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REVIEW KINO: „Misericordia“ (Alain Guiraudie)


Ein besonderes französisches Film-Highlight in diesem Jahr ist Alain Guiraudies neues, spröd-erotisches Thriller-Werk „Misericordia“ über einen Dorfheimkehrer, das Salzgeber am 6. März in die deutschen Kinos bringt.

Misericordia
„Misericordia“ (Credit: Xavier Lambours/Les Films du Losange)

CREDITS:
Frankreich 2024; Produktion: CG Cinéma, Scala Films, Arte France Cinéma, Andergaun Films und Rosa Filmes, Arte France, OCS, Les Films de Losange; Regie & Buch: Alain Guiraudie; Cast: Félix Kysyl, Catherine Frot, Jean-Baptiste Durand, Jacques Develay, David Ayala, Sergie Richard; Deutscher Verleih: Salzgeber; Deutscher Kinostart: 6.3.25

REVIEW:
Alain Guiraudie ist einer der besten und wichtigsten zeitgenössischen französischen Filmemacher. Sein neues Werk „Misericordia“ über einen mysteriösen jungen Mann namens Jérémie (Shooting Star Félix Kysyl), der aufgrund einer Beerdigung in sein Heimatdorf zurückkehrt und nicht mehr wegkommt, feierte seine Weltpremiere in Cannes 2024. Zuletzt war das Werk für acht Césars und fünf Lumiere Awards nominiert, die das französische Äquivalent zu Oscars und Golden Globes darstellen.

Bekanntheit in Deutschland erlangte Guiraudie vor allem mit dem hocherotischen Thriller „Der Fremde am See“, der explizite homosexuelle Sexszenen besitzt. Einer seiner bislang unterhaltsamsten Filme war „Nobody’s Hero“, der 2022 auf der Berlinale Weltpremiere feierte. Guiraudie ist dabei für seinen scharfen Blick auf die bürgerliche Gesellschaft bekannt – und sein gestreng-kreatives Händchen für das Genre.

Misericordia
Nicht wirklich in der Heimat willkommen (Credit: Xavier Lambours/Les Films du Losange)

Guiraudie auf der Höhe seiner Kraft

Beides lässt sich auch in „Misericordia“ wiederfinden, wo er sich auf der Höhe seiner Kraft befindet. Es ist ein ganz konzentriert und gekonnt erzählter Thriller, der Elemente von einem Heimkehrer-Drama und der Komödie enthält, letztlich aber durch die Entscheidungen seines Protagonisten Jérémie vor allem um sein Verlangen und das Verlangen und die Sehnsüchte der wieder getroffenen Dorfbewohner kreist.

Teil der Faszination dieses Films ist es, als Zuschauer herauszufinden, wie Jérémie zu den anderen Figuren steht. Er kehrt zurück nach Saint-Martial, in den Südosten Frankreichs, weil der Vater seines ehemaligen Mitschülers Vincent gestorben ist und beerdigt wird. Bei dem war Jérémie mindestens Bäckerlehrling, vielleicht aber noch mehr. Aber was „Misericordia“ generell so anregend macht, ist, dass auch zu allen lebenden Figuren eine gewisse sexuelle Spannung besteht. So schaukeln sich die Emotionen der Dorfbewohner hoch, bis irgendwann einer von ihnen mit einem Stein totgeschlagen im Wald gefunden wird.

Misericordia
Der stoische Shooting-Star Félix Kysyl in „Misericordia“ (Credit: Xavier Lambours/Les Films du Losange)

Bilder von traumhafter Qualität

„Misericordia“ hat dabei wegen der düster-klaren Bilder fast eine traumhafte Qualität, aber auch weil sich Jérémie bei der Frau des Verstorbenen kurzerhand einquartiert, um dann von regelmäßigen nächtlichen Besuchen des Familiensohnes heimgesucht zu werden, mit dem noch eine Rechnung offen ist. Auf der doch recht simpel aufgesetzten Rückkehrer-Geschichte liegen ganz viele interessante Schichten, sei es die katholische Schuld- und Vergebungsthematik, die auch durch einen besonders sexuell leidenden Dorfpriester verkörpert wird. Aber es geht auch um die Gegensätze Stadt und Land, Jung und Alt, Einsamkeit und Gemeinschaft.

Referenzpunkte Hitchcock und Chabrol

Die Thriller-Elemente schleichen sich fast in die Handlung ein, bis sie irgendwann dominianter werden und auf eine gute Weise an Alfred Hitchcock und Claude Chabrol im Blick hinter die gesellschaftliche Fassade erinnern. Hauptdarsteller Félix Kysyl ist eine Entdeckung, weil er gleichzeitig mysteriös und gewöhnlich wirken kann. Man sieht ihm einfach gerne beim Spielen zu, weil sich in seiner stoischen Art wunderbar die eigenen Gedanken projizieren lassen.

Die Erotik ist in „Misericordia“ unterschwelliger als in früheren Werken Guiraudies, was sie aber sogar noch effektiver und wirkungsmächtiger macht. Es ist selten geworden, dass man Filme sieht, bei denen man bis zum Schluss nicht weiß, wie sie wohl ausgehen mögen. „Misericordia“ hat auch diese schwebende narrative Qualität, viel guten stillen Humor und im letzten Drittel auf die Thriller-Geschichte noch eine ganz wundervolle philosophische Reflektion über Leben und Sterben.

Michael Müller