Filmisch atemberaubende Reise ans Ende der Nacht, in der ein junger Mann im angesagtesten Technoclub der Stadt eine Platte einem angesagten DJ unbedingt persönlich überreichen will.
FAST FACTS:
• Filmische Ode an Wirkung und Bedeutung von Techno als subkulturelle Kraft
• Aufregende filmische Umsetzung, als wäre man als Publikum live dabei
• Innovatives deutsches Kino auf der Suche nach einer neuen Bildsprache
• Großartige filmische Tour de Force von Aaron Altaras („Die Zweiflers“, „Deutsches Haus“)
• Von den Regisseuren Viktor Jakovleski („KRANK Berlin“) und Nikias Chryssos („A Pure Place“)
• Produziert von Telos Pictures GmbH
• Perfekt auf den Film abgestimmter Soundtrack von
• Premiere auf dem 42. Filmfest München
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 80 Minuten; Regie, Drehbuch: Viktor Jakovleski, Nikias Chryssos; Besetzung: Aaron Altaras, Clemens Schick, June Ellys Mach, Ruby Commey, Bineta Hansen, Hieroglyphic Being, Isaak Dentler, Lucia Lu; Verleih: Weltkino; Start: 31. Juli 2025
REVIEW:
Sollte sich jemand die Frage gestellt haben, wie viel Gaspar Noé das deutsche Kino kann, kann man entspannt antworten: Ziemlich viel. Wenn denn Viktor Jakovleski involviert ist, der in diesem Jahr schon die deutsche Fernsehserie im Handstreich revolutioniert hat mit „KRANK Berlin“ und nun im Schulterschluss mit seinem Regiekollegen Nikias Chryssos dasselbe gleich noch einmal leistet für den deutschen Kinofilm. In den besten Momenten hat der Film den Drive der Anfangssequenz von „Climax“, in den halluzinierendsten Momenten liegt er auf einer Wellenlänge mit „Enter the Void“, in allen Momenten ist er außerordentliches Filmemachen ohne Netz und doppelten Boden, eine Form von halbdokumentarischer Kriegsberichterstattung, embedded und immersiv, wie eben auch bei „KRANK Berlin“, deren von Slavko Popadic gespielte männliche Hauptfigur Dr. Ben Weber ein verlorener Zwilling des hier von Aaron Altaras bis an den Rand der Selbstaufgabe (und in ein paar Szenen wohl auch darüber hinaus) gespielten Kosmo sein könnte – nur dass sich „Rave On“, eine Produktion der Telos Pictures GmbH, immer tiefer hineinbewegt in die Tiefen eines angesagten Berliner Technoclubs, als sei dieser Ort selbst ein Organismus und die poppenden Beats und dröhnenden Bässe das Blut, das durch seine Adern fließt: eine Örtlichkeit, die Himmel sein kann und Hölle und alles zwischendrin.

Die Prämisse ist denkbar simpel: Ein junger Mann will eine Schallplatte bei einem DJ abliefern. Punkt. Koste es, was es wolle. Punkt. Sein Leben hängt davon ab. Findet zumindest er. Daraus entspinnt sich eine Reise in das Herz der Finsternis, eine deutsche Apocalypse Wow im Wummern der Basslines, wenn man so will, nur dass es nicht durch den Dschungel von Vietnam geht, sondern ein weit verzweigtes Kellersystem einer alten Fabrik in der Hauptstadt (und dass „Rave On“ nicht von Coppolas Größenwahn und Grandezza durchflutet ist, kein grandioses Statement abgeben will zur Condition humaine – bei allem Lob wollen wir die Kirche auch im Dorf lassen). Eine persönliche Reise wird beschrieben, das own private Idaho der Hauptfigur. Get out of the state, get out of the state you’re in. An der Reise spiegelt sich das Erlebnis Techno als Bewusstseinszustand in verschiedenen, zunehmend psychedelischen Stadien. Eine Verwandtschaft zu Hannes Stöhrs „Berlin Calling“ aus dem Jahr 2008 ist nicht von der Hand zu weisen, aber Jakovleski und Chryssos sind mit Unterstützung ihres brillanten Kameramanns Jonas Schneider filmischer im Einsatz der Mittel, feilen an einer Bildsprache, die eine unmittelbare visuelle Entsprechung für die Musik sein will, die sich als Lebenslinie durch den Film zieht, großteils neu komponiert von Ed Davenport (und Hieroglyphic Being, der auch als DJ Troy Porter zu sehen ist, der General Kurtz des Films), angereichert von ein paar lizensierten Tracks, unter anderem von CJ Bolland.

Der Film beginnt mit einer Schwarzblende. Ein repetitiver Synthesizer-Loop ist zu hören, amorph zunächst, erst später setzt ein Technobeat ein. Man wartet auf das Einsetzen eines Stroboskopgewitters. Aber „Rave On“ setzt auf Crescendo vor der Katharsis, kostet seine Ouvertüre aus. Erst nach etwa einer Minute durchschneidet ein erster Stroboskopblitz das Schwarz, die Frequenz erhöht sich sukzessive, nach zwei Minuten brüllen die Credittafeln in Richtung Zuschauer:in. Erst danach sind wir bei Kosmo, der in den Club will, an den Bouncern vorbei, hin zu dem legendären DJ Troy Porter. Ihm will er die einmalige Testpressung eines neuen Tracks in die Hand drücken, will damit, wie wir erfahren, eine Verfehlung gutmachen, die Kosmo vor Jahren aus der Spur geworfen hat. Und die er nun in den Tiefen des Clubs Schallwerk konfrontieren muss, mit alten Bekannten, die er wieder trifft, neuen Bekanntschaften, die er macht, und jeder Menge legaler und illegaler Substanzen, die er nicht einwerfen will, aber einwerfen wird, was seinen Weg eine Odyssee der Irrungen und Wirrungen werden lässt. Immer weiter entfernt von der Realität, immer näher heran an eine kosmische Erfahrung, die kulminiert in einem existenzialistischen Monolog, der für das Leben, aber auch für Techno stehen mag: „Scheitern kann dir helfen zu lernen. ,Reset’ drücken und neu anfangen. Du musst dranbleiben. Kreativ sein. Techno entsteht aus kollektiven Erlebnissen. Einem Kollektiv von Menschen. Einem kollektiven Ursprung. Und diese Erlebnisse werden mit anderen geteilt. Die Leute saugen sie auf. Die Welt saugt sie auf. Zeit existiert nicht.“

Damit beschreiben die Filmemacher, die auch das Drehbuch geschrieben haben und in jedem Moment vermitteln, dass sie dieses Universum intrinsisch kennen und verinnerlicht haben, in diesem Moment auch das Seherlebnis, das man mit diesem Film hat, ein einziger Stream of Consciousness entlang an den hypnotischen Sequenzen eines „2001“ oder „Queer“. Oder eben dem körperlich spürbaren Kino des eingangs erwähnten Gaspar Noé, der auf seine Weise ebenfalls nach Transzendenz strebt. Hier schaffen die Filmemacher eine Oberfläche für Aaron Altaras, der buchstäblich in jeder Szene zu sehen ist, sich mit vollem Körpereinsatz, aber doch immer ganz fein in der Darstellung seinen Weg bahnt durch einen Rave, der Rock’n’Roll, Drogen und ganz erstaunlichen, überraschenden Sex umfasst, der eine Körperlichkeit und ein Verlangen transportiert, wie man das gerade im Kino der Gegenwart nicht mehr zu häufig erlebt, die Ekstase und die Agonie in diesem Trip ans Ende der Nacht, der Zeit aufhebt und schließlich auch den Raum. Und der einen tanzen und fühlen lässt zum Herzschlag der besten Musik.
Thomas Schultze