Fortsetzung von Karoline Herfurths Kinohit von 2022, in dem die bekannten Figuren neue Krisen zu bewältigen haben.
FAST FACTS:
• Fortsetzung von „Wunderschön“, der 2022 auf 1,7 Mio. Tickets kam
• Die Stars von Teil 1 wieder mit dabei: Karoline Herfurth, Nora Tschirner, Emilia Schüle, Friedrich Mücke
• Neu im Ensemble: Anneke Kim Sarnau, Godehard Giese, Malick Bauer, Jasmin Shakeri
• Erste vier Regiearbeiten von Karoline Herfurth: 3,3 Mio. Tickets
• Produziert wie alle Regiearbeiten Herfurths von Hellinger / Doll Filmproduktion
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 137 Minuten; Regie: Karoline Herfurth; Drehbuch: Karoline Herfurth, Monika Hebborn; Besetzung: Karoline Herfurth, Nora Tschirner, Emilia Schüle, Anneke Kim Sarnau, Friedrich Mücke, Godehard Giese, Malick Bauer, Jasmin Shakeri, Emilia Packard, Levy Rico Arcos, Dilara Aylin Ziem, Maximilian Brückner; Verleih: Warner Bros.; Start: 13. Februar 2025
REVIEW:
Um die grundsätzlichen Dinge geht es in den „Wunderschön“-Filmen, um das Wesentliche, um Standortbestimmung und Gegenentwürfe zu medialen Glitzer- und Glamourwelten und Schönheitsidealen und Versuchen, das Menschsein im Allgemeinen und das Frausein im Besonderen in fremdbestimmte Raster zu packen. Es reicht! Genug! Nicht mit mir! Rufen beide Filme mit einer Vehemenz, die ungewöhnlich ist für kommerzielle deutsche Unterhaltungsfilme. Sie treffen einen Nerv, was zumindest gleich bei „Wunderschön“ vor drei Jahren mitten in Corona dafür sorgte, dass trotz mehrfacher Verschiebung des Starttermins 1,7 Mio. Tickets verkauft werden konnten und geredet wurde über das, was Filmemacherin Karoline Herfurth da zu erzählen hatte. Und nun wortwörtlich fortsetzt. Weil längst noch nicht alles gesagt ist, gezeigt ist, erzählt ist. Dass vielleicht etwas in Bewegung gesetzt wurde, aber kleine Etappensiege eben nur das sind: Etappensiege, Markierungen auf einem Weg, dessen Ziele vielleicht sichtbar, aber noch nicht erreicht sind.
Das ist auch in „Wunderschöner“ bisweilen hart am Thesenkino: Karoline Herfurth, aktuell Deutschlands erfolgreichste Filmemacherin mit einem souveränen Umgang mit filmischen Mitteln, erzählt nicht einfach nur die Geschichte einer Gruppe sehr unterschiedlicher Frauen in diversen Stadien verschiedener Lebenskrisen, sie untermauert ihre Argumente durchaus schon einmal mit längeren Vorträgen, die Fakten, Zahlen, Hintergründe liefern, als könne man einen Film mit Fußnoten machen, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, emotionales Erzählkino für ein großes Mainstreamkino mit einer großen Lust am experimentellen Umgang mit der Form zu verbinden. Das lässt „Wunderschöner“ manchmal anekdotisch wirken, episodenhaft, zusammengesetzt aus disparaten Einzelteilen. Gleichzeitig ist es ungemein effektiv, wie die Filmemacherin erzählt und was sie erzählt nach einem Drehbuch, dass sie wie immer seit „Sweethearts“ zusammen mit Monika Hebborn geschrieben hat – ein Film auf der Suche nach seiner eigenen Körperlichkeit, nach einem visuellen Ausdruck, den weiblichen Körper zu zeigen, ohne ihn gleich zu vermessen und/oder zu bewerten: „Why can’t I walk down a street free of suggestion / Is my body my only trait in the eyes of men?“
Herfurths fünfte Regiearbeit seit ihrem Debüt mit „SMS für Dich“ vor zehn Jahren, allesamt zuverlässig und hochwertig produziert von der Berliner Produktionsfabrik Hellinger / Doll Filmproduktion, setzt da an, wo der Vorgänger das Publikum aus dem Kino entließ, bringt mit Ausnahme des von Martina Gedeck und Joachim Król gespielten älteren Paares alle Figuren zurück, mit denen man beim ersten Mal schon bei ihrem Ringen mit den Unwägbarkeiten des Berufs- und Privatlebens im Berlin von Hier und Jetzt gefiebert hat – neu dabei ist die von Anneke Kim Sarnau gespielte Nadine, eine Frau um die 50, die sich stark über Ihr Äußeres und Auftreten definiert, aber trotzdem nicht verhindern kann, dass ihr Mann, ein einflussreicher Lokalpolitiker, zu einer Prostituierten geht. Ansonsten ist man gespannt, wie es weitergeht mit Julie, gespielt von Emilia Schüle, die sich von einer Karriere als Model verabschiedet hat und sich nun als Aufnahmeleiterin bei einer Boulevardshow neu finden will, mit der Lehrerin Vicky, gespielt von Nora Tschirner, die ihren Schülern mit ihren Vorträgen auf die Nerven geht, während ihre Beziehung mit Franz (Maximilian Brückner) im Limbo hängt, und natürlich mit der von der Regisseurin selbst gespielten Sonja, die nunmehr in Trennung von Milan (Friedrich Mücke) lebt und sich herantasten muss, wie es weitergehen kann, miteinander oder getrennt, das ist unklar.
Der Film ist nicht ungerecht, aber er ist hemmungslos und leidenschaftlich parteiisch. Das macht ihn auch entwaffnend. Es geht nicht darum, ihm immer unbedingt beizupflichten. Es geht darum, seinen Argumenten zuzuhören, sie ernst zu nehmen, sie gelten zu lassen. „Wunderschöner“ – 137 Minuten lang – ist wütend, angriffslustig, launisch, moralisch, neurotisch, traurig, lustig, angespannt, voreingenommen, dreht auch mal durch, rückt einem richtig auf die Pelle, bis hinein in den persönlichen Safe-Space. Das muss man aushalten, aber das ist man den Figuren schuldig. Aber er ist nicht übergriffig, niemals übergriffig. Er lässt sich nur nichts gefallen, und das gelingt ihm ausgezeichnet, weil das den Figuren schließlich und endlich Räume freimacht, in denen sie endlich einmal sie selbst sein, sich auf Augenhöhe begegnen dürfen. Sich finden dürfen. „Stand By Me“ als leitmotivischer Song, als kathartischer Höhepunkt eines Films, der richtig gut gemacht ist, mit den fließenden Bildern von Karoline Herfurths Stammkameramann seit „Sweethearts“, Daniel Gottschalk, und einer besonders starken Leistung von Kostümbildnerin Nelly Ruthenbeck in ihrer ersten Arbeit für die Filmemacherin: Sie erschafft für jede Figur ein eigenes Universum, von der luxuriösen Eleganz Nadines über die schluffige Beiläufigkeit Vickys und die simple Härte Julies hin zu den überzeugenden Kids wie aus „Sonne & Beton“, denen die Kämpfe für eine wunderschönere Welt in besonderem Maße gelten.
Thomas Schultze