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REVIEW KINO: „Rust – Legende des Westens“


Klassisch erzählter Independent-Western über den Outlaw Harland Rust, der seinen unschuldig des Mordes überführten, 13-jährigen Enkel rettet und danach von Polizei und Kopfgeldjägern gejagt wird.

CREDITS:
O-Titel: Rust; Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 133 Minuten; Regie, Drehbuch: Joel Souza; Besetzung: Alec Baldwin, Patrick Scott-McDermott, Travis Fimmel, Frances Fisher, Jake Busey, Josh Hopkins, Travis Hammer; Verleih: Splendid (24 Bilder); Start: 1. Mai 2025

REVIEW:
Unmöglich ist es, auf „Rust – Legende des Westens“ zu blicken und nicht an die Ereignisse am 21. Oktober 2021 zu denken: Bei den Vorbereitungen zum Dreh einer Szene im Inneren einer Kirche sollte Hauptdarsteller (und Produzent) Alec Baldwin einen Revolver direkt in Richtung Kamera abfeuern – einen Revolver, von dem er überzeugt gewesen sein musste, dass er mit Platzpatronen geladen war, in dem sich allerdings scharfe Munition befand. Der abgegebene Schuss verletzte Regisseur Joel Souza und tötete Kamerafrau Halyna Hutchins. Lange war unklar, ob der Film auch aufgrund der verschiedenen Prozesse gegen die Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed und Produzent Baldwin fertiggestellt werden könnte. Es ist indes gelungen, worum es in dieser Besprechung auch gehen soll. Beim Filmfestival Cameraimage in Toruń, Polen wurde der Film am 20. November 2024 zur Ehrung von Halyna Hutchins uraufgeführt. Welche Aufnahmen tatsächlich von ihr gedreht wurden, lässt sich als außenstehender Betrachter kaum sagen. Zur Fertigstellung bedurfte es zahlreicher weiterer Drehtage (die Szene in der Kirche wurde aus dem Drehbuch gestrichen), die von der neuen Bildgestalterin Bianca Cline umgesetzt wurden. Es ist, das lässt sich sagen, ein prächtig anzusehender Film geworden, mit weitgreifenden Panoramablicken und stimmungsvoller Charakterarbeit bei den Nahaufnahmen. 

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„Rust – Legende des Westens“ mit Alec Baldwin (Credit: Splendid / 24 Bilder)

„Rust“ reiht sich in eine kleine, aber feine Gruppe von unabhängig entstandenen Western in den letzten Jahren, die selten den Widerhall erfuhren, den sie verdient gehabt hätten, weder Walter Hills beschwingter „Dead for a Dollar“ mit Christoph Waltz, noch Potsy Poncirolis erstaunlicher Venedig-Wettbewerbsbeitrag „Old Henry“ mit Tim Blake Nelson oder Viggo Mortensens feministischer Entwurf „The Dead Don’t Hurt“ mit Vicky Krieps. Von ihnen ist der Film von Joel Souza wohl der ambitionierteste – und ein großer Schritt für den Regisseur, der noch keinen seiner Filme im deutschen Kino platzieren konnte, aber für seinen „Rust“-Vorgänger „Im Netz der Gewalt“ aus dem Jahr 2019 gute Kritiken erhielt. Ein Budget von kolportierten sechs bis sieben Millionen Dollar lässt ein B-Movie vermuten, aber dieses 1882 angesiedelte Epos ist mit seiner melancholischen Erzählung und handfesten Machart mehr als Fresko gedacht, ein großer Abgesang auf das, was im Westen mal wild gewesen sein mag, eine Entlarvung romantisierender Bilder, die man mit Revolverhelden und Outlaws verbinden mag.

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„Rust – Legende des Westens“ mit Alec Baldwin (Credit: Splendid / 24 Bilder)

Ein Hauch von „The Wild Bunch“ und „Der Texaner“ durchzieht den Film, aber das deutlichste Vorbild, bisweilen hin zur Mimikry, ist Clint Eastwoods Oscargewinner „Erbarmungslos“, auch so eine Abrechnung, wenngleich der noch einmal eine Klasse besser ist – dass in beiden Filmen Frances Fisher die wichtigste weibliche Hauptrolle spielt, unterstreicht es zusätzlich, als Madame eines Bordells in dem einen, als feine wohlhabende Dame in dem anderen. Man sieht das gleich in der ersten Szene, die fast spiegelverkehrt ein Szenario aus dem Meisterwerk von 1992 aufgreift. In „Erbarmungslos“ sieht man den in die Jahre gekommenen Mörder und Revolverhelden William Munny, wie er auf seiner einsamen Farm Gartenarbeit verrichtet, die Schweine füttert – wenige Meter entfernt vom Grab seiner Frau. In „Rust“ ist es der 13-Jährige Lucas, gespielt von Patrick Scott-McDermott, der die Drecksarbeit erledigt, das Grab seiner Eltern gleich in Greifweite. Auch im weiteren Verlauf ist der Film wie ein kleine Bruder, im ständigen Austausch und Dialog mit dem Klassiker, wie ein fortlaufendes Echo, das seinen eigenen Reiz in der Variation der bekannten Motive findet. 

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„Rust – Legende des Westens“ (Credit: EnergaCamerimage International Film Festival )

Besagter Lucas steht im Mittelpunkt der Handlung, die für ihn ein Kampf ums Überleben ist, aber eben auch ein Initiationsritus, eine Rite of Passage, ein Wurf ins eisige Becken, ein erstes Eintauchen und Hineinschmecken in eine Männerwelt der Erwachsenen, die man keinem Jungen wünscht, weil sie dominiert ist vom Recht des Stärkeren. Die Älteren in der Geschichte, darunter sein Großvater Harland Rust, ein einstmals berüchtigter Mörder, bekannt für seine besondere Kaltblütigkeit, wie auf allen Steckbriefen ausgewiesen, sind gezeichnet, tragen eine ewige Müdigkeit in den Augen, sind der fortwährenden Gewalt und des Blutvergießens überdrüssig. Zu ihrem Spielball wird der Junge, der nach einem tragischen Unfall zum Tode verurteilt und vor dem Galgen eben von seinem Großvater gerettet wird, der aus seinem sicheren Versteck gekommen ist, um seinen Enkel durch das unwegsame Gebiet indigener Stämme über die mexikanische Grenze zu bringen und zu retten. Gleich mehrere Gruppen von Kopfgeldjägern heften sich an ihre Fersen, insbesondere der mit allen Wassern gewaschene Lawman Wood Helm, gespielt von Josh Hopkins, und der exaltierte Einzelgänger Fenton „Preacher“ Long“, gespielt von Travis Fimmel aus „Vikings“, der sich als vom Herrgott selbst mit einer heiligen Mission betraut fühlt und der größte Psychopath von allen ist. 

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Josh Hopkins und Jake Busey in „Rust – Legende des Westens“ (Credit: Splendid Medien)

Natürlich werden die Handlungsfäden zusammengeführt, natürlich wird es einen Tag der Abrechnung geben, natürlich werden Leichen den Weg des Films pflastern, dem man vorwerfen muss, in der Mitte ein bisschen durchzuhängen und keinen richtig guten Grund für seine 140-minütige Laufzeit zu haben. Wenn er denn dann alle Parteien in Stellung gebracht hat, entwickelt er aber den angestrebten Sog im Windschatten eines „Erbarmungslos“, vergisst man die ungelenkeren Szene eher zu Beginn, die auch schon mal wie Cosplay wirken können, ein Besuch in der Westernshow mit in triefendem Drawl deklamierten Texten. Der Film braucht eben, bis er zu sich findet. Wenn er es dann tut, er seine Themen durch zu deklinieren beginnt, ist er wie ein Mahnmal, als kommentiere er selbst die Tragödie, die ihm beim Entstehen zu trauriger Berühmtheit verhalf. Ein gewalttätiger Western, der die Gewalt verabscheut, ist „Rust“ geworden. Und ein Film, der nicht vergisst, seine Hauptfigur am Schluss sagen zu lassen, sein Name sei „Lucas Rust“, ohne das gewaltsame Erbe seines Großvaters anzutreten. Genug Menschen sind gestorben dafür auf dem Weg. 

Thomas Schultze