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REVIEW KINO: „The Ugly Stepsister“


Bodyhorror-Komödie nach „Aschenputtel“-Motiven über ein Mädchen, das der verarmten Familie im Königreich Swetlandia Wohlstand sichern soll, indem sie sich einer Schönheitsumwandlung unterzieht, um die Aufmerksamkeit des Prinzen zu erlangen.

CREDITS:
O-Titel: Den stygge stesøsteren; Land / Jahr: Norwegen 2025; Laufzeit: 109 Minuten; Regie, Drehbuch: Emilie Blichfeldt; Besetzung: Lea Myren, Ane Dahl Torp, Thea Sofie Loch Ness, Flo Fagerli, Isac Calmroth; Verleih: Capelight / Wild Bunch; Start: 12. Juni 2025

REVIEW:
Rucke di guck, rucke di guck, Blut ist im Schuck. Ein besonders grausamer Passus im an grausamen Passus nicht gerade armen Werk der Gebrüder Grimm ist ihr Umgang mit den Stiefschwestern von Aschenputtel: Erst schneiden sie sich die Zehen und dann die Fersen ab, um in den von der Heldin zurückgelassenen Schuh zu passen, dann hacken ihnen auch noch die Krähen die Augen aus. Ob das eine angemessene Strafe für ihre Eitelkeit und Gemeinheit gegenüber Aschenputtel ist, muss jeder für sich entscheiden, in jedem Fall ist dieser Punkt auch das zentrale Ereignis in „The Ugly Stepsister“, das Regiedebüt der in zwei Wochen 34-jährigen Norwegerin Emilie Blichfeldt nach einer Handvoll viel beachteter Kurzfilme, das seine Weltpremiere in Sundance feierte, im Anschluss auf der Berlinale im Panorama gezeigt wurde und nun im Verleih von Capelight als weiterer Beitrag der stetig wachsenden Zahl von Bodyhorrorfilmen weiblicher Filmemacher in die Kinos gebracht wird. 

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„The Ugly Stepsister“ von Emilie Blichfeldt (Credit: Lukasz Bak)

Das blutige Spektakel ist der Höhepunkt in einem durchgängig sehr expliziten Film, der kaum eine Körperflüssigkeit auslässt, um in einem Inferno aus Blut, Menstruationsflüssigkeit, Kotze und Sperma das berühmte Grimm-Märchen auf den Kopf zu stellen. Es ist auch Dreh- und Angelpunkt für diese Dekonstruktion, lässt Emilie Blichfeldt die gesamte Handlung rückwärts danach ausrichten und in einem leicht neu justierten Szenario eine der beiden Schwestern in den Mittelpunkt rücken. Für die Regisseurin ist es eine Ausweitung ihrer filmischen Kampfzone. Schon in ihren Kurzfilmen „How Do You Like My Hair“ oder „Saras intime betroelser“ hat sie sich auf bisweilen drastische Weise mit Schönheitsbildern und gesellschaftlichen Erwartungen auseinandergesetzt. Und „The Ugly Stepsister“ hatte mit „Stesøstra“ aus dem Jahr 2020 bereits einen zehnminütigen Vorläufer, der jetzt abendfüllend in eine Märchenwelt entführt, die nur auf den ersten Blick an tschechische Märchenfilme der Siebzigerjahre erinnert, insbesondere natürlich „Drei Nüsse für Aschenbrödel“. 

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„The Ugly Stepsister“ von Emilie Blichfeldt (Credit: Marcel Zyskind)

Sollte man sich über den eingangs geschriebenen Furor der Grimms wundern, so geht Emilie Blichfeldt in ihrem Entwurf noch deutlich weiter: Man fragt sich bisweilen, was die arme Elvira der Regisseurin persönlich angetan haben könnte, dass sie dieses fortwährende Martyrium über sich ergehen lassen muss, immer kaschiert mit schwarzem Humor und konspirativem Augenzwinkern. Auffallend bösartig ist die junge Frau anders als ihr Vorbild aus dem Märchen (oder beispielsweise der Filmversion von Kenneth Branagh) jedenfalls nicht. Sie ist schlimmstenfalls passiv und verträumt, flüchtet sich in verklärte Tagträume, in denen der schöne Prinz sie rettet oder um ihre Hand anhält, aber eben auch deshalb, weil sie weiß, dass das für sie niemals etwas anderes sein wird als genau das: ein Traum. Sie ist zu plump und ungelenk, hat eine unvorteilhafte Zahnklammer und schräge Nase und obendrein Übergewicht, weil der Frust über ihr Aussehen sie heimlich Gebäck in sich stopfen lässt. Was alles kein Problem wäre, wenn der Plan ihrer manipulativen Mutter aufginge, in eine reiche Familie einzuheiraten. Als der Mann stirbt und als einziges Erbe seine schöne Tochter hinterlässt, richtet sich nun der Fokus ihrer Bemühungen auf Elvira, die in einer umfassenden und schmerzvollen Prozedur rundumerneuert dem Prinzen auf einem großen Ball als künftige Angetraute schmackhaft gemacht werden soll. Näschen werden zertrümmert („Un, deux, trois…“), Augenlider mit Nadeln traktiert. Und schließlich soll als pièce de resistance ein wie eine Xanax geschlucktes Bandwurmei von innen heraus für Schlankheit sorgen. Setzen Sie Ihr bevorzugtes Wortspiel nach Gusto ein: A) Schönheit, die von innen kommt. B) Auf die inneren Werte kommt es an. Oder C) Wer drin ist, ist drin. Harr harr. Da wo sich Cronenbergs „Rabid“ und Argentos „Opera“ treffen und sich Witze erzählen.

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„The Ugly Stepsister“ von Emilie Blichfeldt (Credit: Marcel Zyskind)

Jeder, der schon einmal ein Märchen gelesen oder einen Horrorfilm gesehen hat, weiß, dass das nicht gut enden kann. Wie Demi Moore in „The Substance“ wird auch die beachtlich aufspielende und jeden noch so großen Schrecken duldend über sich ergehen lassende Lea Myren zur Punchline in ihrem eigenen Film: Der Film hat wenig Mitleid mit ihr. Bestenfalls den entsetzten Augen ihrer kleinen Schwester Alma – noch eine Entdeckung: Flo Fagerli – liest man Sympathie ab, Horror ob der entsetzlichen Tortur, der sich die ältere Schwester ausgesetzt sieht, Spielball der Machtspiele ihrer herrischen Mutter, eingezwängt in eine perverse Kontraption zwischen Foltergerät und Sexspielzeug aus dem BDSM-Pornokino von Tanya Hyde, das eine verspielte Nasenschiene aus Metall mit drei um den Kopf gespannten Lederriemen festhält. Überhaupt ist „The Ugly Stepsister“ kaum eine Abrechnung mit toxischer Maskulinität oder dem übermäßig patriarchalischen Königreich Swetlandia. Zugegeben, der Ball des Prinzen ist eine ziemlich eklige Fleischbeschau, und notgeile Blicke präpotenter Junge sind überall, aber der wahre Schrecken ist hier, was Frauen einander antun in einem hypersexualisierten Szenario, das mit fortwährender Dauer mehr und mehr an das Kino von Walerian Borowczyk erinnert, an seine subversiven Meisterwerke „Unmoralische Geschichten“ und ganz besonders „Das Biest“.

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„The Ugly Stepsister“ von Emilie Blichfeldt (Credit: Marcel Zyskind)

Einst wird man Bücher schreiben über die urplötzliche Hausse von Bodyhorror-Filmen, die in Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts die Kinos mit drastischen Perspektiven fluteten, in denen Ekelgrenzen überschritten und sexuelle Transgression mit Lust ausgereizt wurden. Da fügt sich „The Ugly Stepsister“ deutlich in die Ahnenreihe von „Titane“ und „The Substance“, eine Spielwiese für Filmemacherinnen mit überbordender Fantasie und Appetit auf eigenwilliger Bildgestaltung. Es ist auch unverkennbar der Film eines Talents am Beginn seiner Laufbahn, mehr ein Versprechen als bereits seine Einlösung. Die Lust am Erschaffen (extremer) Bilder ist es, die am stärksten Erinnerung bleibt neben einer unerschrockenen Entschlossenheit, sich weder von erzählerischen noch gesellschaftlichen Konventionen einengen zu lassen. Nicht ganz zufällig lässt sich das Korsett, in das Elvira gezwängt werden soll, nicht schließen: Emilie Blichfelt mag nicht nett sein zu ihrer bedauernswerten Heldin, aber das würde sie niemals zulassen. 

Thomas Schultze