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REVIEW KINO: „Loyal Friend“


Kluge und einfühlsame Tragikomödie über eine New Yorker Schriftstellerin, die sich nach dem Tod ihres Mentors und besten Freunds um dessen Dänische Dogge kümmern muss.

CREDITS:
O-Titel: The Friend. Land/Jahr: USA 2024; Laufzeit: 120 Minuten; Drehbuch: Scott McGehee, David Siegel; Regie: Scott McGehee, David Siegel; Besetzung: Naomi Watts, Bill Murray, Bing, Sarah Pidgeon, Carla Gugino, Constance Wu, Noma Dumezweni, Ann Dowd, Felix Solis, Owen Teague, Josh Pais, Tom McCarthy, Bruce Norris; Verleih: Universal Pictures International; Start: 19. Juni 2025

REVIEW:
Gefühlt stecken mindestens drei verschiedene Filme in Sigrid Nunez‘ bekanntestem Roman „Der Freund“, die mit einer Hundeleine als rotem Faden miteinander verbunden sind. Der 2018 erschienene Bestseller der amerikanischen Autorin ist eine rührende Fabel über Verlust und Freundschaft, eine Liebeserklärung an das Schreiben, ein Gegenentwurf zu den gleichförmigen „#MeToo-Romanen“ der letzten Zeit, der alle Möglichkeiten von Literatur und Sprache nutzt, um heikle ethische Fragen zu formulieren. Es ist eine anspruchsvolle, höchst unterhaltsame Mischung aus imaginärem Dialog, Tagebuch, Essay und Zitaten, die Geschichte einer New Yorker Autorin, die eine Art Trauerbuch verfasst, um sich von ihrem früheren Dozenten zu verabschieden, der jahrelang seine Schaffenskraft aus ungehemmter Promiskuität und unzähligen Affären gezogen hat, dann vom Feminismus kalt erwischt wurde, Selbstmord beging und der Erzählerin einen sehr großen Hund hinterließ.

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„Loyal Friend“ von Scott McGeehee und David Siegel mit Naomi Watts (Credit: Focus Features / UPI)

Das alles haben David Siegel und Scott McGehee nun auf die Leinwand übertragen, und „Loyal Friend“ ist trotz der Schwere der komplexen Themen das bislang humorvollste Werk des versierten Filmemacherduos. Das Drehbuch trifft perfekt den unsentimentalen Ton der Vorlage, ähnlich wie Pedro Almodóvars Melodram „The Room Next Door“, das auf Nunez‘ „Was fehlt dir“ basierte, wobei hier Bill Murray das Skript mit ein paar sarkastischen Fußnoten versehen hat, die an seine Rolle in Jim Jarmuschs „Broken Flowers“ erinnern. Sein Engagement ist Naomi Watts zu verdanken, mit der der wählerische Schauspieler bereits 2014 bei der Indie-Dramödie „St. Vincent“ zusammengearbeitet hat. Ebenso ausschlaggebend war eventuell, dass der 74-jährige bekennende Hundefreund in einer der vier Szenen, in denen er vor der Kamera zu sehen ist, den Pyjama und Bademantel gar nicht erst ablegen muss.

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„Loyal Friend“ von Scott McGeehee und David Siegel mit Naomi Watts und Bill Murray (Credit: Focus Features / UPI)

Murrays Version des großen, gefeierten Literaturstars ist ein bis zur Atemlosigkeit erschöpfter und ergrauter, offenbar gecancelter Professor namens Walter Meredith, an dessen Lippen drei Ex-Frauen und einige Ex-Studentinnen hängen, darunter die von Naomi Watts verkörperte Iris Dixon. Nach Walters unerwartetem Suizid überträgt seine Witwe Barbara (Noma Dumezweni) die Verantwortung für den verbeinigen Freund ihres Mannes an Iris, was angeblich der letzte Wille des Verstorbenen war, möglicherweise möchte sie ihn einfach nur loswerden. Apollo ist von Natur aus freundlich, reserviert, sanftmütig und liebenswert, leidet an Arthritis und an gebrochenem Herzen, ist achtzig Kilogramm schwer und hat die Größe eines Ponys, er ist a lot und so ziemlich genau das, was sein Herrchen war (sehr gerne würde man wissen, wie die Trainer der Dänischen Dogge beigebracht haben, die Augen wie Bill Murray zu verdrehen). Walter spiegelt sich nicht nur in seinem todtraurigen, tierischen Alter Ego wider; er ist der komische Subtext des Films, der sich in jeder Szene, Dialogzeile und allen Zitaten verbirgt, die nicht ganz so zahlreich wie im Roman verstreut, teils durch musikalische und filmische Verweise ersetzt werden. 

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„Loyal Friend“ von Scott McGeehee und David Siegel mit Naomi Watts und Bill Murray (Credit: Focus Features / UPI)

Gleich zu Beginn hört man im Hintergrund Mozarts Papageno „Nun, sei mein liebes Weibchen“ singen, später sinniert Bob Dylan in „Wigman“ über das Eheleben, Iggy Pop interpretiert Harry Nilssons „anti-urbanes Klagelied“ „Everybody’s Talkin‘“. Als Erzählerin richtet Iris ihre Worte mal (Voice-over) an Walter, mal direkt an Apollo, alle Gedanken kreisen um die mysteriöse, innige Beziehung zu ihrem Mentor, ein Rätsel, das in Gesprächen mit anderen Frauen seines Lebens nach und nach enthüllt wird, insbesondere mit seiner ersten (betrogenen) Gattin Elaine (Carla Gugino) und seiner unehelichen Tochter Val (Sarah Pidgeon), die ihrem Vater frappierend ähnelt, auf dessen Geheiß aus seinen Briefwechseln ein Buch zusammenstellen soll –  gemeinsam mit Iris, die dafür die Arbeit an ihrer eigenen Novelle aufgegeben hat. Walters Einfluss, wenn nicht gar Macht, ist trotz seiner Abwesenheit allgegenwärtig und so verstörend wie eine Szene, in der Apollo plötzlich über ihr auf der Matte steht, auf der sie zwangsläufig schlafen muss, weil der Hund das Boxspringbett in Beschlag genommen hat. „Das ist der Trick mit großen, mächtigen Hunden: Man darf sie niemals in sein Bett lassen“, sagt der Tierarzt (Bruce Norris). „Er ist ein guter Hund. Machen Sie keinen schlechten aus ihm.“ 

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„The Friend“ von Scott McGeehee und David Siegel mit Naomi Watts und Bill Murray (Credit: Focus Features / UPI)

Apollo scheint sich auf wundersame Weise nicht nur des Verlusts seines Herrchens bewusst zu sein, sondern auch der Tatsache, dass er der Elefant im Raum ist und ein Auslaufmodell. Damit erregt er mehr Mitleid als jeder andere Vierbeiner der Filmgeschichte seit Flike in Vittorio de Sicas Meisterwerk „Umberto D.“. Iris willApollo umgehend zur Adoption freigeben, zumal Haustiere in ihrer bescheidenen Mietwohnung in Greenwich Village untersagt sind und der Gebäudemanager Hektor (Felix Solis) mit Zwangsräumung droht. Aber die Auffangstationen für Great Danes sind überfüllt, wo immer sie mit dem Alphatier an der Leine auftaucht, muss sie Spott und Häme ertragen, als wären die Trauer und Wut, Verbitterung und Selbstzweifel und eine heftige Schreibblockade nicht schon genug, um an emotionalen Grenzen zu stoßen. Naomi Watts, die zuvor in „Beflügelt – Ein Vogel namens Penguin Bloom“ Heilung in der Freundschaft mit einer australischen Elster finden konnte, macht das Gefühlschaos mit einer fesselnden Karrierebestleistung nachvollziehbar. Alle Last ruht auf ihren Schultern, ihr Spiel ist in jedem Moment intensiv und präzise, hat trotz der intellektuellen Schärfe eine Wärme und Nahbarkeit, die den Sarkasmus und geheimnisvollen Charakter des Films ausbalanciert.

Dabei entwickelt sich die Erzählung im gemächlichen, federnden Schritttempo, hin und wieder nimmt die Kamera (Giles Nuttgens) die Hundeperspektive ein, um das Treiben in den Straßen von Manhattan zu beobachten, wo sich vorrangig kleinere, niedliche Exemplare tummeln. Mehrfach wird die Frage gestellt, was mit ihnen geschieht, wenn ihre Besitzer sterben. Oder wenn sie in gentrifizierten, überteuerten Innenstädten nicht mehr erwünscht sind. Während in Sigrid Nunez‘ Roman das Bedauern über die Entzauberung der literarischen Welt durch die herrschende Kultur mitklingt, kann die Erzählerin hier über dieWeihnachtsdeko, die wie in einer 80er-Jahre-RomCom an Schauplätzen früher Woody-Allen-Komödien verteilt wird, oder über die besänftigende Wirkung des Klassikers „As Time Goes By“ auf Apollo nur müde lächeln, als würde der Zauber einer vergangenen Ära schon lange nicht mehr in die Gegenwart der Cancel Culture überspringen, in der ein Märchen von Hans Christian Andersen als Vergewaltigungsfantasie gilt. Wie die Schriftstellerin finden die Filmemacher Ambivalenz im Verhalten sämtlicher Figuren, lassen am Schluss die Vermutung zu, dass nur die Befreiung von gesellschaftlichen Konventionen und der Rückzug aus dem öffentlichen Raum zum Happy End führt. Aber vielleicht muss man als Zuschauer die Literatur auch noch ein bisschen mehr lieben als Hunde, um jeder Überlegung und dem langen roten Faden dieser außerordentlich klugen und tiefgründigen Komödie bis zum Schluss folgen zu können. 

Corinna Gotz