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REVIEW KINO: „Speak No Evil“

Packender Psychoschocker über eine amerikanische Familie, die sich auf den Bauernhof einer irischen Familie einladen lässt, die man gerade bei einem Urlaub in der Toskana kennengelernt hat. 

CREDITS: 
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 110 Minuten: Regie & Drehbuch: James Watkins; Besetzung: James McAvoy, Mackenzie Davs, Scott McNairy, Aisling Franciosi, Alix West Lefler; Verleih: Universal; Start:19. September 2024

REVIEW:
Dass der Brite James Watkins acht Jahre nach seiner letzten Regiearbeit fürs Kino (dazwischen lagen zwei vielbeachtete Serien, „McMafia“ und „The Ipcress File“) mit einem Psychothriller, der sich im weitesten Sinne als Horrorfilm bezeichnen lässt, auf die große Leinwand zurückkehrt, mag man folgerichtig empfinden oder nicht. Auffällig ist, welch einen Quantensprung er als Regisseur gemacht hat seit seinen frühen Erfolgen „Eden Lake“ (mit den damals noch unentdeckten Michael Fassbender und Kelly Reilly in den Hauptrollen) und „Die Frau in Schwarz“: Die von ihm selbst adaptierte Neuverfilmung des gleichnamigen dänischen Schockers von Christian Tafdrup von 2022, der seine Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München gefeiert hatte, der „Spurlos verschwunden“ seiner Generation, zeigt Watkins in Vollbesitz seines Könnens als gewiefter Genre-Regisseur. Wie er Tafdrups ultimativen Downertrip des modernen Kinos aufgreift, die Prämisse mehr oder minder unverändert unternimmt, dann aber die Handlung seines „Speak No Evil“ mit zunehmendem Verlauf in eine ganz andere Richtung laufen lässt als das Original, nur weil er eingangs geschickt minimal an den Stellschrauben gedreht hat, zeugt von Geschick und Klugheit, mit der er die Zusammenarbeit mit dem führenden Genreoutfit Blumhouse Productions mehr als verdient. 

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James McAvoy in „Speak No Evil“ von James Watkins (Credit: Universal)

Was im Original eine nihilistische Konfrontation mit der Gewissheit des Todes war, entwickelt sich hier zu einer modernen Version von Peckinpahs „Wer Gewalt sät“, ein konsequenter Survivalschocker, in dem die vermeintlichen Opfer den Spieß umdrehen müssen, um aus einer Situation zu entkommen, die eigentlich aussichtslos erscheint. Lange genug scheint dabei ungewiss, ob sich die Bedrohung nicht doch einfach nur im Kopf des von Mackenzie Davis und Scoot McNairy gespielten amerikanischen Ehepaars abspielt, das sich bei einem Urlaub in der Toskana mit einem von James McAvoy und Aisling Franciosi gespielten Paar aus Irland anfreundet und dessen Einladung annimmt, sie auf ihrem Bauernhof mitten auf dem Land zu besuchen – im Original geht es um ein dänisches Paar zu Besuch bei neuen niederländischen Freunden, getrennt von einer Sprachbarriere. Hier spricht man nun die gleiche Sprache, aber meint man immer auch dasselbe?

In welche Richtung sich die Handlung auch entwickeln mag, schnell steht fest, dass Gastgeber Paddy den Aufenthalt der amerikanischen Familie Dalton als Kräftemessen ansieht, als eine Art Test, wie lange er die patente Louise und den schwachen Ben triezen kann mit seiner prahlerisch herausgestellten Männlichkeit und Virilität, wie weit er gehen kann mit seinen Mikro-Aggressionen und seinem Gestichel und Spott: Ist das Maß voll, wenn Paddy ihre Tochter im Zimmer seines stummen Sohnes auf dem Boden schlafen lässt? Oder läuft das Fass über, wenn er Louise das beste Stück eines Bratens probieren lässt, obwohl sie mehrfach erklärt hat, sie ernähre sich vegetarisch? Oder wenn er seinen Sohn immer wieder und wieder eine Tanzfigur wiederholen lässt, die er mit der Tochter der Dalton eingeübt hatte – wenn man bis jetzt nicht schon genug von „Cotton Eye Joe“ hatte, nach „Speak No Evil“ wird es auf jeden Fall so weit sein? Jede Gelegenheit wird von Paddy genutzt, um über den Zustand der Welt zu referieren und warum ein bisschen Härte und Disziplin noch niemandem geschadet hätte. Und wenn er tatsächlich mal zu weit gegangen sein sollte, ist sein „Just kidding“ immer eine probate Ausrede. 

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Alix West Lefler, Scoot McNairy und Mackenzie Davis in „Speak No Evil“ von James Watkins (Credit: Universal)

Als die Daltons dank ihrer Tochter schließlich das ganze Ausmaß des Schreckens zu realisieren, ist es eigentlich schon zu spät: In einem ausgedehnten Showdown wird es nunmehr um Leben und Tod gehen, ein clever choreographiertes Katz-und-Mausspiel, in dem sich mehrfach ändern wird, wer die Oberhand hat. Und wer das Original kennt, der weiß, dass es keine ausgemachte Sache ist, dass die Sympathieträger die Gewinner sein werden. James McAvoy nutzt das Szenario, um dem Affen Zucker zu geben mit einer Darstellung, die in ihren monströsesten Momenten Jack Nicholson in „Shining“ kanalisiert: Where’s Paddy? Immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Keine leichte Aufgabe, schauspielerisch gegenzuhalten, aber Mackenzie Davis und Scoot McNairy machen ihre Sache sehr gut als Ehepaar am Ende seiner Geduld in einer Situation, die sie nicht kontrollieren. Last but not least ist auch Aisling Franciosi aus „The Nightingale” eine sichere Bank, zumal sie lange offenlässt, welche Rolle Paddys Frau Ciara in der Situation spielt. Wer von einem Film mal wieder ordentlich durchgeschüttelt werden will, sitzt bei „Speak No Evil“ in der ersten Reihe. Und kann danach abgleichen, ob er/sie auch stark genug ist für das dänische Original. 

Thomas Schultze