Nach der Weltpremiere im Forum der Berlinale feierte „Mit einem Tiger schlafen“ mit Birgit Minichmayr als unangepasste Künstlerin Maria Lassnig in der Hauptrolle österreichische Premiere auf der Diagonale. Am 12. April ist Kinostart in Österreich, der deutsche Start folgt am 23. Mai. Hier unsere Besprechung.
FAST FACTS:
• Neuer Spielfilm von Anja Salomonowitz
• Weltpremiere im Forum der 74. Berlinale
• Österreich-Premiere auf der Diagonale 2024
• Starkes Kinojahr von Birgit Minichmayr
• Auf der Diagonale Preise für Minichmayr, das Szenenbild, Drehbuch und Produktion
CREDITS:
Land/Jahr: Österreich 2024; Laufzeit: 107 Minuten; Regie & Drehbuch: Anja Salomonowitz; Besetzung: Birgit Minichmayr, Johanna Orsini, Maria Nicolini, Lukas Watzl, Oskar Haag; Verleih: Arsenal; Start: 23. Mai 2024
REVIEW:
„Mit einem Tiger schlafen“, der neue Film der vielfach preisgekrönten österreichischen Filmemacherin Anja Salomonowitz, ist fast ein bisschen Mitfühlkino. Wenn Birgit Minichmayr – beeindruckend in ihrer Rolle der Maria Lassnig verschwindend – schlürfend das Atelier durchkreuzt, buckelig im Armlehensessel platznimmt und auf die Eingebung von innen wartet, so lange meditiert, bis das nächste Gemälde aus ihr geboren wird und dann entweder eine große Leinwand an die Wand klopft mit Hammer und Nagel oder sie auf den Boden ausbreitet und fast liegend beginnt, mit ihren selbstgemischten Farben zu malen. Subjektiv, expressiv, figurativ, abstrakt, der Körper spielt eine wichtige Rolle.
Diese schönen Farben, man kann es nicht anders sagen, Farben, an denen man sich nicht satt sehen kann, viel türkis-mintgrün und rosa, blau, gelb, helle, eigentlich auch freundliche Farben, denen die österreichische Malerin eigene Namen gegeben hat, waren es auch, die in Salomonowitz ursprünglich das Verlangen weckten, einen Film über die Grande Dame der österreichischen Avantgarde zu machen, die 1919 im dörflichen Kärnten geboren und 2014 in Wien gestorben ist. Die eine der am teuersten gehandelten Künstlerinnen ihrer Generation wurde. Der Weg dahin war steinig. Wie der Film auch zeigt, musste sich Lassnig im von Männern dominierten Kunstzirkus erst durchsetzen, zog viele Jahre den Kürzeren, erfuhr Rückschläge, Ablehnungen. Zudem war sie ein misstrauischer Mensch. Türen mussten immer abgesperrt werden.
Und sie war kein einfacher Mensch. Ihre direkte, brüske Art, die kurzen, prägnanten Sätze im Kärtner Dialekt spielt Minichmayr hinreißend. Das sorgt auch für die ein oder andere komische Szene, etwa, wenn Lassnig in eine Galerie kommt und die Mitarbeiter zusammenschnauzt, dass alle ihre Bilder falsch aufgehängt worden seien. „So tief unten. Meine Bilder sind doch keine Bodenfeger. Meine Bilder müssen strahlen. Und zwar jedes einzeln. Man muss halt schon verstehen, die Bilder richtig zu inszenieren. Alles falsch.“ Oder als sie in New York ihr Glück versucht und von einem Galeristen abgesnobt wird, der irritiert auf ihr „Selbstporträt unter Plasik“ blickt und sagt, Plastik habe er nicht auf dem Radar, ob denn Plastik bei ihr in „Australia“ ein Problem sei.
Salomonowitz wäre nicht Salomonowitz, wenn sie für ihr dank der Tour de Force von Minichmayr Sogwirkung entfaltendes Künstlerporträt nicht einen besonderen Zugang gewählt hätte. Der Geschichte entzieht sie die lineare Erzählweise, und sie lässt die Künstlerin von Minichmayr in (fast) allen Altersstufen spielen, von der Kindheit bis aufs Sterbebett, über die frühe Begabung im Malen, die schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, dem fehlenden Vater, die gemeinsame Zeit mit Arnulf Rainer, ihrem einen Skandal verursachenden Porträt eines splitternackten Manns mit knallrotem Penis, hin zu den letzten Jahren mit ihrem Assistenten und langjährigen Freund Jans-Werner Poschauko. Auch reale Zeitzeugen bindet sie mit ein, die mitspielen, dann aber auch dokumentarisch in die Kamera sprechen und sich erinnern, wie etwa die Fotografin Elfie Semotan, oder eine ehemalige Nachbarin in Klagenfurt, wo Lassnig lange Zeit lebte.
Lassnig hat bis ins hohe Alter gemalt, im Film steht sie selbst vom Sterbebett, um das der Priester und Angehörige bereits mit lauter Stimme das Ave Maria beten, wieder auf, weil sie noch ein paar Bilder im Kopf hat, die sie unbedingt malen muss. Oder, wie sie in New York sagt: „Life is not bearable for me when I don’t paint. I paint my feelings, I try to be aware of my feelings, to turn them from the inside out.”
Barbara Schuster