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REVIEW EVENTKINO: „Strange Darling“

Cleverer und raffiniert konstruierter schmutziger Thriller in sechs Kapiteln über einen Serienkiller und sein vielleicht letztes Opfer.

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2023; Laufzeit: 97 Minuten; Regie & Drehbuch: JT Mollner; Besetzung: Willa Fitzgerald, Kyle Gallner, Madisen Beaty, Bianca A. Santos, Ed Begley Jr., Barbara Hershey; Verleih: Capelight; Start: 21. September 2024 (Event-Start)

REVIEW:
„KOMPLETT GEDREHT AUF 35MM!!“ Die erste Schrifttafel des Films ist als so etwas wie eine Absichtserklärung zu verstehen, so wie das früher öfters auf Rock-Schallplatten hinten auf dem Cover stand: „To be played at maximum volume“: Gedreht mit maximalem Engagement! Wir machen Kino. PUNKT. Und stimmt auch: Seit seinem Debüt auf dem Frightfest in Austin vor einem Jahr hat dieser fiese, dreckige Thriller, der erste Spielfilm von Autor und Regisseur JT Mollner sieben Jahre nach seinem Debüt „Outlaws & Angels“, sich einen fast mythischen Ruf erarbeitet: Als „Strange Darling“ im August einen kleinen, limitierten Kinostart in den USA bei dem Boutique-Indie Magenta Light Studios hatte (und dabei respektable 3,1 Mio. Dollar einspielen konnte), war er kurz einmal sehr intensiv Tagesgespräch und ein Darling der Filmkritik: wegen seiner konsequenten Erzählung, wegen seiner innovativen Konstruktion, wegen seines smarten Spiels mit Konventionen und Erwartungshaltungen. Und weil tatsächlich Hollywoodstar Giovanni Ribisi sein Debüt als Kameramann gab – KOMPLETT GEDREHT AUF 35MM!

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JT Mollners „Strange Darling“ mit Willa Fitzgerald (Credit: Capelight)

Nach besagter Schrifttafel informiert ein Off-Sprecher das Publikum zur Einstimmung, dass ein berüchtigter Serienkiller auf eine Mordreise ging, die ihn von Denver über mehrere Staaten bis nach Oregon führte, wo ihm das Handwerk gelegt werden konnte. Dies sei die Geschichte des letzten Abschnitts der Mordserie. Schnitt auf eine blonde Frau, ganz in Rot gekleidet und blutverschmiert, die aus einem Wald kommend über eine Wiese in Zeitlupe in Richtung Kamera rennt. Im Hintergrund spielt „Love Hurts“ in der wehmütigen Version von Gram Parsons und Emmylou Harris. Groß werden die Namen der Hauptdarsteller eingeblendet: WILLA FITZGERALD als THE LADY; KYLE GALLNER als THE DEMON. Alles klar. Jetzt kann die Handlung beginnen, unterteilt in sechs Kapitel, aber nicht chronologisch angeordnet. Das ist nicht Ausdruck künstlerischer Hochnäsigkeit, sondern ergibt alsbald unbedingt Sinn, wie eben auch „Pulp Fiction“, „Memento“ oder „Irreversible“ nicht mit zeitlicher Abfolge gespielt hatten, weil sie cool rüberkommen wollten. 

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JT Mollners „Strange Darling“ mit Willa Fitzgerald und Kyle Gallner (Credit: Capelight)

Dirty films done dirt cheap: „Strange Darling“ ist ein geschicktes Spiel mit dem Mythos des Final Girl, unzählige Male variiert und neu erdacht seit Marilyn Burns in „The Texas Chain Saw Massacre“ oder Jamie Lee Curtis in „Halloween“, und hier durchaus in direkter Ahnenlinie mit anderen fiesen Thrillern zu sehen wie „Hard Candy“ oder „Fresh“. Den Start machen die Kapitel 3 und 5, die beiden kürzesten Abschnitte, in beiden gibt es keine Dialoge, aber sie sind intensiv und pointiert genug, um die all die nötigen Informationen zu haben, die man braucht, um sich in dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden Hauptfiguren zurechtzufinden. In „Can You Help Me, Please“ sehen wir, wie die Lady auf einem Highway in ihrem knallroten Pinto verfolgt wird vom Demon in seinem Pickup-Truck und ihr dann die Flucht durch einen Wald und besagte Wiese zu einem Farmhaus gelingt, dessen Tür von einem älteren Ehepaar geöffnet wird (Ed Begley Jr. und Barbara Hershey – schön, euch wiederzusehen). Schnitt auf „Here, Kitty, Kitty…“, in dem wir in dem Farmhaus eine Leiche in einer Blutlache liegen sehen, während der Demon mit Gewehr im Anschlag von Zimmer zu Zimmer geht, um die Lady zu suchen – und schließlich in einem Tiefkühltruhe fündig wird. Game over, wie es scheint. Nun geht es weiter mit dem ersten Kapitel, „Mister Snuffle“, in dem Lady und Demon gemeinsam im Auto sitzen, miteinander flirten, darüber debattieren, ob sie miteinander ins Motelzimmer gehen sollen. 

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JT Mollners „Strange Darling“ mit Kyle Gallner (Credit: Capelight)

Kapitel 4 („The Mountain People“), Kapitel 2 („Do You Like To Party”) und Kapitel 6 („Who Is Gary Gilmore“) werden folgen sowie ein Epilog, und je weiter die Handlung fortschreitet, desto klarer wird der Blick, desto mehr setzen sich die Puzzleteile zusammen, desto deutlicher wird, dass man womöglich nicht jedes Bild auf dem Weg richtig interpretiert hat und es tatsächlich nur einen Film geben kann, wenn die Geschichte genau in dieser Reihenfolge erzählt wird. „Strange Darling“ ist ein gewagter und ausgesprochen expliziter Film. Die Gewalt ist drastisch und brutal. Sie kommt erwartet und unerwartet, aber immer direkt und wuchtig. Beide Hauptfiguren schenken sich nichts in diesem Film, der Volten im Minutentakt schlägt: Eine Szene mit hartem, übergriffigem Sex ist da so etwas wie ein Gradmesser, weil es eben dann doch nicht so ist, wie es einem gerade ganz offensichtlich gezeigt wurde. Das geht aber auch nur, wenn man zwei so aufopfernde, über alle Schmerzgrenzen hinausgehende Schauspieler:innen im Lead hat. Kyle Gallner hatte lange keine so gute Rolle mehr, aber der wahre Breakout-Start ist hier Willa Fitzgerald, die man aus „The Fall of the House of Usher“ kennt, die hier beherzt und enthemmt aufspielt, als ginge es tatsächlich um ihr Leben. Ihr Blick in der letzten, ganz langen Einstellung wird einen in den Schlaf verfolgen.

„Strange Darling“ wird von Capelight nur am 21. November 2024 als Midnight Movie in die Kinos der UCI-Gruppe gebracht. Er sei hiermit wärmstens empfohlen. 

Thomas Schultze