Im Jahr 1930 überwindet der Pilot und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry alle Grenzen, um seinem besten Freund nach einem Flugzeugabsturz in den Anden das Leben zu retten.
FAST FACTS:
• Biografischer und poetischer Arthouse-Abenteuerfilm über Antoine de Saint-Exupéry, der sich auf eine Episode seines Lebens konzentriert, die später sein weltberühmtes Buch „Der kleine Prinz“ inspirierte
• Hochkarätig besetzt mit Louis Garrel, Vincent Cassel und Diane Kruger
• Märchenhafte, atmosphärische und kunstvolle Inszenierung des französisch-argentinischen Filmemachers Pablo Agüero („Tanz der Unschuldigen“, „Eva no duerme“)
CREDITS:
O-Titel: Saint-Ex; Land/Jahr: Frankreich/Belgien 2024; Laufzeit: 98 Minuten; Drehbuch: Pablo Agüero; Regie: Pablo Agüero; Besetzung: Louis Garrel, Vincent Cassel, Diane Kruger, Yseult, Blanche Redouloux, Benoît Magimel; Verleih: STUDIOCANAL; Start: 29. Mai 2025
REVIEW:
Bevor Antoine de Saint-Exupéry mit seiner märchenhaften Erzählung „Der kleine Prinz“, dem vielleicht meistgelesenen Buch nach der Bibel, weltberühmt wurde, war er bereits als schriftstellernder Berufspilot bekannt. „Um schreiben zu können, muss man zuerst gelebt haben“, lautete seine Philosophie, die er mit seinem Zeitgenossen Ernest Hemingway ebenso teilte wie die prägende Erfahrung zweier Weltkriege. Zwischen diesen setzte Saint-Exupéry als Pionier der zivilen Luftfahrt bereitwillig sein Leben aufs Spiel, oft an der Seite seines brüderlichen, loyalen Freunds und Mentors Henri Guillaumet. Im Jahr 1930, in dem der Film größtenteils spielt, richten die beiden im Auftrag der französischen Aéropostale in Argentinien Luftpostlinien ein. Es ist eine Aufgabe, zu der sie sich berufen fühlen, im Höhenrausch trotzen sie unerschrocken den Elementen, wie die actionreiche Anfangssequenz demonstriert, in der sie todesmutig die Grenzen ihrer Flugmaschinen ausloten. Ihre Arbeit ist ein ständiger Wettlauf gegen die Zeit und gegen die Konkurrenz der Eisenbahn, ihre größte Herausforderung: die Überquerung der Anden und das Fliegen bei Nacht. Als Guillaumet eines Tages allein eine besonders riskante Passage wagt, gerät er in einen Schneesturm und muss ohne Funkkontakt irgendwo in den Bergen notlanden. Verrückt vor Sorge, unterstützt von Guillaumets Frau Noëlle, bricht Saint-Exupéry zu einer waghalsigen Rettungsodyssee auf, die ihn zehn Jahre später zu seinem Buch „Wind, Sand und Sterne“ inspirieren wird und deren Abenteuergeist auch sein 1943 erschienenes Vermächtnis „Der kleine Prinz“ durchweht.
Der siebte Film des französisch-argentinischen Drehbuchautors und Regisseurs Pablo Agüero (der eben dort geboren ist, wo die Handlung spielt) ist kein Biopic, sondern eine Hommage, wie er zu Beginn ankündigt, ein Drama, das die bekannten, schon mehrfach verfilmten Ereignisse „durch das poetische Prisma von Saint-Exupéry“ beleuchtet. Hauptdarsteller Louis Garrel mag äußerlich wenig Ähnlichkeiten mit seinem realen Vorbild haben, vielmehr verkörpert er eine Figur, die dessen Fantasie entsprungen sein könnte. Saint-Ex, wie ihn seine Freunde nennen, hat einen jungenhaften, leicht selbstironischen Charme, er ist charismatisch und unbekümmert, ein Träumer mit dem Kopf in den Wolken. Sein Einfallsreichtum und seine Visionen werden im Lauf des Films zu seiner großen Stärke, die ihm zugleich dabei helfen werden, ein Kindheitstrauma zu überwinden, das in Rückblenden anklingt. Während er selbst über sich hinauswächst, lernt der heldenhaft verehrte Henri Guillaumet, mit ungewohnter Zurückhaltung gespielt von Vincent Cassel, was Demut und Verletzlichkeit bedeuten; als dessen liebende, geerdete Ehefrau ist Diane Kruger die Stimme der Vernunft zwischen den zwei tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten. Es ist ein fantastisches Trio mit magischer Anziehungskraft, das Agüero durch ein surreales Szenario schickt, auf eine Initiationsreise, die dem „kleinen Prinzen“ alle Ehre macht, in einer episodenhaften Abfolge von Begegnungen mit unterschiedlichen, teils auf realen Personen basierenden Charakteren, die dem Protagonisten den Weg weisen, bis er sich nur noch von der Natur, dem Flügelschlag eines Kondors und den Sternen leiten lässt und die Geschichte stetig karger wird.
Wie in Saint-Exupérys Romanen bewegen sich die Figuren zwischen Fantasie und Realität, es gibt eine exzentrische Cabaret-Szene in einem wie aus dem Nichts erscheinenden Nachtclub, die Landebahn wird zur Tanzbühne, Maschinen zu Instrumenten, ein Zug rattert im Tango-Rhythmus, jedes Geräusch ist Musik, die sich mit den Kompositionen des Soundtracks vermischt. Manche Kunstgriffe mögen dem geringen Budget geschuldet sein, unterstützen aber den symbolischen Charakter und den naiven Zauber des Drehbuchs. Flugzeuge hängen wie an Seilen in den Wolken, Saint-Exupérys ikonische Kinderbuch-Illustrationen werden lebendig, wie die des Fliegers, der mit wehendem Schal eine Düne besteigt und die Sonne grüßt. Die Farbpalette ist auf einen silbrigen, golddurchwirkten Glanz reduziert, als befinde man sich in einer metaphysischen Welt zwischen Leben und Tod, in der sich Guillaumet verirrt hat und in die wie ein Hoffnungsschimmer das Licht eindringt – und manchmal der poetische Realismus, an den sowohl Agüeros als auch das Werk von Saint-Exupéry erinnern. Er suche nicht die Gefahr, er suche das Leben, schrieb der Schriftsteller in „Wind, Sand und Sterne“, der Sinn der Existenz sei nur in menschlichen Beziehungen zu finden. Der Film betrachtet die Welt mit eben diesem Humanismus und dem Herzen Saint-Exupérys, ein Blick, der ganz zum Schluss eine tragische und bittere Ironie offenbart, wenn die Geschichte auf dem Boden der Tatsachen landet, abrupt mit einer Zusammenfassung der letzten zehn Jahre des Titelhelden endet, der 1944 von einem militärischen Aufklärungsflug nicht mehr zurückkehrte: Er hat 75 Abstürze überlebt, viele Kameraden gerettet, Gipfel bezwungen und Nachtflüge ermöglicht, kommentiert der Erzähler (im Original Benoît Magimel) – doch den Faschismus hat er nicht kommen sehen.
Corinna Götz