Einst als erstes deutsches Starzplay-Original geplant, kommt die dystopische Miniserie „Nachts im Paradies“ von Creator Matthias Glasner nach der Graphic Novel von Frank Schmolke nun auch endlich in Deutschland bei Magenta TV heraus. SPOT hat einen Blick riskiert.
FAST FACTS:
• „Nachts im Paradies“ war zuerst ein Starzplay-, dann ein Lionsgate+-Original
• Nach dem Rückzug des Streamers aus Deutschland, gibt es jetzt ein Happy End bei Magenta TV
• Vorlage ist die gleichnamige Graphic Novel von Frank Schmolke
• Top-besetzt mit Jürgen Vogel, Lea Drinda & Birgit Minichmayr
CREDITS:
Produktion: Windlight Pictures, Satel Film, Beside Productions; Executive Producer: Moritz Polter; Heinrich Ambrosch, Georg Höss, Duncan Walker, Alain-Gilles Viellevoye, Fabrice Delville, Christophe Toulemonde; Regie: Matthias Glasner, Bettina Oberli; Drehbuch: Matthias Glasner, Hannah Schopf, Frank Schmolke (Vorlage); Cast: Jürgen Vogel, Lea Drinda, Birgit Minichmayr, Leonard Scheicher, Aleksandar Jovanovic, Malaya Stern Takeda, Lea Zoe Voss; Episoden: 6; Deutscher Start: 8.1.25 auf Magenta TV; österreichischer Start: 6.3.24 auf Canal+
REVIEW:
Im Jahr 2022 kündigte Lionsgate die Serie „Nachts im Paradies“ als erstes deutsches Serien-Original für seinen Streamingdienst Starzplay an. Das sechsteilige Format, das auf Frank Schmolkes gleichnamigen Graphic Novel basiert, erblickte dort nur nie das Licht der Welt. Lionsgates Streaming-Abteilung Starz hatte sich international mit einer zu schnellen Ausdehnung auf mehr als 60 Märkte verhoben und musste dann den zwischenzeitlich von Starzplay zu Lionsgate+ umbenannten Streamer aus fast allen Ländern abziehen.
Die Produktionsfirmen Windlight Pictures, Satel Film und Beside Productions machten sich in einer längeren Odyssee auf die Suche, für die hochklassig mit Lea Drinda, Jürgen Vogel oder Birgit Minichmayr besetzte und schon abgedrehte Neo-Noir-Serie um den deutschen Taxifahrer Vincent und dessen 18-jährige Tochter Joni eine neue Streaming-Heimat zu finden. Außerhalb von Deutschland griff in Europa Canal+ zu. Am heutigen 8. Januar startet die Serie von Creator und Filmpreis-Gewinner Matthias Glasner („Sterben“) aber nun endlich auch hier bei Magenta TV.
Es ist eine Serie geworden, die anders als die anderen ist. Es lässt sich schon einmal gar nicht genau bestimmen, in welcher Stadt sich Jürgen Vogels Taxifahrer Vincent und dessen Tochter Joni nach langer Zeit wiedertreffen. In den Pressetexten von damals heißt es München. In der Serie selbst bleibt es vage. Optisch könnte das auch Wien oder Berlin sein. Wobei diverse Drehtage wegen der Förderung in Brüssel passierten.
„Nachts im Paradies“ ist eine Endzeitserie, die aber gerade noch vor der sich anbahnenden Apokalypse in der Gegenwart spielt. Eine Dystopie in der Jetzt-Zeit. Die räumliche Orientierungslosigkeit passt sehr gut zu den emotionalen Zuständen der Protagonisten. Jürgen Vogels lethargischer Taxifahrer Vincent bugsiert Betrunkene von A nach B, wobei ihm früh in der ersten Episode ein Auge ausgestochen wird. Fortan läuft er mit einer Snake-Plissken-Gedächtnisaugenklappe umher.
Seine gerade volljährig gewordene Tochter Joni hat Vincent das letzte Mal mit drei Jahren gesehen und ist nachvollziehbarerweise nicht gut auf ihn zu sprechen. Sie ist in der Stadt, weil sie bei der örtlichen Tageszeitung Die Chronik ein Praktikum machen will. Eine Party endet für sie aber in einer Fast-Vergewaltigung. Sie kann den Angreifer nur mit einem Messer stoppen.
Das liest sich stringent. Aber die Serie ist in ihrer Erzählweise eine Herausforderung. So als wollten Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner und seine Co-Regisseurin Bettina Oberli damit auch die kaputten Familienstrukturen und Beziehungen der Protagonisten spiegeln. „Nachts im Paradies“ erinnert in seiner teils zähen und sperrigen Weise, den weitgehend leeren Orten und dem Noir-Einschlag an die Prime-Video-Serie „Too Old to Die Young“ von Nicolas Winding Refn. Figuren sind potenziell entweder schrill oder lethargisch. Über allem schwebt wie eine dunkle Wolke das Gefühl der Gesellschaft, mit dem Kapitalismus und dessen gesellschaftlichen Ausformungen durch zu sein.
Hat man sich aber erst einmal an die Stimmung und das teils sehr ungewöhnlich laute oder leise Schauspiel von Lea Drinda und Jürgen Vogel gewöhnt, so entdeckt man zum Beispiel die dritte der sechs Episoden. Darin drehen die Macher abgesehen von den spärlichen Dialogen den Ton generell runter, was einen starken Verfremdungseffekt hat, aber auch den Blick auf die Protagonisten öffnet, die in ihren Reflexionen über das Nicht-Geliebt-Werden oder die Vergänglichkeit jetzt wie Geistesverwandte von Glasners-Familienepos „Sterben“ wirken. Das Artifizielle und Manierierte der ersten beiden Episoden bei der Inszenierung und dem Schauspiel weicht dem Gefühl, dass die Serie jetzt immer mehr zu sich selbst findet. Teils hat sie atemberaubende oder anrührende Szenen.
Vater und Tochter treffen sich das erste Mal emotionslos in einer an den „Fight Club“ erinnernden Location wieder, die sich Freedom Club nennt, wo Unzufriedene auf eine Bühne steigen können, um sich Luft zu machen. Gerahmt ist das langsame familiäre Annähern in der Serie durch eine Art Verhör-Situation, in der die Journalistin Elli (Lea Zoe Voss) Vater und Tochter getrennt interviewt. Birgit Minichmayr spielt die Prostituierte Budur, Aleksandar Jovanovic einen dunklen Zeitgenossen, Malaya Stern Takeda verdreht in der Serie den Frauen den Kopf.
„Nachts im Paradies“ ist auf jeden Fall eine Serie, die einen Widerstand erzeugt und nicht ein Format wie so viele, die einfach durchlaufen, nicht stören wollen, dann aber auch schnell vergessen sind. „Tiger Girl“-Drehbuchautorin Hannah Schopf half Glasner bei der Adaption der Vorlage. Es war und ist ein wildes Serienprojekt, das die freieste und sorgloseste Zeit der Streaming-Produktionen spiegelt und zu nutzen wusste.
Michael Müller