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REVIEW KINO: „Zwischen uns das Leben“

Melancholische Komödie über einen Filmstar, der in ein Spa-Hotel an die Atlantikküste flieht, um die Frau wiederzutreffen, die er 15 Jahre zuvor sitzengelassen hatte.

CREDITS: 
O-Titel: Hors-Saison; Land/Jahr: Frankreich 2023; Laufzeit: 115 Minuten; Regie: Stéphane Brizé; Drehbuch: Stéphane Brizé, Marie Drucker; Besetzung: Guillaume Canet, Alba Rohrwacher, Marie Drucker, Sharif Andoura; Verleih: Alamode; Kinostart: 1. Mai 2024

REVIEW:
Dass der neue Film von Stéphane Brizé bei seiner Weltpremiere im Wettbewerb der 80. Mostra in Venedig so unbeachtet blieb, lässt keine Rückschlüsse auf seine Qualität zu. Es hängt eher damit zusammen, dass diese stille Komödie über zweite Chancen im Leben erst gegen Ende des Festivals vom Stapel lief und die Öffentlichkeit nach all den Schwergewichten in der ersten Hälfte, allen voran „Poor Things“, „The Killer“ oder „Green Border“, bereits ermattet war und nicht mehr die nötige Muße hatte für einen so feinen, bestechend genau beobachteten Film. Dabei weiß man bereits nach fünf Minuten, dass man sich verlieben wird in diese Geschichte eines abgespannten Filmstars, der flieht vor seinem Leben und in einem einsamen und steril wirkenden Luxusressort direkt an der Atlantikküste wieder zu sich finden will. Oder aber allerspätestens nach der Szene, in der Guillaume Canet sich einen heldenhaften Kampf mit der edlen Kaffeemaschine in seiner Suite liefert – eine der fünf absolut lustigsten Filmszenen des Kinojahres 2023, nicht die einzige, durch die ein Hauch von Tati weht. 

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„Zwischen uns das Leben“ mit Guillaume Canet und Alba Rohrwacher (Foto: Alamode)

„Zwischen uns das Leben“ ist voller solcher Szenen, um den inneren Seelenzustand seiner männlichen Hauptfigur zu illuminieren. In Paris ist Mathieu eine große Nummer, ein gefeierter Filmstar, der sich als Schauspieler neu erfinden will, um ernster genommen zu werden. Kurz vor der Premiere seiner ersten Hauptrolle in einem Theaterstück zieht er die Reißleine. Er ist dem Druck nicht gewachsen und kämpft nun in der Abgeschiedenheit des riesigen Hotels mit seinen Minderwertigkeitskomplexen und Schuldgefühlen, seine Kollegen im Stich gelassen zu haben. In der Hochglanzillustrierten strahlt Mathieu im Porträt in die Kamera, im wahren Leben ist ihm zum Heulen zumute. Nur wenn das Personal Selfies mit ihm macht, kann er die Mundwinkel kurz nach oben ziehen. Die ersten 30 Minuten sind ein beklemmendes und zugleich rasend komisches Porträt einer ausgewachsenen Lebenskrise.

Erst dann wird klar, dass Mathieu womöglich einen Hintergedanken gehabt haben könnte, ausgerechnet an diesen menschenverlassenen Flecken des Landes geflohen zu sein. 15 Jahre sind vergangen, seitdem er die Liebe seines Lebens sitzengelassen hatte, um in Paris Karriere zu machen. Alice, gespielt von Alba Rohrwacher in einer für sie ungewöhnlich warmherzigen Rolle, hat sich nach dem anfänglichen Trennungsschmerz gefangen und lebt nun als Klavierlehrerin mit Mann und Tochter in diesem Ort. Mathieu und Alice treffen sich wieder, und auf einmal öffnet sich der Film, ist voller Möglichkeiten, aber immer vorsichtig und zurückhaltend. Sonst wäre es kein Film von Stéphane Brizé, der zuletzt stets Filme über das Salz der Erde gemacht hatte, den Kampf des einfachen Mannes gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit, „Streik“, „Der Wert des Menschen“, „Un autre monde“. „Zwischen uns das Leben“ fällt aus der Rolle, mit seinem liebe- und humorvollen Ton, ist aber natürlich dennoch handfest, fühlt sich echt an. Anders kann Brizé nicht erzählen in seiner charmant-zurückhaltenden Zwischenbilanz zweier aneinander vorbei geführter Leben. 

In einem wunderbaren Einschub verlässt der Regisseur, der mit einem Drehbuch arbeitet, das er gemeinsam mit der Schauspielerin Marie Drucker geschrieben hat, seine beiden Hauptfiguren und ihre stückweise Annäherung. Unvermittelt unterbricht er die Handlung und lässt eine in die Jahre gekommene Freundin von Alice in die Kamera ihre Lebensgeschichte erzählen. Gänsehaut will man kriegen dabei: Klug erdet das den Film und damit auch die Geschichte von Mathieu und Alice, weil wir erfahren, dass es direkt um sie herum noch andere Leben gibt, die spannend sind, voller Tragödien, Freuden und Erschütterungen stecken. „Zwischen uns das Leben“ ist ein neugieriger Film, er ist interessiert an den Menschen, die er so respektvoll zeigt. Er will sie entdecken, mehr über sie erfahren. Weshalb ein Happy-end immer in der Luft liegt schließlich, aber letztendlich nicht entscheidend ist für die Essenz und die Frage, wie es möglich ist, ein gutes Leben zu führen, auch wenn man Angst hat, es könnte einem entgleiten. Anders als für eine Kaffeemaschine gibt es eben keine Gebrauchsanweisung dafür. 

Thomas Schultze