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REVIEW KINO: „Rabia – Der verlorene Traum“

Erschütterndes Drama über zwei junge Französinnen, die ihre Heimat verlassen, um sich in Syrien dem Islamischen Staat anzuschließen. 

CREDITS:
O-Titel: Rabia; Land / Jahr: Frankreich, Deutschland, Belgien 2024; Regie: Mareike Engelhardt; Drehbuch: Mareike Engelhardt, Samuel Doux; Besetzung: Megan Northam, Lubna Azabal, Natacha Krief, Maria Wördemann, Klara Wördemann, Lena Lauzemis, Lena Urzendowsky; Verleih: Alpenrepublik; Verleih: Alpenrepublik; Start: 23. Januar 2025

REVIEW:
All die schreckliche Absurdität dieses sich in der Realität manifestierenden Albtraums findet sich verdichtet in einem kurzen Moment, in einem winzigen Detail. Die 19-jährige Jessica sitzt in Raqqa in ihrer Madafa, also einem Haus, in dem junge Frauen vornehmlich aus dem Westen zusammengepfercht hausen, um in einer beliebig erscheinenden Lotterie als Ehefrauen verdienten IS-Kämpfern zugelost zu werden, in einem Raum zum Kennenlernen mit ihrem künftigen Mann, ein Krieger gegen die Ungläubigen, gegen die Segnungen des Westens, die Gift sind für ein Leben unter der Scharia. Sie unterhalten sich, ganz zwanglos. Er beugt sich nach vorn und schenkt ihnen beiden ein Glas Coca-Cola ein. Ausgerechnet: Coca-Cola, Inbegriff der westlichen Lebensart und des kapitalistischen Imperialismus. 

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Megan Northam und Lubna Azabal in „Rabia – Der verlorene Traum“ von Mareike Engelhardt (Credit: ©2024 Omar-Rammal FilmsGrandHuit)

Und als wüsste man es nicht die ganze Zeit, in der man „Rabia – Der verlorene Traum“ mit wachsender Empörung und Wut und Verzweiflung zusieht, diesem großartigen und eindringlichen und unerbittlichen und auf eine eigenartig vitale Weise hoffnungslosen Film der deutschen Filmemacherin Mareike Engelhardt, ist in diesem Mikromoment evident, dass das alles, diese infame, menschenverachtende Organisation, die ihren Mitstreitern verlogenen Segen verspricht, wenn sie immer nur kämpfen kämpfen kämpfen und morden morden morden und verachten verachten verachten und hassen hassen hassen, nur BULLSHIT ist. Weil die Ideologie des IS, wie das eben so ist in autoritären Systemen, nur ein Vorwand ist, nur eine Nebelbombe, andere Menschen zu kontrollieren und sich selbst zu bereichern. Um Macht geht es und sonst nichts. 

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Maria Wördemann, Natacha Krief, Megan Northam und Klara Wördemann in „Rabia – Der verlorene Traum“ von Mareike Engelhardt (Credit: ©2024 FilmsGrandHuit)

Ganz nüchtern zieht sich die Entlarvung einer hohlen Ideologie der Menschenverachtung durch den Film. Ob das nun in der Szene ist, in denen den jungen Frauen erklärt wird, sie dürften beim Sex mit ihren Männern nicht nackt sein, diese verklemmte religiöse Regel dann aber im nächsten Moment pervertiert wird, als die Frauen in ihrer Madafa durch eine regelrechte Boutique mit aufreizenden Dessous und Fetischwäsche aus Leder und Latex geführt werden, weil man damit ja nicht nackt sei, aber dem Ehemann gefalle. Oder das ständige Buhlen darum, in der Hierarchie über den anderen Frauen zu stehen, nach oben den Ring zu küssen, nach unten zu treten. Hier treffen das Oben-ist-unten von Orwells „1984“ auf die Unerbittlichkeit von Pasolinis „Salo“, ein nicht enden wollender Höllenkreis der Leidenschaft, der Scheiße und des Blutes, während im Hintergrund auf riesigen Plasmabildschirmen an der Wand Propagandavideos flimmern, die die Bluttaten und die Grausamkeit des IS verherrlichen. Kommentarlos schneidet Mareike Engelhardt auch Videoaufnahmen diverser Gräueltaten der Gotteskrieger in die Handlung. Keiner soll sagen, man wüsste nicht, was passiert in diesem angeblichen Paradies, das einfach nur eine Schreckensherrschaft ist. 

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Natacha Krief und Megan Northam in „Rabia – Der verlorene Traum“ von Mareike Engelhardt (Credit: ©2024 FilmsGrandHuit)

Vor allem erinnert der Film, eine französisch-deutsch-belgische Produktion mit Wasiliki Bleser von Starhaus Filmproduktion als Koproduzentin, an die erste Hälfte von „Full Metal Jacket“, Stanley Kubricks geniale filmische Dekonstruktion, wie institutionalisierte Dehumanisierung funktioniert. Nur dass der Ton und Look von „Rabia“ nicht so eisig kalt und methodisch sind und es anstelle auszubildender Marines-Kadetten um junge Frauen aus aller Herren westlicher Länder geht, die mit Hilfe eines ausgeklügelten Rekrutierungssystems nach Syrien gelockt werden, wo ihnen eine idyllische Alternative zu den Härten ihres bisherigen Lebens versprochen wird. Bis man dann ankommt in einem dieser Frauenhäuser, die doch wenig mehr sind als eine Mischung aus Bordell und Sklavenunterkunft. Mit Jessica und ihrer besten Freundin Laïla reist man über die Wolken – wie schön es hier ist – mitten hinein in diesen Vorhof der Hölle. Mit ihnen lernt man die Hierarchien und Regeln. Und mit ihnen geht man durch einen nicht enden wollenden Wahnsinn, in dem es lediglich darum geht, die Menschen zu brechen und gefügig zu machen, Frauen zu Gebärmaschinen umzufunktionieren, sie gegeneinander auszuspielen.

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Lubna Azabal in „Rabia – Der verlorene Traum“ (Credit: ©2024 Omar-Rammal FilmsGrandHuit)

Das ergibt zunächst viele Einzelteile. Ein großes Ganzes wird es in „Rabia“, weil deren Summe nur den Rahmen bildet für die eigentliche Geschichte im Zentrum, die Beziehung zwischen Jessica, die sich erst widersetzt und gefoltert wird, sich dann mit dem neuen Namen „Rabia“ (arabisch für „Garten“) wie mit einem zweiten Gesicht zur unerbittlichen Handlangerin und Nummer zwei emporarbeitet, und Madame, die tatsächlich so etwas ist wie eine Puffmutter, die mit ein bisschen Zuckerbrot und viel Peitsche über die Geschicke der Mädchen herrscht, wie in einem dieser kranken Exploitationfilme der Siebzigerjahre, „Ilsa – She-Wolf of the SS“ oder wie sie alle heißen, nur dass das Vorbild hier eine reale Figur ist und von der grandiosen Lubna Azabal, zuletzt in „Das Blau des Kaftan“ zu sehen, aber von diesem Rezensenten verehrt für ihren Auftritt in Tony Gatlifs „Exils“ vor 20 Jahren, gespielt wird, gar nicht einmal so anders, wie es Bill Skarsgård gerade als Nosferatu getan hat: eine reale Blutsaugerin, eine moderne Gräfin Bathory, die doch nur eine Geschäftemacherin auf dem Rücken unsäglicher Frömmelei ist. Ebenso toll ist Megan Northam als Jessica/Rabia, die ein bisschen an Léa Seydoux erinnert und eine schier unmöglich zu spielende Figur mit großer Intelligenz und Zärtlichkeit darstellt. Das Ringen dieser beiden Frauen, oszillierend zwischen Respekt und vielleicht sogar sexueller Zuneigung und Hass und Abscheu, erzählt „Rabia“ fast wie einen Erotikthriller und erdet den Film, in dem es außerdem kleine Rollen für deutsche Darstellerinnen wie den Zwillingen Maria und Klara WördemannLena Lauzemis und Lena Urzendowsky gibt. Und den man so schnell nicht wieder vergisst, wie die endlose Weite des Ödlands, in das die Hauptfigur am Ende des Films aufbricht. 

Thomas Schultze