Eine Westernserie, wie es noch keine gab: Ein Einzelgänger, eine Frau und ihr Sohn bahnen sich den Weg durch ein gesetzloses Utah, inmitten von zahllosen Territorialkämpfen und Angriffen auf ihr Leben.
FAST FACTS:
• Epochale Western-Miniserie in sechs einstündigen Teilen
• Geschrieben von „The Revenant“-Autor Mark L. Smith
• Inszeniert von Peter Berg, Regisseur von „Operation: Kingdom“, „Hancock“ und „Lone Survivor“
• Herausragend besetzt mit Taylor Kitsch, Betty Gilpin und Dane DeHaan in den Hauptrollen
• Um ein Maximum an Authentizität und korrekter Darstellung bemüht
• Basierend auf wahren Ereignissen in Utah in den Fünfigerjahren des 19. Jahrhunderts
CREDITS:
Land / Jahr: USA 2025; Laufzeit: 6 x 60 Minuten; Showrunner & Drehbuch: Mark L. Smith; Regie: Peter Berg; Ausführende Produzenten: Eric Newman, Alex Gayner, Mark L. Smith, Peter Berg; Besetzung: Taylor Kitsch, Betty Gilpin, Dane DeHaan, Saura Lightfoot-Leon, Derek Hinkey, Joe Tippett, Jai Courtney, Preston Mota, Shawnee Pourier, Shea Whigham, Kim Coates; Plattform: Netflix; Start: 9. Januar 2025
REVIEW:
Vor fünf Jahren hat sich Peter Berg, zwischenzeitlich der beste Regisseur Hollywoods mit zwei bleibenden Meisterwerken in Folge, „Friday Night Lights“ und „Operation: Kingdom“, dem Spielfilm abgewandt, nach einer Reihe kommerzieller Enttäuschungen auf der Leinwand und einem gescheiterten Versuch, mit seinem langjährigen Partner-in-Crime Mark Wahlberg mit „Spencer Confidential“ ein Actionkomödien-Franchise bei Netflix vom Boden zu bekommen. Seither hat er Serien gemacht, am erfolgreichsten, wieder für Netflix, „Painkiller“ mit Matthew Broderick und Taylor Kitsch, Bergs anderem erklärten Lieblingsschauspieler. Und jetzt sein erstes Meisterwerk in Serienform, abermals Netflix, „American Primeval“, das anknüpft an das hyperkinetische Bewegungskino, das „Operation: Kingdom“ oder „Lone Survivor“ mit ihren nervösen, intuitiv traumwandlerisch richtigen Bilderfolgen zu Lehrstücken moderner Actiondramaturgie in der Tradition eines Michael Mann so aufregend gemacht hat, hier aber ausgebreitet wie einen epischen Teppich über den Wilden Westen, das andere „Horizon“, ebenso expansiv und weit ausholend, aber keine Utopie, kein Traum einer Zivilisation, kein hoffnungsvoller Blick auf eine bessere Zukunft, sondern ein Albtraum aus Blut, Schweiß und Matsch über das Amerika vor der Zivilisation, urzeitlich und urweltlich eben, wie der Titel impliziert, ein historischer Beleg, wie es wirklich gewesen sein muss, als Mitte des 19. Jahrhunderts die Kulturen und Völker aufeinanderprallten, sich ein Land erhob aus Hass, Gier, Machtwille und biblischer Gewalt, mit aller filmischen Macht nach vorne preschend und dabei um ein Maximum an Authentizität bemüht: „How the West Was Won“ ohne Handbremse, ohne Beschönigung, ohne Wegblenden, wenn es hart auf hart kommt, wenn es unappetitlich wird.
„American Primeval“ ist alles, hat alles, nimmt alles mit. Ist „The Searchers“, ist „Das Wiegenlied vom Totschlag“, ist „Spiel mir das Lied vom Tod“, ist „Hombre“, ist Cormac McCarthy und Larry McMurtry, ist so hart wie „Bone Tomahawk“, ohne grotesk überzeichnet zu sein, ist um Genauigkeit bemüht wie „Killers of the Flower Moon“, ohne auf der Stelle zu treten, ist so grimmig wie „Blood Meridian“, findet aber keine Poesie im endlosen Überlebenskampf, sondern immer nur die menschliche Fähigkeit zur Zerstörung, um Macht, Einfluss und Reichtum zu mehren. Ganz mickrig und nicklich erscheinen einem all die anderen jüngeren Versuche, das amerikanischste aller amerikanischen Genre mit Leben zu erfüllen. „American Primeval“ hat die Ambition und das Können, seinen Ansprüchen gerecht zu werden, einen Querschnitt des Lebens an der Frontier, in diesem Fall dem unweglichsten Utah der Filmgeschichte, zu zeigen, festgemacht an wahren Ereignissen im Jahr 1857, als weiße Siedler, religiöse Eiferer und indigene Stämme, oftmals untereinander, immer gegeneinander, um territoriale Oberhand kämpfen.
Am ehesten lässt sich „American Primeval“ vergleichen mit „The Revenant“ von Alejandro González Iñárritu, der Leonardo DiCaprio 2016 den verdienten Oscar bescherte. Das hat Gründe, die weitergehen als eine ähnliche Herangehensweise an die Darstellung eines beschwerlichen Lebens abseits von Annehmlichkeiten: Mark L. Smith, der den Roman von Michael Punke damals gemeinsam mit dem Regisseur adaptiert hatte, ist Showrunner, Autor und ausführender Produzent, und seine Handschrift ist immer spürbar, immer erkennbar und geht eine homogene Fusion ein mit der rastlosen und dynamischen Inszenierung Peter Bergs. Die Serie beginnt da, wo die Eisenbahn aufhört: Sara Rowell kommt mit ihrem Sohn an im Outpost des pragmatischen Mr. Bridger, souverän gespielt wie gewohnt von Shea Whigham, der neue Besucher empfängt mit einem aufgeknüpften Leichnam am hohen Eingangstor. Ihr Zug hat drei Wochen Verspätung, ihr Führer weiter hinein in die Wildnis, wo Sara ihren Mann treffen will an einem entlegenen Ort, ist ohne sie aufgebrochen. Weil der ihr als Ersatz angeratene Einzelgänger Isaac abwinkt, schließt sie sich einem Trupp Mormonen an, der in einer für sie geschaffenen Enklave ein neues Zuhause gefunden haben hofft, wenn man nur den Weg dahin überlebt. Was sich als schwieriges Unterfangen erweist, weil die neuen Siedler immer irgendwelchen Territorialkämpfen und generell feindseligen Sippen in die Quere kommen.
Ein Angriff bei Tageslicht auf ein Lager mit den Reisenden ist ein erster Vorgeschmack auf das, was einen erwarten wird in der Serie: ein atavistisches Chaos voller Blutrausch und exzessivem Mord, inszeniert wie nichts, was man jemals gesehen hat. Wenn schon jeder vorbeirauschende Pfeil den Sound eines Choppers hat, kann man ahnen, wie sich das allein anhört, wenn auch noch Schusswaffen ins Spiel kommen. Als Zuschauer ist man embedded in diesem Mahlstrom der Unmenschlichkeit, der schließlich doch noch den wortkargen Isaac mit Sara und ihrem Sohn zusammenbringt, die sich ihren Weg gemeinsam mit einem taubstummen indigenen Mädchen von einer Lebensgefahr zur nächsten bahnen, immer verfolgt von einer Posse, die das Kopfgeld einstreichen will, das auf die vermeintliche Mörderin Sara ausgesetzt ist. Einstweilen werden bei besagtem Überfall auch die mormonischen Frauen verschleppt. Während der einzige Überlebende des Massakers sich auf die Suche nach einer von ihnen macht, erleben wir mit, was sie in Gefangenschaft einer berüchtigten Splittergruppe der Shoshonen durchmacht. Voller Querverweise an John Fords bitterem „The Searchers“ ist „American Primeval”, stets entschlossen, die ikonischen Szenen und Momente des in den Augen vieler Filmhistoriker besten Westerns aller Zeiten (Joe Hembus gab ihm in seinem „Western-Lexikon“ als einzigem Film eine Bewertung mit 4 Punkten) neu zu interpretieren, anders darzustellen, historisch und authentisch zurechtzurücken. Das ist in den schwächsten Momenten großartig, in den besten epochal.
Nicht unerwähnt bleiben sollen die Schauspieler in diesem Gottesgericht einer Serie: Taylor Kitsch, von Peter Berg vor 20 Jahren für „Friday Night Lights“ entdeckt und seither ob seiner allamerikanischen Starqualitäten immer wieder von ihm besetzt, ohne jemals so richtig den Durchbruch zu schaffen, ist herausragend als Isaac, diesen resignierten Wiedergänger von John Waynes Ethan Edwards, nur dass er eben nicht getrieben ist von einem endlosen Hass auf die „Injuns“, sondern tiefe Liebe und Sympathie für sie empfindet, weil er von ihnen großgezogen wurde. Wie alle anderen Figuren ist auch Kitsch wettergegerbt und verdreckt, und doch hat seine stoische Ungerührtheit gepaart mit den traurigen Augen, die alles schon gesehen haben, etwas Cooles, eminent Einnehmendes. An seiner Seite ist Betty Gilpin als Sara die eigentliche Entdeckung, die bessere Sienna Miller, wenn man so will, immer nur auf das Wohl ihres mit einer Beinschiene humpelnden Sohnes bedacht, die auf die harte Tour lernen muss, was es bedeutet, was man zahlen muss, wenn man in der Frontier überleben will. Dann ist da noch Dane DeHaan als fast skalpierter und vom Wahnsinn getriebener Mormone (eine Entsprechung der von Jeffrey Hunter gespielten Figur in „The Searchers“), Saura Lightfoot-Leon als verschleppte Mormonin (das Alter ego von Natalie Wood in „The Searchers“), Shawnee Pourier als zierliche und doch so resiliente Two Moon (ein willkommener Gegenentwurf zu der bemitleidenswerten Look in Fords Film) und schließlich Kim Coates als Brigham Young, der sich als unbarmherziger Strippenzieher erweist, um Utah zum Land der Mormonen zu machen, der grausame Architekt des Untergang von Männern, Frauen und Kindern, egal welcher Hautfarbe: Er ist hier das Sinnbild des Amerika, das sich aus dem vergossenen Blut erhebt. Und man sieht zu in „American Primeval“, gebannt und atemlos. Amerika hat sein eigenes „Shogun“: Die Miniserie ist fantastisch.
Thomas Schultze