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REVIEW KINO: „Radical – Eine Klasse für sich“

Packendes Drama über einen unkonventionellen Lehrer in einer Problemschule einer mexikanischen Grenzstadt.

CREDITS:
O-Titel: Radical; Land/Jahr: USA, Mexiko 2023; Laufzeit: 125 Minuten; Regie & Drehbuch: Christopher Zalla; Besetzung: Eugenio Derbez, Daniel Haddad, Jennifer Trejo, Mia Fernanda Solis; Verleih: Ascot Elite; Start: 21. März 2024

REVIEW: 
Matamoros ist eine mexikanische Grenzstadt direkt am Rio Grande, 450.000 Seelen. Auf der anderen Seite liegt das texanische Brownsville. Es ist keine gemütliche Stadt, Gewalt und Übergriffe sind an der Tagesordnung, die Armut ist groß. Im November 2010 wurde hier ein Anführer des Golf-Kartells nach einem sechsstündigen Gefecht mit Soldaten erschossen. Entsprechend ist es kein Witz, als einer der Lehrer im Lehrerzimmer bei der Ankündigung, Herr Juarez aus der Stadt habe sich bereiterklärt, die sechste Klasse der Problemschule im neuen Schuljahr zu unterrichten, schmunzelt: Wenn er denn noch lebt. Aber in der Tat, Sergio Juarez lebt. Und wie. Die Kinder können nicht fassen, auf einmal einen Lehrer zu haben, der so empathisch ist, voller Ideen und neuer Ansätze, wie man den Lehrplan in die Köpfe der Schüler bekommt. 

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„Radical“ erzählt von einer Revolution im Klassenzimmer (Foto: Ascot Elite)

Man kann verstehen, warum „Radical“, basierend auf einem Artikel von Joshua Davis aus dem Jahr 2011, beim Sundance Film Festival 2023 den Publikumspreis gewinnen konnte. Man mag den Film sofort. Weil Regisseur Christopher Zalla niemals die bittere Realität ausklammert, was es bedeutet, in einer Dritte-Welt-Stadt wie Matamoros zu wohnen. Auf dem Weg zur Schule müssen die Kinder an Polizeisperren vorbei, manchmal muss der Unterricht unterbrochen werden, weil man in der Nähe der Schule wieder einmal ein Feuergefecht hört. Ganggewalt gehört zum Alltag wie Hausaufgaben. Überall Dreck und Müll. Ebensowenig gibt Zalla aber jemals die Hoffnung auf: Mit dem Lehrer Juarez teilt er die Überzeugung, dass Bildung die Kinder der Stadt retten kann, man aber den richtigen Weg finden muss, all das nötige Wissen zu vermitteln. 

Viel Zeit verwendet „Radical“ auf die erste richtige Unterrichtsstunde, sieht zu, wie der Lehrer eine Verbindung zu den Kindern aufbaut, indem er ihnen Vertrauen schenkt, wie das Interesse der Schüler geweckt wird, sie sich dann allein an die Lösung der Physik- und Mathe-Aufgaben machen. Nicht nur sie sind überrascht von ihren eigenen Fähigkeiten, auch der restliche Lehrkörper sieht sich herausgefordert. Während die Kinder also versuchen, das neu Gelernte mit ihrem Lebensalltag zu verbinden, jeder für sich angepasst an seiner besonderen Situation, erfährt man nach und nach auch mehr über den enigmatischen Senor Juarez, ein Idealist in einer zynischen Welt, die es Idealisten nicht leichtmacht. 

„Radical“ ist wie ein auf den Kopf gestellter „Club der toten Dichter“, Juarez einer wie der von Robin Williams gespielte John Keating oder der Justus aus „Das fliegende Klassenzimmer“. Eugenio Derbez spielt ihn umwerfend, als einfachen Mann, der an das glaubt, was er macht. Wenn er sich keinen Illusionen hingibt, dann lässt er das seine Klasse nicht spüren. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr entwickelt man als Zuschauer eine neue Haltung zu den Menschen von Matamoros, erkennt sie als Opfer eines Systems, das sich nur dann verändern lässt, wenn man lernt. Und Kinder dazu bewegt, lernen zu wollen. Das vermittelt sich mit einer Geschichte, die einem zu Herzen geht, wie es gutes Kino beherrscht.

Thomas Schultze