Ambitionierte Verfilmung des autobiografischen Bestsellers von Azar Nafisi über eine Professorin im postrevolutionären Teheran, die mit Studentinnen einen heimlichen Buchclub gründete, um verbotene westliche Literatur zu lesen.
FAST FACTS:
• Die israelisch-italienische Koproduktion ist der 14. Spielfilm von Eran Riklis, der seinen Durchbruch 2004 mit „Die syrische Braut“ feierte und 2008 mit „Lemon Tree“ den Panorama-Publikumspreis bei der Berlinale gewann
• Das starke Ensemble wird angeführt von den iranischen Stars Golshifteh Farahani („Wilhelm Tell“, „Infiltration“) und Zar Amir Ebrahimi („Holy Spider“)
• Premiere beim Rome Film Fest 2024, wo der Film mit dem Publikumspreis und dem Sonderpreis der Jury für die weibliche Besetzung ausgezeichnet wurde, anschließend beim Tallinn Black Nights Film Festival
CREDITS:
O-Titel: Reading Lolita in Teheran; Land/Jahr: Italien/Israel 2025; Laufzeit: 108 Minuten; Drehbuch: Marjorie David; Regie: Eran Riklis; Besetzung: Golshifteh Farahani, Zar Amir Ebrahimi, Mina Kavani, Reza Diako, Lara Wolf, Arash Marandi, Catayoune Ahmadi, Sina Parvaneh; Verleih: Weltkino; Start: 20. November 2025

REVIEW:
Der autobiografische Roman „Lolita lesen in Teheran“ der in den USA lebenden Iranerin Azar Nafisi avancierte 2003 insbesondere in ihrer Wahlheimat zum Mega-Bestseller und hielt sich dort hundert Wochen lang auf der Bestsellerliste der „New York Times“. Knapp zwei Jahrzehnte später hat die eindringliche Schilderung des weiblichen Widerstands gegen die Unterdrückung, die quasi die Wurzeln der „Frau, Leben, Freiheit“-Protestbewegung im Iran beschreibt, kaum an Brisanz verloren. Was auch daran liegt, dass sich mit Eran Riklis jetzt ein israelischer Regisseur der Verfilmung angenommen hat, um die persönlichen Memoiren in eine universelle Geschichte über den Kampf gegen Diktaturen und die Gefahren des Fundamentalismus zu verwandeln. Seine Adaption der enorm vielschichtigen Vorlage hält sich an deren komplexe, nicht lineare Erzählstruktur, begleitet die Literaturprofessorin Azar Nafisi und ihre Studentinnen über ungefähr zwanzig Jahre zunehmender Repressionen, widmet sich den unterschiedlichen Charakteren, verschränkt deren Erfahrungen wie im Roman mit vier Klassikern der Weltliteratur („Der große Gatsby“, „Lolita“, „Daisy Miller“, „Stolz und Vorurteil“), die auch hier jeweils für einen bestimmten Zeitraum und ein Kapitel stehen.
„Lolita lesen in Teheran“ beginnt im Jahr 1980 mit der Rückkehr von Azar Nafisi (verkörpert von Golshifteh Farahani) in ihr Heimatland, das sie als 17-Jährige verlassen hatte, um in den USA zu studieren. Gemeinsam mit ihrem Mann Bijan (Arash Marandi) will sie nun nach dem Sturz des Schahs die Revolution unterstützen. Ihrer stürmischen Aufbruchsstimmung weht allerdings schon bei der Zollkontrolle am Flughafen unerwarteter Gegenwind entgegen. Azar landet in einer Realität, die nicht annähernd so ist, wie man es den Menschen versprochen hatte. Als junge Professorin an der englischen Fakultät begeistert sie dort zwar ihre Studentinnen, erregt aber schnell den Unmut männlicher Kommilitonen mit islamistisch geprägten Moralvorstellungen, denen Azars Interpretationen „unsittlicher“ Werke westlicher Literatur genauso missfallen wie ihre unkonventionellen Lehrmethoden. Einmal bringt sie F. Scott Fitzgeralds „Gatsby“ buchstäblich vor Gericht, nimmt dabei selbst die Rolle des angeprangerten Buchs ein und lässt ihre Schüler:innen als Kläger und Verteidigerinnen antreten. Weil sie sich weigert, in der Öffentlichkeit den Hijab zu tragen, wird sie suspendiert, tritt daraufhin verschiedene Gastprofessuren an freien Universitäten an, gründet schließlich in den 1990ern einen heimlichen wöchentlichen Privatkurs für eine kleine Gruppe ausgewählter, neugieriger Studentinnen (gespielt unter anderem von Zar Amir Ebrahimi, die in Cannes für „Holy Spider“ den Schauspielerpreis gewann, und Mina Kavani aus Jafar Panahi „No Bears“), die alle auf eine bestimmte Weise Opfer der fundamentalistischen Ideologie geworden sind, wie es die verschiedenen Abzweigungen, die der Film von hier aus nimmt, anreißen. Der „Buchclub“ wird zum „Safe Space“, einem Ort, an dem die Frauen nicht nur frei über Kunst, sondern auch über ihre Sorgen sprechen können und an dem ihre Meinung respektiert wird. Das Lesen wird zum Akt der Selbstermächtigung: Azar ermutigt sie, durch die Identifikation mit den fiktiven Romanheldinnen ihre eigenen Schicksale zu hinterfragen und zeigt Alternativen auf, worauf in manchen Fällen tatsächlich lebensverändernde Schritte folgen.

Das zurückhaltende Spiel der Darstellerinnen, größtenteils Exil-Iranerinnen, ist nicht zuletzt deshalb so ergreifend, weil es subtil vermittelt, dass ihnen das, was ihre Figuren erlebt haben, nur allzu vertraut ist, dass sie Verhöre durch die Sittenpolizei oder deren gewaltsame Machtdemonstrationen mitunter selbst erlitten haben. Die Inszenierung kehrt jedoch stets in die Perspektive der Protagonistin zurück, der die großartige Golshifteh Farahani eine unerschrockene, aufwühlende Authentizität verleiht. In einer der stärksten Szenen, in der sie sich widerstrebend mit dem Hijab verhüllt, ist die darin liegende Demütigung so heftig zu spüren, dass einem der Atem stockt, wenn ihre Figur von zwei Tugendwächterinnen auf verstörend grobe und frauenverachtende Weise gemaßregelt wird. „Lolita lesen in Teheran“ ist am besten in der Übertragung des Gefühls einer Frau, die unter der Repression zu zerbrechen droht, eines überwältigenden Gefühls aus Schwindel, Übelkeit, Panik und Paranoia. Immer mehr hinterlässt die Angst, mit jedem Schritt kontrolliert zu werden, Spuren in der Körpersprache und Mimik der Schauspielerin. Über ihr schlechtes Gewissen gegenüber ihren Schülerinnen, die sie mit ihrem Unterricht in Gefahr bringt und letztlich im Stich zu lassen glaubt, spricht Azar über die Jahre immer wieder mit einem heimlichen Freund und nahestehenden Professor, die Gespräche sind ein roter Faden der Erzählung und halten die Handlungsstränge zusammen. Azars Ringen mit der Entscheidung zwischen persönlicher Freiheit und der Unterstützung des Widerstands, rückt in den Vordergrund des Films, der sich von der literarischen Vorlage insofern löst, als dass er sich eben auch von der literarischen Ebene entfernt, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, bei dem nicht unbedingt das Gesamtwerk von Henry Miller oder Jane Austen im Bücherregal steht. Trotzdem überwiegt am Ende der Eindruck, dass Eran Riklis manches verallgemeinernde Adaption der Vielschichtigkeit des Romans gerechter wird als der Komplexität der Realität.
Corinna Götz