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REVIEW MAX OPHÜLS PREIS: „Späti“

Acht mal 30 Minuten langes Comedyformat über einen sympathischen Berliner Loser, der in einer Notlage zwischenzeitlich die Leitung seines Stamm-Spätis in seinem Kiez übernehmen muss.

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„Späti“ mit Wilson Gonzalez Ochsenknecht (Credit: ZDF / Norman Keutgen)

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 8 x 30 Minuten; Regie: Marleen Valien und Max Rainer; Headautor: Patrick Stenzel; Produktion: Esther Busch, Matthias Murmann, Philipp Käßbohrer; Casting: Andrea Rodríguez. Redaktion ZDF: Axel Laustroer; Nina Manhercz; Besetzung: Wilson Gonzalez, Gülseren Erkut, Alexander Finkenwirth, Falilou Seck, Eva Weißenborn, Torsten Michaelis, Zeynep Bozbay, Maja Bons, Gunnar Helm; Sender/Plattform: ZDFneo; Start: Ende März

REVIEW:
Rund 1000 Spätis vermutet berlin.de verteilt über die Fläche der Hauptstadt. Als zusätzliche Information erhält man auf den Weg: „Sogenannte Spätverkaufsstellen gab es zuerst in der DDR, nach der Wende breitete sich die Abkürzung ,Späti’ auch nach Westberlin aus. Schon seit dem Jahr 1859 gibt es in Berlin Verkaufsstellen für Getränke. Zunächst konnte man in den als ,bewegliche Trinkhalle’ genannten Kiosken aber nur Wasser kaufen. Der Begriff Trinkhalle kam mit der Zeit aus der Mode und wurde erst durch das Wort Kiosk und schließlich durch Späti ersetzt.“ Ein ebensolcher „Späti“ ist der Kriegsschauplatz der entsprechend betitelten neuen Serie der bildundtonfabrik (btf) für ZDFneo, die ab Ende März zunächst in der ZDF-Mediathek zur Ausstrahlung kommt und dann im April bei ZDFneo direkt gezeigt wird – nun aber erst einmal Weltpremiere gefeiert hat im Rahmen des 46. Filmfestival Max Ophüls Preis, genau der richtige Ort für die Präsentation dieser Art von jungen Formaten, die ein bisschen anders sind und – wie in diesem Fall – zu gleichen Teilen sympathisch, witzig, widerborstig und ein bisschen ungelenk. Seufz.

„Du bist mein Salz in der Suppe und mein Zucker im Kaffee“, säuselt Hildegard Knef, während die Titelsequenz Alltagsimpressionen aus Berlin im Sommer festhält: überfüllte Mülleimer, runtergefallenes Tüteneis auf dem Trottoir, Hundekot daneben, frisch gezapftes Bier, vorbeifahrende U-Bahnen, emsiges Treiben auf den Straßen, Döner auf die Hand und Tauben, wohin man blickt. Dass das Album, auf dem der Song von 1977 zu hören ist, „Lausige Zeiten“ heißt (und damals der Knef wohl aus der Seele sprach), mag Zufall sein. Es passt aber ganz gut zum Leben der Hauptfigur Fred, gespielt von Wilson Gonzalez (ohne das gewohnte „Ochsenknecht“ in den Credits), den man je nach Sichtweise als Lebenskünstler (seine) oder Loser (die aller anderen) bezeichnen könnte. Das zu etablieren, braucht die Serie gewitzt gerade einmal fünf Minuten: Mal wieder gefeuert, seine Beziehung zu Maja in den Seilen, auch sonst alles verbaselt im Leben. Seufz.

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„Späti“ (Credit: Norman Keutgen/ZDFneo)

Wer zum Späti kommt, den bestraft das Leben: 44 Quadratmeter (Angaben des Senders) und vielleicht noch die kleine Fläche vor dem Laden, wo sich die immer gleichen Nasen treffen und zusehen, was geht im Kiez, machen „Hakan’s Spätkauf“ aus, nicht einfach nur mit drolligem Idioten-Apostroph geschrieben, und nicht einmal den haben sie richtig gemacht, weil er auf dem Kopf steht. Das ist die Welt von „Späti“. Hier wird Fred nach einem Tag fortlaufender Hiobsbotschaften von seinem besten Freund Konoppke auf ein Bier eingeladen, muss es dann aber doch auf seinen eigenen überfüllten Deckel anschreiben lassen, weil der Kumpel noch klammer ist als Fred. Als Ladenbesitzer Hakan von heute auf morgen zurück in die Türkei muss, wo sein Heimatdorf von einem Erdboden geplättet wurde, und er die Geschäfte nicht einfach seiner Tochter Aylin überlassen will, die besser mal besser fürs bevorstehende Abi büffelt, schlägt Freds große Stunde. Weil er mal ein Jahr lang eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gemacht hatte, fühlt er sich gewappnet für diese Aufgabe, auch um sich vor den Augen seiner nunmehr Ex-Freundin und sich selbst zu bewähren. Seufz.

Eine Aufgabe, das erfährt man schon in den ersten beiden von acht Folgen, die zur Besprechung vorlagen, „Alles auf einmal“ und „Angepisst“, die Fred ähnlich fordert wie die meisten anderen Menschen des Planeten die Besteigung des Mt. Everest. Als eine Ladung Bier angeliefert wird und Fred unterschreiben muss, guckt man gespannt, ob er ein „X“ druntersetzt oder wenigstens seinen Namen schreiben kann. Er ist die Art von Typ, für die das morgendliche Ankleiden eine Herausforderung ist und man sich als Zuschauer wundert, ob das Velvet-Underground-T-Shirt Absicht ist oder einfach nur rumlag. So recht lässt es sich nicht erklären, warum man ausgerechnet dieser Katastrophe Mensch gerne zusieht. Aber dann ist es vermutlich so, wie Maja es Aylin erklärt, als diese nachfragt, wie sie es so lange mit einem solchen Idioten habe aushalten können: Als Maja zum ersten Mal für Fred gekocht hatte, aß er trotz Nussallergie das ganze Erdnuss-Curry auf und sagte nach kurzem Krankenhausaufenthalt, er wäre lieber gestorben als ihr Essen nicht zu essen. Seufz.

Eine Komödie des Unvermögens und Versagens ist „Späti“, manchmal vielleicht ein bisschen dick aufgetragen, aber von Headautor Patrick Stenzel und den Regisseuren Marleen Valien und Max Rainer so unverblümt und direkt rausgehauen, Comedy aus der Hüfte, dem Volk auf die Berliner Schnauze geschaut, weiter von jeder Form von Hipstertum entfernt als Prenzlauer Berg von Neukölln, dass man sich am liebsten selbst mit dazusetzte zu den Stammgästen Marianne, Rashid und Helmut vor „Hakan’s Spätkauf“, die zu allem immer eine gute Meinung haben und es mit Langmut ertragen, dass Paradespießer Manfred in der Wohnung direkt über dem Späti immer Terz macht. Leben und leben lassen, ist das Prinzip, das die Serie vom Großstadttheater Berlin übernommen hat. Wie überhaupt alles so handfest und echt aussieht wie in einer Dokumentation oder Reportage, was vermutlich das größte Kompliment ist, das man Bildgestaltung (Max Rauer, Joseph Strauch), Szenenbild (Christina Mammes) und Kostümbild (Hannah Leiner) machen kann: In Kombination mit dem unangestrengten Score von Jonas Vogler schaffen sie eine Welt, in der es den Darstellern leicht fällt, in ihren Figuren zu verschwinden, nicht nur Wilson Gonzalez eben, sondern auch Gülseren Erkut als Aylin, Alexander Finkenwirth als Konoppke oder Zeynep Bozbay als Maja, der gesamte Cast vortrefflich ausgewählt von Andrea Rodriguez. Und wenn am Schluss von Folge 2 „Goodbye, Stranger“ von Supertramp anklingt, schlägt der so jetzige „Späti“ auch noch einen Bogen nach München und in die Vergangenheit, zu Helmut Dietl und „Der ganz normale Wahnsinn“, wo der Song vor mehr als 40 Jahren erstmals in einer deutschen Serie zu hören war. Das mag man alles sofort, ganz arg. Seufz.

Thomas Schultze