SmHJHX

Am Freitag, den 25.10. werden wir ab 15.00 Uhr bis ca. 18 Uhr umfangreiche technische Wartungsarbeiten durchführen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

REVIEW MAX OPHÜLS PREIS: „Noch lange keine Lipizzaner“

Dokumentarfilm der österreichischen Filmemacherin Olga Kosanović über die absurden Hürden im Verfahren um die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

NOCH LANGE KEINE LIPIZZANER STILL  HAUPTSTILL©Kasper e x
„Noch lange keine Lipizzaner“ von Olga Kosanović (Credit: Kasper)

CREDITS
Land/Jahr: Österreich 2024; Regie & Buch: Olga Kosanović; Produktion: Deniz Raunig, April April Filme; Montage: Jan Zischka; Bildgestaltung: Rupert Kasper; Ausstattung: Teresa Wesely, Sophie Rieser & Deniz Raunig; Kostüm: Lisa Hainisch; Originalton: Chuqi Lu, Teresa Schwind & Jan Zischka; Sounddesign: Flora Rajakowitsch; Mischung: Victoria Grohs; Farben: Enikö Edelsbrunner; Festival: Filmfestival Max Ophüls Festival

REVIEW:
Im Gesetz steht, dass es ein angemessener feierlicher Rahmen sein soll. Die Hymne scheppert aus einem kleinen Kassettenrekorder. Man stellt Blumen auf. Und man könnte auch ein Wiener Zuckerl vergeben. Dann gilt es, das Gelöbnis laut und deutlich vorzulesen. Dass man ein getreuer Staatsbürger, eine getreue Staatsbürgerin sein will und alles unterlassen werde, was den Interessen und dem Ansehen der Republik abwegig sein könnte. Echt jetzt? Man fühlt sich in Olga Kosanovićs Dokumentar-Langfilmdebüt „Noch lange keine Lipizzaner“ wie in einem schlechten Film. Das ist allein der Thematik geschuldet, wohlgemerkt. Denn „Noch lange keine Lipizzaner“ könnte nicht besser in unsere Zeit passen, wo ein strammer Rechtsruck allerorts spürbar wird, in mehr und mehr europäischen Staaten rechtsgerichtete Parteien im zweistelligen Höhenflug sind und an Regierungsbildungen teilnehmen. Siehe Österreich!

Kosanovićs Dokumentarfilm ist sehr persönlich: Die Filmemacherin taucht hier ein in den verschlungenen Regierungsapparat in Sachen Einbürgerungsverfahren, nachdem sie selbst als gebürtige Wienerin mit serbischen Wurzeln an ihrem ersten Versuch gescheitert war, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Kosanović, die in Hamburg unter Angela Schenelec studierte, war 2021 eines der Gesichter der SOS-Mitmensch-Initiative #hiergeboren, die Missstände in der österreichischen Einbürgerungspolitik aufzeigen soll. Die Ablehnung ihrer Staatsbürgerschaft wurde durch Zufall medial aufgegriffen – und die Filmemacherin sah sich, wie das im Social-Media-Zeitalter nun mal so ist, mit vielen unschönen Kommentaren konfrontiert, darunter auch mit einem Post, der die Inspiration für den Filmtitel lieferte: „Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner.“

NOCH LANGE KEINE LIPIZZANER STILL ©Kasper e x
„Noch lange keine Lipizzaner“ (Credit: Kasper)

Im Film sagt sie: „Wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich keine Österreicherin bin, hätte ich diesen Film wahrscheinlich nicht gemacht. Hätte mich nie fremd gefühlt, hätte mich nicht in Frage gestellt.“ Sätze wie „Wir müssen erst einmal schauen, ob sie integrierbar sind“ bekam sie beim Antrag für die österreichische Staatsbürgerschaft zu hören. Eine zum Haare raufende Odyssee. In Österreich gilt das Abstammungsprinzip, nicht das Territorialprinzip wie etwa in den USA (das aktuell vom neuen Präsidenten Trump in Frage gestellt wird). Kosanović hätte als Kind zweier Serben nicht mit auf Abi-Fahrt fahren, hätte kein Erasmus in Prag machen dürfen. Österreich hat mit die strengsten Vorschriften, was die Erlangung der Staatsbürgerschaft betrifft, steht gemeinsam mit Bulgarien am europäischen letzten Platz. Weltweit noch restriktiver sind nur die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien. Jeder Strafzettel fürs Falschparken wirkt sich negativ aus. Bei der verpflichtenden Erstinformation in Sachen Einbürgerungsverfahren wird den Anwesenden sogar geraten: „Wenn Sie ein Auto haben, melden sie es am besten ab und lassen es drei Jahre stehen.“

„Noch lange keine Lipizzaner“ (Credit: FFMOP)

„Noch lange keine Lipizzaner“ zeigt, wie Bäume, die dort, wo sie gewachsen sind, ausgebaggert und ihre Wurzeln erst einmal daraufhin untersucht werden, ob sie für den Boden, der ihre Heimat ist, gut genug sind. Dafür findet Kosanović hervorragende Bilder. Sie befragt nicht nur viele Menschen, die sie vor schöne unifarbige Hintergründe setzt, welche Kriterien für sie wichtig wären, um eine Staatsbürgerschaft zu erhalten. Sie befragt auch Expert:innen wie Rechts- und Kulturwissenschaftler:innen, besucht das Stadion von Rapid Wien, lässt Schriftsteller Robert Menasse oder Philosophin Isolde Charim zu Wort kommen auf der Spurensuche nach dem Wir-Gefühl beziehungsweise zu Überlegungen darüber, wo Abgrenzung stattfindet. Fantastisch sind auch die Situationen während der „feierlichen“ Zeremonie bei der Übergabe der Staatsbürgerschafts-Urkunde an verschiedene Österreicher:innen eingefangen. Wie im absurden Theater eines Ionesco. Oder die wie ein Monopoly-Spiel eingearbeiteten Sequenzen, die das „Gehen Sie zurück auf Los“ thematisieren. 

Ein besonders witziger Einfall ist das Glücksrad-Spiel, bei dem Babys ein Geburtsland zugelost wird und anschließend noch der Klassenstatus der Familie per Losentscheid gezogen wird. Oder wie die Filmemacherin selbst den Behördenwahnsinn nachstellt, den bürokratischen Horror, von einem Amt zum nächsten, treppauf-treppab. Man lernt viel bei „Noch lange keine Lippizaner“, vor allem, dass Lippizaner, das noble Aushängeschild, das österreichische Kulturgut der Spanischen Hofreitschule, heute ihren Zuchtstandort in Slowenien haben, in Lippiza, und dass die Lippizaner auf dem slowenischen Euro-Cent und nicht etwa auf dem österreichischen verewigt wurden. Womit wir bei der Frage ankommen, warum die Lipizzaner mehr Österreicher sein sollen, als die jungen Kätzchen, die in der Hofreitschule das Licht der Welt erblickten. 

Barbara Schuster