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REVIEW STREAMING: „Dope Thief“


Herausragende Miniserie über zwei Freunde aus Philadelphia , die sich als DEA-Agenten ausgeben, um Drogendealer auszurauben, und dabei an die Falschen geraten.

CREDITS: 
O-Titel: Dope Thief; Land/Jahr: USA 2025; Laufzeit: 8 x 45 Minuten; Showrunner: Peter Craig; Regie: Ridley Scott, Marcela Said, Jonathan van Tulleken, Peter Craig, Tanya Hamilton; Besetzung: Brian Tyree Henry, Wagner Moura, Marin Ireland, Kate Mulgrew, Amir Arison, Ving Rhames, Dustin Nguyen, Nesta Cooper; Plattform: Apple TV+; Start: 14.März 2025

REVIEW:
Es ist auf den ersten Blick nicht das, was man üblicherweise im Hochglanz-Portfolio von Apple TV+ findet, eher wahrscheinlich bei HBO: „Dope Thief“ vermischt den realistischen Ernst von „The Wire“ und „We Own This City“ mit dem schwarzen Humor von „Breaking Bad“ und „Fargo“ zu einem High-End-Grittiness-Konzept, das so düster, schmutzig, rau und hart ist wie der Schauplatz der spektakulär guten Miniserie, die von Ridley Scott (ausführender Produzent und Regisseur der Pilotfolge) und Peter Craig (Drehbuchautor und Regisseur der letzten Episode) kreiert wurde. Es ist ihre zweite Zusammenarbeit nach „Gladiator II“ und Craigs erstes Drehbuch im Serienformat, das lose auf dem hochgelobten Krimidebüt von Dennis Tafoya basiert, der darin den weniger sonnigen Seiten seiner Heimatstadt Philadelphia ein Denkmal gesetzt hat, und als wären die darin geschilderten Auswirkungen der Opiodkrise und Drogenkriminalität nicht deprimierend genug, wird die literarische Vorlage von 2009 hier an den Anfang des Jahres 2021 verlagert, mitten in die Zeit der COVID-19-Pandemie.

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„Dope Thief“ (Credit: Apple TV+)

Ray Driscoll (Brian Tyree Henry) und Manny Carvalho (Wagner Moura) sind Kleinganoven, die aus der sozioökonomischen Krise und den Skid-Row-Verhältnissen North Philadelphias Profit machen. Ihre Masche besteht darin, mit gefälschten Dienstmarken der Drogenbekämpfungsbehörde und in DEA-Anoraks aus dem Secondhandshop Dealer in heruntergekommenen Reihenhäusern um Stoff, Geld und Waffen zu erleichtern. Ihr Mittelsmann Son Pham („21 Jump Street“-Legende Dustin Nguyen), Oberhaupt eines zwielichtigen vietnamesisch-amerikanischen Familienunternehmens, weiß im Zweifelsfall, um welche Viertel man einen Bogen machen muss und verkauft das beschlagnahmte Material weiter. In der Regel erinnern sich die Bestohlenen im Nachhinein nur an die Badges, nicht an die Gesichter der Diebe, es ist eine risikoarme „Nebenbeschäftigung“, ein Kinderspiel geradezu – ein Witz, bei dem man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll, weil die Opfer tatsächlich meistens minderjährig sind. Sie sorgen für Gerechtigkeit, redet sich Ray ein, sie „nehmen nur von den Schwachen“ und verpassen Kids einen Denkzettel, sie sind die Jäger, die den Bestand dezimieren, bevor zu viele Hirsche im Wald die ganze Ernte wegfressen. Problem ist: Der ärmste Teil von Philly ist bereits abgegrast, Rays Ersatzmutter Theresa (Kate Mulgrew) benötigt dringend finanzielle Hilfe, Mannys Freundin Sherry (Liz Caribel Sierra) drängt auf Familienplanung. Um einen vielleicht letzten großen Coup zu landen, vertrauen sie auf den Tipp ihres nicht vertrauenswürdigen Kumpels Rick (Spenser Granese), der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde – wo sich auch Ray und Manny kennenlernten und Rays entfremdeter Vater Bart (Ving Rhames) einsitzt – und nehmen ein Ziel außerhalb der Stadt ins Visier, ein Wagnis, das besonders professionelle Aufklärungsarbeit erfordert.

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„Dope Thief“ mit Brian Tyree Henry und Wagner Moura (Credit: Apple TV+)

In einer bestechenden, elegant montierten Stream-of-Consciousness-Sequenz erfährt man daraufhin, was statt akribischer Recherche wirklich in Rays Kopf vor sich geht, aus dessen Perspektive größtenteils erzählt wird und dessen Vergangenheit hier und da in schwarz-weißen Flashbacks aufblitzt: Erinnerungen an den selbstverschuldeten Autounfall, bei dem seine Jugendfreundin Marletta (Kaci Walfall) ums Leben kam; Szenen aus dem Westernklassiker „Die Nacht der Rache“, der auf dem Fernsehbildschirm flimmert; die halbherzige Observierung einer maroden Ranch im ländlichen Ottsville; der Besuch eines Meetings der Anonymen Alkoholiker und der anschließende Rückfall, der mit dem selbstmitleidigen Bee-Gees-Song „I Started a Joke“ auf dem Plattenteller endet, dessen warnende Zwischentöne Ray tragischerweise überhört. Kurz darauf sieht sogar der Zuschauer von Weitem, dass es sich bei dem hinterwäldlerischen Farmhaus um das größte Drogen-Quarantäne-Lager der Ostküste handelt und die Diebe auf die falsche Fährte gelockt wurden. Mindestens zwei der anwesenden Personen sind ebenso wenig Dealer wie Ray und Manny DEA-Agenten sind. Menschen sterben. Die Freunde entkommen mit mehreren hunderttausend Dollar und einer Menge Crystal Meth, bevor ihnen das Haus und alles andere um die Ohren fliegt, Hillbilly-Chernobyl. Im Eifer des Gefechts hinterlassen sie ihre Visitenkarte in den Händen eines Gegners, mit dem nicht zu spaßen ist und der mehr als eine Tüte Bonbons zurückverlangt.

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„Dope Thief“ mit Marin Ireland (Credit: Apple TV+)

Inszeniert von Ridley Scott, der den grimmigen Ton und Stil vorgibt, der fast an einen apokalyptischen Endzeit-Thriller erinnert, in dem es aus allen Erd- und Straßenlöchern raucht und buchstäblich die Kacke am Dampfen ist, ist „Jolly Ranchers“ die großartigste Pilotfolge einer Krimiserie, die man seit langem gesehen hat, ein lebensveränderndes Kapitel, in dessen Verlauf Little Simzs trotziger Song „Point And Kill“, der im Vorspann zu hören ist, die Richtung wechselt, die Jäger werden zu Gejagten. In den nächsten Episoden, in denen sich die ästhetische Bildsprache (Kamera: Erik Messerschmidt) teils mit dokumentarisch anmutenden Steadicam-Aufnahmen der Stimmung und Gefühlslage entsprechend verändert, stehen die Hauptfiguren vor der Herausforderung, das, was ihnen lieb ist, in Sicherheit zu bringen und herauszufinden, wer hinter ihnen her ist. Es beginnt eine wilde, blutige Achterbahnfahrt, mit einigen Showdowns und ungeahnten Loopings, die die Dinge immer wieder auf den Kopf stellen. Ray und Manny sind Flüchtlinge, die nicht fliehen können, gefangen in ihrer Herkunft, die an ihnen „wie die Scheiße an den Schuhen klebt“, unzertrennlich aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit und der spektakulären Chemie der charismatischen Stars, zwei Schauspieler, die beide besonders gut in Rollen oder Szenen sind, in denen sie nichts zu sagen haben, ohne Worte agieren. Während Wagner Moura die Angst und Panik ins Gesicht geschrieben stehen, ist Brian Tyree Henrys melancholischer Blick noch ein bisschen niedergeschlagener, der Kopf noch schiefer geneigt als in seiner Rolle in der Kultserie „Atlanta“. Ray ist das Herz und die Zielscheibe der Story, ein geborener Loser, der sich noch von seiner Ersatzmutter ohrfeigen lässt, der nach Erlösung sucht, obwohl er überzeugt ist, sie nicht zu verdienen, der die „Karma-Steuer“ fürchtet, die auch er zu bezahlen hat, der alles unternimmt, um ein guter Mensch zu sein, aber keine Ahnung hat, was das bedeutet, wie die attraktive Quäker-Anwältin Michelle Taylor (Nesta Cooper) feststellt, die ebenso in die Sache hineingezogen wird, wie alle anderen in seinem dysfunktionalen Umfeld. 

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„Dope Thief“ mit Brian Tyree Henry und Ving Rhames (Credit: Apple TV+)

Rays und Mannys Fehlentscheidung wird zur Familienangelegenheit. Ständig taucht eine weitere Crew auf dem Spielfeld auf, eine Amisch-Gruppierung namens „Eden’s Gardeners“, die White-Supremacy-Bikergang „Zero Fucks Given“, ein brutales, militärisches Nazi-Clown-Kommando, das mexikanische Kartell. Nicht ganz so schnell sind ihnen die Strafverfolgungsbehörden auf den Fersen und die Undercover-Agentin Mina (Marin Ireland), die den Blowout auf der Ranch schwer verletzt überlebt hat und auf Rache für den Tod ihres Partners sinnt, die sich im Laufe der Geschichte zurück ins Leben boxt, ihre Stimme wiederfindet und sogar die Erzählperspektive übernimmt. Mina und Ray sind heimliche Geistesverwandte, sie verkörpern die gleiche Dawg Mentality. Das stereotypenfreie Drehbuch macht keinen Unterschied zwischen Gut und Böse, Fake-Cop und Fake-Dealer, es gibt keine Gewinner, nur Verlierer, die mit der Zähigkeit von Underdogs um den Sieg ihrer Mannschaft kämpfen. Der Philly-Slang, die Working-Class- und Street-Credibility der Schauspieler, die popkulturellen Anspielungen und Needle Drops (von Woody Guthries „Philadelphia Lawyer“ bis „Full Effect“ von Freeway) verankern die Authentizität quasi auf Teufel komm raus in den Wurzeln der Stadt. Kate Mulgrews herzzerreißend resiliente Theresa ist mit ihrer frappierenden Unverblümtheit wahrscheinlich der Grund dafür, das Philadelphia als unhöflichste Metropole der USA gilt, das gesamte, von Avy Kaufman genial gecastete Ensemble hat Ecken, Kanten und tief heruntergezogene Mundwinkel.

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„Dope Thief“ mit Brian Tyree Henry und Wagner Moura (Credit: Apple TV+)

Jeder ist Opfer, wird von den eigenen Leuten benutzt, ausgenutzt, missbraucht. Mehr noch als das eigentliche Verbrechen interessiert sich „Dope Thief“ für die Frage, warum die Charaktere trotzdem loyal bleiben, was im epischen Ausmaß in der besten, absurd komischen, sechsten Episode erforscht wird, in der alle Handlungsstränge und Figuren unter teils erheblichem Drogeneinfluss und der Regie von Jonathan van Tulleken („Shōgun“, „The Changeling“) aufeinandertreffen, um Ray wahlweise zu retten, zu verraten oder zu töten, bis er an einem gewissen Punkt selbst die Waffe auf sich richtet, weil er es nicht länger ertragen kann, verarscht zu werden (im Hintergrund läuft „As Long as You Love Me“ von den Backstreet Boys). Wider Erwarten ist dies noch nicht das Ende der Geschichte, in der es immer jemanden gibt, der noch mehr zu verlieren hat. Die Dramaturgie folgt offenbar dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker – man muss erst ganz tief fallen und den Boden berühren, um von dort wieder nach oben klettern zu können, lautet die Prämisse, und wohlmöglich findet man unten im Dreck eine Liebe, die zäher ist als Blut. Nicht umsonst trägt Philadelphia den Spitznamen „City of Brotherly Love“, was letztlich auch so ein amerikanischer Witz ist, bei dem man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll.

Corinna Götz