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REVIEW KINO: „King’s Land“

Dänischer Western nach wahren Motiven über einen verarmten Offizier, der seine letzte Chance darin sieht, das Ödland von Jutland zu bestellen, und sich damit einen mächtigen Feind macht.

CREDITS:
O-Titel: Bastarden; Dänemark, Deutschland 2023; Laufzeit: 127 Minuten; Regie: Nikolaj Arcel; Drehbuch: Nikolaj Arcel, Anders Thomas Jensen; Besetzung: Mads Mikkelsen, Amanda Collin, Simon Bennebjerg, Melina Hagberg, Kristine Kujath Thorp, Felix Kramer; Verleih: Plaion; Start: 6. Juni 2024

REVIEW: 
Man sieht es einem Film an, wenn der Regisseur weiß, dass er mit einem Drehbuch arbeitet, dem er vertrauen kann. Die Inszenierung wirkt präziser, die gesamte Gestaltung mehr aus einem Guss, der Film gewinnt, egal wie schwer oder handfest die Geschichte sein mag, eine Leichtigkeit, die allen großen Filmen innewohnt. So ist das bei „King’s Land“, der Rückkehr von Nikolaj Arcel als Regisseur in seine Heimat Dänemark nach mehr als zehn Jahren – zuletzt hatte er dort, auch mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle, „Der König und sein Leibarzt“ gedreht. So ist das, wenn man Anders Thomas Jensen als Autor an seiner Seite weiß. Ganz simpel sind sie, die Geschichten, die er erzählt, als Regisseur ebenso wie als Drehbuchautor. Und doch ist nichts ist einfach an ihnen. Sie haben Widerhaken und doppelte Böden, zwinkern maliziös mit den Augen und gehen da Umwege, wo man sie auf gerader Strecke wähnt. 

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Mads Mikkelsen muss eine folgenschwere Entscheidung treffen in „King’s Land“ (Credit: Plaion / Henrik Ohsten / Zentropa)

Vor allem schrecken sie nicht vor Grausamkeit zurück, weil Jensen Grausamkeit und Gewaltbereitschaft als essenziellen Bestandteil des Wesens des Menschen sieht. Seine Figuren mögen nach Höherem streben, große Träume haben, wie hier Ludvig von Kahlen, gespielt von Mads Mikkelsen, dessen hageres, angespanntes und müdes Gesicht eine Landkarte der Seele dieses Mannes sein könnte. Aber ihr Edelmut, ihr Streben, ihre Wünsche werden geprüft werden. Von der Natur. Von den Umständen. Und immer wieder von anderen Menschen, denen dieses Streben egal ist oder nicht in den Kram passt. Von Kahlen ist eine reale Figur, ein verarmter Offizier, für immer gezeichnet von der Schmach, vom Vater als „Bastard“ bezeichnet und deshalb zum Militär abgeschoben worden zu sein. Mitte des 18. Jahrhunderts hat er einen Plan, den man auch als eine letzte Verzweiflungstat bezeichnen kann. 

Er will Jütland urbar machen, den öden, verödeten, unnachgiebigen Westen Dänemarks – seit Menschengedenken ein Unding. Um es sich selbst zu beweisen, dem Vater, der feinen Gesellschaft, die ihn verlacht und verhöhnt. Weil der König des Landes aus einer Laune heraus dem einen Adelstitel in Aussicht gestellt hat, dem es gelingen mag, Zivilisation in die Frontier zu bringen, das Land zu besiedeln. Klingt nach Western. Ist es auch. Nur ein dänischer. Klingt nach John Ford. Hmm. Eher John Huston, mit einer dicken Portion Werner Herzog obendrauf, ein „Fitzcarraldo“ ohne Opernhaus und Amazonas, wenn man so will, dafür mit Kartoffelsamen und kargem Land. Und einem Gegenspieler, der aus gewisser Entfernung erst über von Kahlens Treiben in Wind und Wetter, attackiert von marodierenden Banden, schmunzelt, dann aber alles daran setzt, ihm das Leben zusätzlich schwer zu machen, als von Kahlen wider Erwarten erste Erfolge vorzuweisen hat: De Schinkel heißt dieser dumme Mann, ein Weichling, dem alles geschenkt wurde vom Vater, das exakte Gegenteil von Ludvig von Kahlen. 

Von ihrem Zusammenprall wird „King’s Land“ erzählen, mit aller gebührenden Härte und Brutalität. Das allein würde bestenfalls einen unappetitlichen Film ergeben. Dass jeder Akt der Erniedrigung und Folter indes zählt wie die alttestamentarische Vergeltung, die darauf folgen wird, muss mehr passieren als nur dieses ungleiche Kräftemessen. Wie ein zartes Kartoffelpflänzchen im Staub und Dreck von Jütland lassen Arcel und Jensen auch den Hort einer Familie von Ausgestoßenen erblühen rund um von Kahlen: ein Bedienstetenehepaar, das sich auf der Flucht befindet, und ein kleines Mädchen, dessen dunkle Haut eine Einladung für die, die selbst nichts haben, ist, auch einmal auf jemanden herabzublicken. 

Es ist kompliziert, aber wunderbar anrührend und bewegend, menschlich und zärtlich hinter der ruppigen Schale, immer wieder auch einmal witzig, wenn auch sonst nichts zu lachen ist in der ausweglosen Situation. Und spitzt das Dilemma des traurigen und gezeichneten Helden zu, der eine weitreichende Entscheidung treffen muss, in deren Kern die Beantwortung einer existenziellen Frage steckt: Will er nicht länger der Bastard sein, als der er Zeit seines Lebens verachtet wurde, oder erkennt er, dass genau das ihn immer ausgemacht und ausgezeichnet hat? Für den Zuschauer ist die Situation eindeutig. Für von Kahlen nicht. Und das lässt „King’s Land“, entstanden als Koproduktion mit Fabian Gasmia von der deutschen Zentropa, in den letzten Minuten von einem sehr guten zu einem fabelhaften Film werden, der auf der Haut prickelt wie die garstigen Windböen Jütlands. 

Thomas Schultze