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REVIEW KINO: „Teaches of Peaches“

Auf der Berlinale war ein Teddy Award als beste Doku fällig, jetzt hält „Teaches of Peaches“, dieser unapologetische Film über die Ausnahmekünstlerin Peaches, Kurs auf die deutschen Kinos, wo er am 9. Mai starten wird. Hier die SPOT-Besprechung. 

CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 104 Minuten; Regie: Philipp Fussenegger, Judy Landkammer; Drehbuch: Cordula Kablitz-Post, Schyda Vasseghi; Besetzung: Peaches, Leslie Feist, Chilly Gonzales, Shirley Manson; Verleih: farbfilm verleih; Start: 9. Mai 2024

REVIEW:
Wer dabei war, vor etwas mehr als 20 Jahren, der wird sich erinnern, wie wild und gefährlich, wie erfrischend und vital, wie augenzwinkernd und lustvoll sich das angefühlt hat, als Peaches damals auf der Szene erschien, Feist und Chilly Gonzales als Gallionsfiguren an ihrer Seite, etwa zur selben Zeit wie LCD Soundsystem oder The Rapture, als Speerspitze einer neuen Art von Punk, weniger männlich, mehr verspielt, empowering und wunderbar weird, Inbegriff auch das damaligen Berlin im Aufbruch, die Stadt, in der alles möglich schien. Auch und gerade eine Punk-Madonna mit billigen Sonnenbrillen, engen Lack-Hotpants, anliegenden Sporttrikots, unrasierten Achseln und, wie lautstark verlautbart wurde, unrasierter Schamgegend. Als hätte sich eine der Figuren aus Larry Clarks „Tulsa“ selbstständig gemacht und zum erklärten Ziel gesetzt, die deutsche Hauptstadt mit primitivem Elektropunk in der Ahnenfolge von Suicide und Tommi Stumpff in Flammen zu setzen. Peaches skandierte „Fuck the Pain Away“ skandierte und damit eine Hymne der frühen Nullerjahre schuf, die es schließlich sogar zu Weltruhm schaffte, als Sofia Coppola den Song in „Lost in Translation“ verewigte.

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56 und so kampfeslustig wie eh und je: Peaches (Credit: Farbfilm)

20 Jahre nach dem bahnbrechenden Album „The Teaches of Peaches“, heute noch so aufwieglerisch und aufregend wie damals mit seinen stumpfen Beats und bohrenden Basslines, hat sich Peaches zum Jubiläum noch einmal mit dem alten Programm auf Tour begeben. Eine mit Mitte 50 nicht minder imposante und einschüchternde Erscheinung, aber eben bereichert mit zwei Jahrzehnten Erfahrung und einer entspannten Souveränität, die ein schönes Spannungsfeld ergibt zu dem bratzig-frechen Auftreten der frühen Jahre, verbunden durch eine große Liebe an der Performance. Die Vorbereitung und Durchführung der Tour, die phänomenalen Auftritte bilden den Rahmen des Films, der hautnah dabei ist, Atmosphäre und Stimmung einfängt. 

Dazu kommen in „Teaches of Peaches“ erschöpfende neue Interviews mit Peaches, die mit Witz und Humor von ihrem Selbstverständnis als Mensch, Person und Künstlerin erzählt und den Bogen spannt von den Anfängen in Kanada, als sie unter ihrem bürgerlichen Namen Merrill Nisker erste Anstrengungen unternimmt, eben der Enge dieses bürgerlichen Lebens zu entfliehen und nach einer künstlerischen Stimme sucht, über den Durchbruch und Erfolge der frühen Berliner Ära hin zu der provokativen Künstlerin, die sie all die Jahre geblieben ist, immer im Clinch mit dem Status Quo, wenngleich heute eine Elder Statesperson, ein bisschen Bowie auf der einen, ein bisschen Vivienne Westwood auf der anderen Seite und ganz viel Debbie Harry und Chrissie Hynde, um beim Text von „Fuck the Pain Away“ zu bleiben, dazwischen. Leslie Feist und Chilly Gonzales geben zusätzliche Einblicke aus der Vergangenheit, während Peaches‘ Partner Black Cracker und weitere Mitstreiter aus ihrer aktuellen Entourage aus dem Hier und Jetzt berichten. Shirley Manson von Garbage wiederum liefert eloquente Einschätzungen aus der Außensicht. 

Der Clou des Films aber ist ein Füllhorn alter Home-Videos, Konzertclips und Ausschnitten aus Fernsehauftritten, die schon allein eine wahre Wonne wären, von den Filmemachern Philipp Fussenegger und Judy Landkammer aber so kunstvoll und fließend montiert wurden, dass Vergangenheit und Gegenwart sich nicht nur begegnen, sondern förmlich miteinander verschmelzen, ein bisschen wie es Sam Taylor-Johnson auch in ihrem Amy-Winehouse-Film „Back to Black“ versucht hat. Sucht man indes nach einem Referenzfilm, dann fällt einem das letztjährige Meisterwerk „Joan Baez I Am A Noise“ ein, eine völlig andere Musikerin und Künstlerin, keine Frage, rein musikalisch als Ikone der Folk-Musik gewiss am anderen Ende des popmusikalischen Spektrums angesiedelt. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Baez und Peaches, beides Frauen, die aller Widrigkeiten zum Trotz ihren Weg gegangen sind und ihren künstlerischen Ausdruck gefunden haben. Und mehr noch zwischen den Filmen, die einander in der Struktur und dem Zusammenspiel aus Rückblende und Blick auf die Gegenwart ähneln – und den Zuschauer ganz nahe ran bringen an außergewöhnliche Frauen, die man feiern will für alles, was sie mit der Welt teilen. 

Thomas Schultze