Achtteilige Sitcom über das fünfköpfige Team der Nachtschicht eines in die Jahre gekommenen Hotels im Münchner Bahnhofsviertel.

FAST FACTS:
• Abwechslungs- und temporeiche Workplace-Comedy mit Slapstick-Witz und Retro-Charme nach der Idee von Melina Natale, die ihr Debüt als Creatorin und Headautorin vorlegt
• Regie führten Suki M. Roessel („Queens of Comedy“, „Bettys Diagnose“) und Matthias Koßmehl („Wo wir sind, ist oben“)
• Produziert von Network Movie für ZDFneo
CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 8 à ca. 30 Minuten; Drehbuch: Melina Natale (Gesamtkonzept und Headautorin), Julian Adiputra Witt, Sharyhan Osman; Regie: Matthias Koßmehl, Suki M. Roessel; Besetzung: Tamara Romera Ginés, Stella Goritzki, Adnan Maral, Mariananda Schempp, Ben Felipe; Sender/Plattform: ZDFneo; Start: ab 27. Juni 2025 auf ZDF, lineare Ausstrahlung ab 1. Juli 2025 in Doppelfolgen
REVIEW:
Man könnte „Nighties“ im ersten Moment für die ZDFneo-Antwort auf die RTL-Männer-Serie „Softies“ halten, erdacht von einer weiblichen Autorin, besetzt mit vorwiegend weiblichen Figuren. Melina Natales Debüt als Creatorin und Headwriterin lässt sich jedoch nur ungern vergleichen oder in ein bestimmtes Format pressen. In gewisser Weise handelt es sich um eine Workplace-Comedy, die tatsächlich ausschließlich an einem Arbeitsplatz spielt. Allerdings ist sie gar nicht allzu sehr daran interessiert, ein Milieu zu beleuchten. Der Blick ist weniger dahinter, als auf die Kulisse gerichtet (gedreht wurde im Studio in Köln), die hier stellvertretend für ein klassisches Erzählformat entstaubt wird: „Nighties“ klopft den 70er-Jahre-Sketch-Klamauk aus den Resopal-Wänden des Settings und macht daraus eine temporeiche, den Gen-Z-Sehgewohnheiten angepasste Sitcom, die ohne Einblendung von Lachern auskommt, stattdessen einen heiteren Mix aus Pop-Samples einstreut, der klingt, als würde ständig jemand einen Song auf der in einer Ecke stehenden Jukebox anspielen.
Dem Format entsprechend entsteht die Komik aus der Dynamik der unveränderlichen und unterschiedlichen Charaktere, die so überhöht und überspitzt gezeichnet und overacted sind wie die Alltagssituationen, aus denen sich das Chaos entwickelt. Es gibt keinen fortlaufenden Plot, die acht Episoden können in beliebiger Reihenfolge gestreamt werden, jede davon erzählt eine abgeschlossene Geschichte, die jeweils aus dem Bestreben heraus motiviert ist, die Langeweile zu durchbrechen, die in dieser Stadt – ein im Vorspann eingeblendetes Postkartenmotiv feiert München schließlich als „Capital of Boredom“ – und an diesem Arbeitsplatz vorherrscht. Der „Prinzenhof“ ist eine Absteige in Bahnhofsnähe, die die junge, euphorische Betreiberin Millie von ihren Großeltern geerbt und mit Leidenschaft und Improvisationstalent in ein Low-Budget-Hotel mit Vintage-Charme verwandelt hat. Dessen skurrile Retro-Ausstattung ist ein bisschen von allem und spiegelt den Charakter und die übersprudelnde Fantasie der Protagonistin wider. Diese lebt ihren Traum – und Schauspielerin Tamara Romera Ginés ihre Rolle, die sie mit einer Meisterleistung im Schnellsprechen und mit hinreißendem Slapstick-Talent ausfüllt.
Millies herausragende Eigenschaft ist, es allen recht machen zu wollen und zu niemandem Nein sagen zu können, was wohl auch der Grund dafür ist, warum sie mehr Personal beschäftigt als Gäste einchecken. Zu ihrer schrecklich netten Arbeitsfamilie, die sich in jeder Episode zur Nachtschicht einfindet, gehört ihre beste Freundin Adriana (Stella Goritzki), die als Security-Chefin für Ordnung sorgt, als Türsteherin reichlich Selbstironie beweist, Menschen auf keinen Fall nach dem Äußeren beurteilt und „niemanden aufhält, der es hier wieder rausschaft“. Der ständig abgebrannte Barkeeper Rafael (Ben Felipe) wiederum hält Schach für ein Trinkspiel, Franca (Mariananda Schempp), Küchenchefin mit spanischem Dialekt, kümmert sich stoisch um die Nach(t)speisekarte, der langjährige, überkorrekte Concierge Charles – verkörpert von dem prominentesten Mitglied des Darsteller-Ensembles, Adnan Maral aus „Türkisch für Anfänger – trauert seiner glorreichen Vergangenheit hinterher. Für Lokalkolorit sorgt ein bärtiger Grattler mit Trachtenhut namens „Ghetto Gandalf“, der regelmäßig am Bartresen einnickt.
Ihren ganz eigenen, smarten Witz und Charme entwickelt die Serie aus dem Konzept einzelner Episoden, die ähnlich wie in der AppleTV+-Millennial-Krimiserie „The Afterparty“ jeweils eine bestimmte stilistische oder Genre-Idee verfolgen und die Liebe der Showrunnerin zum Medium Film offenbaren. In der Pilotfolge ist es die Anwesenheit eines Ryan-Gosling-Doppelgängers, der die Fantasien beflügelt und zur Titelmelodie von „La La Land“ eine an „Drive“ angelehnte Erzählung in Bewegung setzt. Aus einer Fundstück-Kiste werden „Herr der Ringe“-Referenzen gezogen, in einer anderen Episode wird die Existenz des Marvel-Multiverse-Prinzips behauptet. Höhepunkte sind eine großartige in Schwarzweiß gefilmte und mit dem passenden Score versehene Film-noir-Hommage („Die Nacht, in der es nicht brannte“) und die hinfällige Idee, den Oktober-Fest-Rausch als Zombie-Apokalypse („Die Nacht der trinkenden Toten“) zu inszenieren. Nicht immer will die Stimmung so rüberspringen wie im letzten Fall – was aber vielleicht auch daran liegt, dass es während der Nachtschicht der „Nighties“ die meiste Zeit über taghell ist.
Corinna Mohr