Ungewöhnliche Komödie nach Bestsellervorlage von Rachel Yoder, in der Amy Adams als Vollzeitmutter feststellen muss, dass sie sich in eine Hündin zu verwandeln beginnt.
FAST FACTS:
• Highlight der Herbstfestivals – in Deutschland als Premiere bei Disney+
• Verfilmung des ungewöhnlichen Debütromans von Rachel Yoder von 2021
• Rückkehr der wunderbaren Amy Adams auf die große Leinwand
• Erster Spielfilm von Marielle Heller seit fünf Jahren
• Weltpremiere beim Toronto International Film Festival
• Deutschlandpremiere beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg
CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 99 Minuten; Regie: Marielle Heller; Drehbuch: Marielle Heller, Rachel Yoder; Besetzung: Amy Adams, Scoot McNairy, Arleigh Snowden, Emmett Snowden, Jessica Harper, Zoë Chao; Plattform: Disney+; Start: 24. Januar 2025
REVIEW:
Mutter. Die Figur, die von Amy Adams gespielt wird in „Nightbitch“, seelenvoll, sehnsuchtsvoll, schmerzvoll, hat keinen Namen. Sie ist Mutter. Einfach nur Mutter. Weil das in doppelter Hinsicht der Punkt ist von Marielle Hellers Verfilmung von Rachel Yoders höchst ungewöhnlichem Debütroman, der ihr 2021 viel Lob und ein bisschen Verwunderung einbrachte. Einerseits steht Amy Adams in dieser Geschichte für eine universelle Erfahrung, die alle Mütter eint. Andererseits geht es darum, dass eine Frau nach der Geburt, dieser traumatischen Extremerfahrung, nichts mehr anderes ist als Mutter, sich ihr Leben fortan nicht mehr definiert durch die Dinge, die sie bislang definiert hat (Karriere, Begabung, Interessen), sondern durch das Kind, das sie geboren hat und nun hauteng begleitet bei seinen ersten Schritten ins Leben, das es nicht ohne Mutter machen könnte. Was man verliert und was man gewinnt durch diesen radikalen Einschnitt, darum geht es in „Nightbitch“, und wie man Mutter in Einklang bringen kann mit der Frau, die man davor war, wie diese beiden Entitäten nicht konträr oder vielleicht sogar parallel zueinander stehen, sondern wie sie eins werden können.
Set ihrem Debüt „The Diary of a Teenage Girl“ hat sich Marielle Heller, in Deutschland wohl am besten bekannt als Schauspielerin in der Netflix-Miniserie „Das Damengambit“, auf schwierige Komödien spezialisiert, macht Filme mit Ecken und Kanten über meist weibliche Figuren mit Ecken und Kanten wie „Can You Ever Forgive Me?“ mit Melissa McCarthy in ihrer besten Rolle – und als bezaubernden Gegenentwurf noch „Der wunderbare Mr. Rogers“ mit Tom Hanks als Mann mit den wenigsten Ecken und Kanten, die man sich vorstellen kann. „Nightbitch“ ist ihr erster Film seit sechs Jahren, aber er ist unverkennbare eine Arbeit von ihr: lustig, verspielt, borstig, widerspenstig, unkonventionell, provokativ. Es ist auch ein Film, der leicht missverstanden oder gar nicht verstanden werden kann, weil seine Prämisse, dass eine Frau, die ihre Karriere aufgegeben hat, um sich fulltime um ihren kleinen Sohn kümmern zu können, feststellt, dass sie sich langsam in einen Hund verwandelt, eine Pille ist, die man erst einmal schlucken muss. Was in Rachel Yoders Roman vielleicht einfacher ist, wie das bei magischem Realismus mit dem geschriebenen Wort oft einfacher ist als mit dem gefilmten Bild. Weil es da nicht um das Zeigen geht, sondern um eine Entsprechung für einen Zustand, ein Gefühl, ein Erlebnis.
Also startet der Film erst einmal mit einer furiosen Montage, die in wenigen Minuten etabliert, das das Leben von Mutter mit ihrem Sohn geprägt ist von Routine und Routinen. Jeden Tag dasselbe, jeder Tag ist gleich, gestern ist heute ist morgen, ein Perpetuum Mobile der Mutterschaft, das Mutter ihr Leben erleben lässt, als würde sie konstant danebenstehen. Essen machen, Spielplatz gehen, Einschlafgeschichte vorlesen, die halbe Nacht wachbleiben, weil das Kind gerade jetzt putzmunter wird. Bis der Sohn unvermittelt feststellt, Mutters verlängerter Rücken würde sich „pelzig“ anfühlen. Bei genauerer Inspektion stellt sie fest, dass ihr tatsächlich ein Fell zu wachsen beginnt, dass ihr Geruchssinn sich verfeinert, ihre Eckzähne schärfer werden. Nachts bricht sie aus ihrem Gefängnis aus, beginnt im Garten zu buddeln, schließlich sogar kleinere Tiere zu reißen. „Nightbitch“ ist indes nicht interessiert an Body-Horror, erzählt keine Werwolfgeschichte: Die Verwandlung und Metamorphose weist auf ursprünglichere Dinge, spielt mit der Doppeldeutigkeit des Begriffs „bitch“, der eigentlich „Hündin“ bedeutet, aber im Sprachgebrauch eher als ultimatives Schimpfwort für Frauen verwendet wird: Zicke.
Was aber, wenn die Hündin und die Zicke gar nicht so unvereinbar sind, wenn sie eins sind, wenn sie einen Zustand markieren, der tief drin steckt in einer Frau, der sie in Einklang mit ihrem Frausein bringt, wenn sie nur bereit ist, ihn zu umarmen, anstatt ihn von sich zu weisen, um eben in den Augen der Menschen keine „bitch“ zu sein? „Nightbitch“ ist ein Film, der mit seiner Interpretation eines ursprünglichen Feminismus ringt, wie ein Hund seine Beute erst einmal wild hin- und herschüttelt. Er macht es sich nicht leicht und er findet vielleicht auch nicht immer die perfekten Bilder. Und doch ist er überzeugend, weil er den Zuschauer:in ganz unmittelbar teilhaben lässt an dieser persönlichen Krise einer Frau, die es liebt, Mutter zu sein, aber an ihre Grenzen gerät, als sie nichts mehr anderes ist und erst wieder ausbrechen und sich freimachen muss, um wieder sie selbst und in der Folge eine bessere Mutter zu sein. Keine bessere Schauspielerin könnte man sich wünschen, diesem Kampf zurück ins eigene Leben in dieser Unabhängigkeitserklärung zuzusehen als Amy Adams, die in ihren besten Rollen („American Hustle“, „The Master“) stets messerscharfe Intelligenz und verschwenderische Körperlichkeit ausstrahlt. Und der man eben auch hier folgt, wie sie eine neue Einstellung zu ihrer Ehe mit dem eigentlich liebenden Mann Scoot McNairy und ihrem Freundeskreis aus einem Müttertreff finden muss und zu ihrer Verblüffung feststellt, dass sie nicht allein ist mit ihren widerstrebenden Gefühlen.
Bei den Herbstfestivals hatte „Nightbitch“ zu den Titeln gehört, auf die man am meisten gewartet hatte, der dann aber doch zu fein war, zu speziell, um den Aufschlag zu haben, den er verdient gehabt hätte. Dass die Annapurna-Produktion für Searchlight nun in Deutschland gar nicht erst ins Kino kommt, sondern seine kommerzielle Premiere bei Disney+ feiert, mag genau diesem Umstand geschuldet sein, dass er eine schwierige Komödie ist und auch noch stolz darauf, ein nicht minder schonungslos ehrliches Frauenporträt wie „Young Adult“, aber, naja, noch weiblicher, noch magischer, noch mystischer. Nicht von ungefähr hat Marielle Heller für die Rolle der vermeintlich gestrengen Bibliothekarin, die Mutter ein Ratgeberbuch empfiehlt, das sie ihr Dasein als Frau neu begreifen lässt, Jessica Harper besetzt. Sie wurde berühmt als Hauptdarstellerin in Dario Argentos „Suspiria“, die als amerikanische Tänzerin in einen zeitlos alten Hexenzirkel in Freiburg gerät – auch ein Film, der Frauen Supergeschöpfe der unverstandenen Art sein lässt: „Ich bin Nightbitch“, ruft Amy Adams in die Nacht. Es ist ein Glaubensbekenntnis, das ebenso nachhallt wie das „Ich bin ein wilder Roboter“, dem anderen großen Film über Mutterschaft aus dem Filmjahr 2024.
Thomas Schultze