wird, deren faszinierendes Gesicht einen sofort fesselt, bis es dann im Verlauf der Serie auch ihre außergewöhnliche Vielseitigkeit und ihr besonderes Talent tun können. Wirklich sympathisch ist sie einem erst einmal nicht, diese zunächst im besten Fall überfordert, im schlimmsten Fall arrogant und oberflächlich wirkende Change-Managerin, der bislang die Türen offenstanden in ihrem hektischen Erfolgsleben. An einem folgenschweren Silvester schließen sie sich allesamt auf einmal. Präsentation in Dubai versemmelt, Job verloren, beste Freundin kündigt Umzug nach Südamerika an, Eltern haben ihr Kinderzimmer zur Sauna umfunktioniert und die eigentlich große Liebe hat mit einer anderen das erste Kind bekommen. 

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Malaya Stern Takeda und Maria Schrader „Parallel Me“ (Credit: Krzysztof Wiktor/Paramount+)

Womit wir – siehe Beginn der Review – bei Ariadne landen, gespielt von Maria Schrader in einem ihrer mittlerweile doch selten gewordenen Auftritte als Schauspielerin so wunderbar off-beat und anrührend, dass man sie nicht genug dafür loben kann. Sie stellt sich vor als „Viertelgöttin“, sieht aber in ihrem extravaganten Outfit eher aus, als wäre Eliza Doolittle von Vivienne Westwood eingekleidet worden. Besagten Ariadnefaden hat sie verwoben in einem mächtig langen Schal, und wenn man einmal kräftig daran zieht, befördert man sich in eine parallele Welt, die von denselben Menschen bevölkert wird, die sich aber in jeweils völlig anderen Umständen befinden. Für Heldin Toni bedeutet das, immer wieder in neue Leben und Konstellationen schnuppern zu können, sich selbst immer wieder neu zu erleben und zu entdecken: als Insassin eines Frauenknasts, als deutscher Popstar in Thailand, als Surflehrerin auf Bali, als Punkerin und Drogendealerin in Berlin, als Business-Spießerin in Deutschland. Jede neue Existenz ist ein neues Abenteuer, in dem alles verhandelbar ist, Persönlichkeit, Lebensphilosophie, sexuelle Orientierung. Entsprechend sind auch die Menschen in ihrem Umfeld jedes Mal wieder anders, stehen anders zueinander. Das ist zu Beginn noch Chaos, doch gemeinsam mit Toni entdeckt man eine Methode in dem Wahnsinn – und lernt vor allem, dass mit jedem neuen Ziehen am Faden weniger Schal da ist, Toni sich irgendwann für eines der Leben entscheiden muss, in dem sie sich bewegt: Theoretisch kann das nächste Mal allemal schlimmer, aber vielleicht auch das letzt Mal sein. Die Uhr tickt also.

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Malaya Stern Takeda und Larissa Sirah Herden in „Parallel Me“ (Credit: Sucheep „Jack“ Homsuwan/Paramount+)

Daraus entwickelt „Parallel Me“ zunächst einen sehr unterhaltsamen Trip. Jeder Abschnitt für sich, mal länger, mal kürzer, erzählt in sich eine packende Geschichte. Nie ist gewiss, was für eine Welt sich als nächstes auftun wird. Das allein würde vermutlich reichen, um einen vergnügt und beschwingt durch die acht Folgen surfen zu lassen. Aber Jana Burbach gibt sich in ihren Büchern (geschrieben mit Mireya Heider de JahnsenDilan GezazaFabian WallenfelsBrix Vincent Koethe und Sonja Heiss) nicht zufrieden mit bloßem Entertainment: Sie nutzt ihr kosmisches Szenario, um tatsächlich etwas Profundes zu erzählen. Je kürzer der Schal wird, desto weiter öffnet sich die Serie für die Möglichkeiten des Lebens. Die Handlung gibt der Showrunnerin die Möglichkeit, vorurteilsfrei über Lebensentwürfe nachzudenken, Überlegungen zu Identität, Zugehörigkeit, Verlust, Freundschaft und Liebe anzustellen, die in ihrer Komplexität weit über das hinausgehen, was man in gängigen Unterhaltungsformaten gewohnt ist – und vor allem nie didaktisch oder urteilend sind. „I contain multitudes“, sang Dylan vor ein paar Jahren und beschreibt eigentlich wunderbar die Hauptfigur, die als vermeintliches Leichtgewicht beginnt, eine, die man gleich durchschaut zu haben glaubt, aber mit jedem gestreiften Leben an Tiefe und Vielfältigkeit gewinnt. Life is what you make it: „Parallel Me“ ist wie der bewegendste Chanson im Gewand eines eingängigen Popsongs, den man sich vorstellen kann. 

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Malaya Stern Takeda und David Kross in „Parallel Me“ (Credit: Paramount+)

Und eine fortwährende Einladung an die Gewerke hinter der Kamera, im Rahmen eines vermutlich überschaubaren Budgets neue Welten zu zaubern, die sich alle unabhängig voneinander anfühlen, aber doch miteinander verbunden sind. Ariadnefaden und so. Was sich auch über die Besetzung sagen lässt, die man um Malaya Stern Takeda gruppiert hat, zunächst einmal David Kross als Tonis Flamme Jonas und Larissa Serah Herden als beste Freundin, dann aber auch Caroline Peters und Ulrich Noethen als Eltern oder Golo Euler als ihr Vorgesetzter und Chef. Alles ist Spielmasse, und Jana Burbach holt ein Maximum an Möglichkeiten heraus, stets im Dienst der Entwicklung ihrer Hauptfigur, zum Schluss hin dann noch mit ein paar wilden Volten, die noch ein paar konzentrische Kreise mehr um den Handlungskern ziehen und andeuten, dass am Ende dieser erfüllenden Reise längst noch nicht alles erzählt, alles gezeigt, alles gedacht und alles gesagt ist. 

Thomas Schultze