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REVIEW KINO: „Sieben Tage“


Ermutigendes politisches Drama über eine iranische Menschenrechtsaktivistin, die während eines Hafturlaubs vor der Entscheidung steht, zu fliehen oder ins Gefängnis zurückzukehren.

CREDITS: 
O-Titel: Haft Rooz; Land/Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 110 Minuten; Drehbuch: Mohammad Rasoulof; Regie: Ali Samadi AhadiBesetzung: Vishka Asayesh, Majid Bakhtiari, Tanaz Molaei, Sam Vafa; Verleih: Little Dream Pictures; Start: 15. Mai 2025

REVIEW:
Nach sechs Jahren Gefangenschaft erhält die iranische Menschenrechtlerin Maryam Partov (Vishka Asayesh) aus medizinischen Gründen sieben Tage Hafturlaub. Ohne Wissen der Behörden haben ihr Bruder Nima (Sina Parveneh) und ihr in Hamburg lebender Ehemann Behnam (Majid Bakhtiari) einen Plan ausgearbeitet, der vorsieht, dass Maryam in dieser Zeit ihre Familie an der türkischen Grenze treffen und von dort aus in die Bundesrepublik gelangen kann. Doch zu fliehen, scheint für die prominente Aktivistin zunächst keine Option zu sein: Obwohl ihr politisches Engagement untersagt ist, nimmt sie sofort nach ihrer Entlassung Kontakt zu Unterstützerinnen auf und hilft bei der Organisation eines Streiks; anstatt sich um ihre angeschlagene Gesundheit zu kümmern, fragt sie bei einem Arztbesuch nach Medikamenten für eine Mitgefangene. Dennoch tritt sie schließlich die lebensgefährliche Reise an, um Behnam, ihren zehnjährigen Sohn Alborz (Sam Vafa) und ihre Teenager-Tochter Dena (Tanaz Molaei) endlich wiederzusehen, wobei Letztere schon zu Beginn Zweifel an den Beweggründen ihrer Mutter äußert.

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„Sieben Tage“ von Ali Samadi Ahadi (Credit: Little Dream)

Sieben Tage“ basiert lose auf dem Leben von Narges Mohammadi, die für ihren gewaltlosen Kampf mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Entgegengenommen wurde dieser 2023 von ihren Kindern, denn die seit 1998 mehrfach festgenommene Journalistin verbüßte auch zu diesem Zeitpunkt eine Haftstrafe im berüchtigten Evin-Gefängnis in TeheranAli Samadi Ahadis Film ist eine Hommage an Mohammadi und alle anderen Frauen, die zur zentralen Kraft des Widerstands und so erst recht zur Zielscheibe des Regimes geworden sind. Das Drehbuch stammt von Mohammad Rasoulof, der im April letzten Jahres den Iran verlassen konnte. Er entwickelte die Idee lange bevor er mit „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ in Cannes triumphierte, noch bevor er 2020 für „Doch das Böse gibt es nicht“ den Goldenen Bären gewann. Es ist eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema der moralischen Verantwortung des Einzelnen und dem Preis, den man dafür zahlen muss. Der Film verweist sowohl auf die Leidensgeschichte Rasoulofs als auch auf die des Regisseurs, der im Alter von zwölf Jahren nach Deutschland floh, nimmt allerdings die Perspektive einer Mutter ein, die sich zwischen persönlichem Glück und staatsbürgerlicher Pflicht entscheiden muss, und das Leitmotiv der minimalistischen, fesselnden Erzählung sind die Worte von Narges Mohammadi (die am Ende zitiert werden): „Ich hoffe, meine Kinder wissen, dass ich, wie alle ,ungehorsamen‘ und ,gebrandmarkten‘ Mütter, auch eine liebende Mutter war, deren Herz immer noch vor intensiver Sehnsucht nach ihren Kindern schlägt.“

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„Sieben Tage“ von Ali Samadi Ahadi (Credit: Little Dream)

Heimlich im Iran und in Georgien gedreht, dokumentiert „Sieben Tage“ zunächst Maryams Fluchtweg, auf dem sie von einem Schmuggler zum nächsten gereicht wird, ohne zu wissen, wem sie trauen kann. Kameramann Mathias Neumann (der mit Ali Samadi Ahadi bereits an zwei Teilen der „Pettersson und Findus“-Reihe zusammengearbeitet hat) beschwört die Paranoia der Protagonistin auf nicht gerade subtile Art herauf, wenn er mit unruhiger Handkamera und Weitwinkelobjektiv das Geschehen aus nächster Nähe zeigt, in dramatischen Einstellungen vor schräg verzerrtem Hintergrund. Maryams Zwiespalt ist der rote Faden der Inszenierung, die iranische Schauspielerin Vishka Asayesh, in ihrer Heimat ein Star, verkörpert die widersprüchliche Gefühlswelt ihrer Figur mit sparsamen Mitteln, ihr Blick ist angestrengt, die Lippen zusammengepresst, die Qualen der Gefangenschaft, der Schmerz und die Schuldgefühle gegenüber ihrer Familie sind in ihr Gesicht eingebrannt. Ihr Auftreten ist beharrlich und energisch, sie setzt sich unterwegs für Flüchtende ein, lässt sich weder von ihren Ängsten noch von den Gefahren aufhalten, weder von der Eiseskälte der nächtlichen Fußmärsche, dem Kugelhagel der Grenzkontrolleure, den Leichen unter der Schneedecke, über die sie beinahe stolpert, nicht von der Drohung „Komm nicht zurück, sonst machen wir dich fertig“, mit der man sie aus dem Gefängnis verabschiedet. „Ich möchte nicht weglaufen“, antwortet sie dem Fluchthelfer, der sie flehentlich bittet, auf keinen Fall zurückzukehren, am Wendepunkt, der unmissverständlich klarmacht, dass Maryam ihre Entscheidung längst getroffen hat. Die beschwerlichste Etappe ihrer Reise liegt damit noch vor ihr, als sie das Dorf erreicht, in dem sie von ihren Angehörigen sehnsüchtig erwartet wird.

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„Sieben Tage“ von Ali Samadi Ahadi (Credit: Little Dream Entertainment)

Im letzten Teil des Films wird aus dem Survival-Thriller ein eindringliches Familiendrama, in dem Maryam zwei Tage bleiben, um sich Dena, Alborz und Behnam zu erklären, Zeit mit ihnen zu verbringen, die Widerstände zwischen ihnen zu überwinden. Sie schöpft Kraft aus den wenigen fragilen Glücksmomenten, saugt sie förmlich in sich auf – in Gedanken scheint sie längst woanders zu sein, als wäre sie ohnehin eine Besucherin, nur auf der Durchreise. Ihr Egoismus vorzuwerfen, weil sie nicht bereit dazu ist, sich selbst zu retten, wäre absurd, aber man kann nachvollziehen, warum ihre verbitterte Tochter genau das mit brutaler Ehrlichkeit tut. Selbst an dieser Stelle klingen Maryams Rechtfertigungen wie die einer Aktivistin. Sie ist eine Löwin, heißt es einmal, das Kämpfen ist ihre Natur. „Mit meinem ganzen Wesen bleib‘ ich Mutter“, brüllt sie Behnam an, „aber nicht nach Euren, sondern nach meinen eigenen Werten!“ Das Drehbuch ergreift stets Partei für beide Seiten, geht nie den einfachen Weg. Auch die Dramaturgie wirkt im letzten Drittel wie zerrissen, kein Gespräch wird zufriedenstellend zu Ende geführt, es scheint kaum möglich, das komplexe Dilemma in Worte oder Bilder zu fassen. Man spürt, dass die gestellten Fragen auch für die Filmemacher persönlich sind, dass alles Persönliche politisch, die wahrhaftige, trotzdem hoffnungsvolle Geschichte Teil des Kampfes ist – und jede Entscheidung, die die Heldin trifft, verlangt nichts als Respekt. Tatsächlich wurde Narges Mohammadi im Dezember 2024 aus gesundheitlichen Gründen für einen Hafturlaub aus dem Gefängnis entlassen und könnte schon bald dorthin zurückgebracht werden, weil sie nach wie vor der festen Überzeugung ist, dass sie sich für Freiheit, Gleichberechtigung und Menschenrechte nur dort einsetzen kann, wo diese verletzt werden. „Politische Aktivistinnen im Frauenabteil des Evin-Gefängnisses sind willensstarke Frauen, die viel aushalten und sich nicht brechen lassen“, sagte sie in einem Interview. „Ich bin mir sicher, dass diese Bewegung mächtig ist und nicht aufhören wird. Das ist die Kunst des iranischen Volkes.“

Corinna Götz