Spätes Finale der innovativen deutschen Netflix-Serie, in der Mo nach einigen Jahren aus dem Knast kommt, aber schnell schon wieder in ungeahnte und nicht geplante Kalamitäten gerät.
FAST FACTS:
• Überraschende vierte Staffel des Erfolgsformats von Netflix, das nach der dritten Staffel als fertigerzählt galt
• Wiedersehen mit allen Stars der ersten Staffeln: Maximilian Mundt, Danilo Kameridis, Lena Klenke, Damian Hardung, Lena Urzendowsky
• Wieder zuverlässig überraschend inszeniert von Arne Feldhusen, diesmal im Verbund mit Facundo Scalernadi
• Produziert von der bildundtonfabrik (btf); Creators sind Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 6. X 30 Minuten; Ausführende Produktion, Creators: Philipp Kässbohrer, Matthias Murmann; Regie: Arne Feldhusen, Facundo Scalernadi; Drehbuch: Michael Schilling, Lena Tusche, Denise Harkavy, Michael Schilling, Sebastian Huber, Patrick Stenzel, Sebastian Colley, Besetzung: Maximilian Mundt, Danilo Kameridis, Lena Klenke, Damian Hardung, Lena Urzendowsky, Leonidas Emre Pakkan, Roland Riebeling, Amely Trinks, Leonie Wesselow; Plattform: Netflix, Start: 8. April 2025
REVIEW:
Wenn man beginnt mit der unerwarteten vierten Staffel von „How to Sell Drugs Online (Fast)“, vier Jahre nach Abschluss der dritten Staffel, drei Jahre nach dem Spinoff-Bonusfilm „Buba“ aus demselben Universum, dann stellt man gleich fest, wie sehr man das vermisst hat, die Figuren um Moritz Zimmermann, Freunde, Verwandte, Partner, Gegenspieler, und mehr noch diese berauschende Machart, ein Popart-Pastiche unter Dauerstrom, anspielungsreich, witzig, assoziativ – deutsches Fernsehen noch einmal neu erfunden, auf diese Weise noch nie gesehen: Die bildundtonfabrik (btf) machte es möglich, Netflix gab dafür grünes Licht, damals, 2019. Wie sehr man sich freut, doch noch einmal eine Runde drehen zu können mit Mo und Co., zu erfahren, was aus ihnen geworden ist, seitdem man sie zum letzten Mal gesehen hat, nachdem die Hauptfigur schlussendlich doch in den Knast wandern durfte für seinen regen Drogenhandel ganz bequem übers Internet: Verbrechen zahlt sich nicht aus, Freunde.
Man spürt, dass es den Machern um die Executive Producers / Creators Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann unter den Nägeln brennt, noch einmal zurückzukehren, wo alles begonnen hatte, mit der seinerzeit dritten deutschen Serie, die von Netflix in Auftrag gegeben wurde, nach der Beklemmnis von „Dark“ und der Krassheit von „Dogs of Berlin“ und der kollektiven German Angst beider Serien eine Explosion an Einfällen, ein Stream of Consciousness, der immer ein bisschen smarter war und ein bisschen mehr wusste als man selbst, ein fortwährendes, förmlich lustvolles Nach-vorne-Drängen, Heute Spaß morgen tot, ein Wir-probieren-das-mal-aus, das wie eine Initialzündung war, das Äquivalent der Fußball-WM 2006 im eigenen Land für die deutsche Fernsehlandschaft. Sollte es jemand versucht haben, DAS zu kopieren, so ist es ihm jedenfalls nicht gelungen. So kann deutsches Fernsehen auch sein? DANKE SEHR. Und jetzt wieder. Rückkehr, Redux, Reboot, Reimagining, Rolle rückwärts.
Jetzt ist es keine Revolution mehr. Man kennt den Ansatz, die Mittel, den Modus operandi. Jetzt ist es Vorfreude und Neugier, was den Machern eingefallen ist für das deutsche „Breaking Bad“, dessen vierte Staffel einsetzt, als Mo Zimmermann wieder Fuß auf freien Boden setzt. Falsch. In der Manier eines J.J. Abrams wird die Mystery Box geöffnet, beginnt die Handlung mit einem Moment der Hochspannung: Moritz, Lenny und Dan mitten in der Wüste, bedroht von skurrilen Gestalten, Ende der Fahnenstange. Und jetzt der Sprung zurück an den Anfang, alles eine große tickende Uhr: Wie konnte es zu diesem Moment kommen nach der Entlassung aus dem Knast, aufrichtigen Bemühungen, diesmal nichts wieder falsch zu machen, nicht zurückzukehren zu einem Life of Crime? Von irgendwo sieht Michael Corleone zu, zuckt resigniert mit den Schultern und sagt, wieder einmal: Just when I thought I was out, they pull me back in. Man weiß ja, dass es passieren wird. Man würde eine neue Staffel sicherlich nicht drehen, um Mo dabei zuzusehen, wie er einen Job bei der Sparkasse anfängt und dann abends heimkommt, um sich auf Netflix „Adolescence“ anzusehen. Das WAS steht fest. Um das WIE geht es. Wie sich die Dinge fügen werden, dass der von Maximilian Mundtso unverkennbar gespielte Eierkopf (um bei der Übersetzung von „nerd“ zu bleiben, als es 1984 darum ging, einen deutschen Titel für „Revenge of the Nerds“ zu finden) sich und die anderen wieder in die Scheiße reitet. Wie eine zunächst nicht absehbare Verkettung von Umständen dazu führen wird, dass sich wieder die Schlinge um seinen Hals zuziehen wird. Wie die Erzählung durch eine Vielzahl von Gedankenblitzen, skurrilen neuen Figuren und zahllose vermeintliche Umwege wirbelt und dann schließlich doch in einer Form dramaturgisch zur nahenden Tragödie verdichtet.
All das ist vielleicht nicht mehr so neu wie vor sechs Jahren. Aber es ist unverändert aufregend, dieses Spiel mit erzählerischen und filmischen Mitteln, die Idee, Geschichten als Kollagen zu erzählen, in denen die Form aber eben nicht vor Substanz geht, sondern die Form tatsächlich die Substanz ist. Nachdem Arne Feldhusendie erste Staffel mit Lars Montag, die zweite Staffel mit Mia Spengler und die dritte im Alleingang inszeniert hatte, steuert er hier wieder die drei ersten Episoden bei und übergibt für die zweite Hälfte an Facundo Scalernadi, der für die bildundtonfabrik (btf) in gleicher Funktion bereits an den Serien „King of Stonks“ und „Pauline“ sowie der Doku „Big Mäck“ gearbeitet hatte, zuletzt aber als einer der Regisseure von „Where’s Wanda?“ in Erscheinung getreten war. Sie können dabei bauen auf die zuverlässig entfesstelten Beiträge der Kameramänner Borris Kehl und Joseph Strauch sowie der Editor:innen Gleb Boev, Nathalie Bartel, Rainer Nigrelli und Julian Jakelski, die „HTSDOF“ ihren Stempel aufdrücken. Dass alles nichts wäre ohne die Schauspielenden, ist evident. Es fällt auf, wie geschmeidig nicht nur Maximilian Mundt als unzuverlässiger allwissender Erzähler wieder in seine Rolle schlüpft, sondern auch die weiteren Regulars, Danilo Kameridis, Lena Klenke, Damian Hardung und Lena Urzendowsky, als wären sie selbst neugierig, was die letzten paar Jahre mit ihren Figuren angestellt haben. Ein Hauch von „Breaking Bad“, die offenkundige Referenz aus den USA, liegt dann durchaus in der Luft in den von einer ganzen Phalanx von Autoren (siehe Credits) geschriebenen Drehbüchern (die beiden letzten Folgen gehen auf das Konto des versierten Sebastian Colley), als die neuen Bad Guys wie durch eine Seitentür schließlich fast unmerklich eingeführt werden. Nur dass am Schluss nicht „Baby Blue“ von Badfinger wartet („Guess I got what I deserve“). Aber „Praise You“ von Fatboy Slim ist auch nicht das schlechteste Outro, das man hat wählen können.
Thomas Schultze