Intensives Drama von Eva Trobisch über eine Palliativpflegerin, die von einer befreundeten Patientin auf die ultimative Probe gestellt wird.
FAST FACTS:
• Weltpremiere auf der Berlinale
• Bester Film beim 37. Bolzano Film Festival Bozen
• Evas Trobischs Nachfolgefilm ihres gefeierten Debüts „Alles ist gut“ von 2018
• Die Regisseurin ist aktuell eines der Gesichter der aktuellen „Face to Face“-Kampagne von German Films
CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 104 Minuten; Regie & Drehbuch: Eva Trobisch; Besetzung: Minna Wündrich, Pia Herzegger, Lukas Turtur, Lilli Lacher, Pierre Siegenthaler, Leopold von Verschuer; Verleih: Piffl Medien; Start: 20. Juni 2024
REVIEW:
Es ist nichts Neues, dass Filme über das Sterben sich ganz besonders ans Leben klammern. Mit der Sterblichkeit konfrontiert, wirkt das Dasein kostbarer denn je. Das gilt umso mehr für „Ivo“, den ersten Kinofilm, den Eva Trobisch fertigstellen konnte, seitdem sie 2018 mit ihrem Debüt und Studienabschlussfilm „Alles ist gut“ einen so enormen, auch international gefeierten Aufschlag hatte, Förderpreis Neuer Deutscher Film für die beste Regie und die beste Schauspielerin beim Filmfest München, Darstellerinnenpreis für Aenne Schwarz in Marrakesch, Einladungen nach Locarno, Hof, Macao, Stockholm und und und. Dass Trobischs Momentum danach von Corona ausgebremst wurde, ein größeres Folgeprojekt danach nicht die nötige Fahrt aufnehmen konnte, ist der Grund, warum sich die 40-jährige Filmemacherin jetzt mit einer kleineren Produktion zurückmeldet, die indes keine Petitesse ist, keine Kleinigkeit. Sondern ein Ausrufezeichen, dass sie eine wichtige und gewichtige Stimme ist im deutschen Filmschaffen.
Also „Ivo“. Weltpremiere auf der Berlinale, in Bozen gerade als bester Film ausgezeichnet, am 5. Mai bei Crossing Europe zu sehen. Ein besonderer Film, der fast dokumentarisch wirkt, berichterstattend distanziert und doch so empathisch und mitfühlend. Da ist eine Wärme, die in der Offenheit steckt, mit der Eva Trobisch ihrer Titelheldin folgt und oft einfach nur neugierig zusieht, wie sie mit anderen Menschen umgeht und was das mit ihr macht, eine Frau um die 40, die für ihre Arbeit lebt, auch wenn dadurch nicht Zeit bleibt für die Familie – den Ehemann und insbesondere die jugendliche Tochter, die im Grunde ohnehin nur immer via Mobilgeräten mit ihrem Freund in den USA kommuniziert. Abstand ist irgendwie immer, scheint es. In manchen Momenten ist es gut, dass es ihn gibt. Manchmal aber auch nicht.
Ambulante Palliativpflegerin ist Ivo. Das ist nicht der Beruf, aus dem glamouröse Kinoträume gemacht sind. Man hat nicht darauf gewartet, dieser Frau durch runde 100 Minuten Film zu folgen. Anfangs tut man es auch nur widerwillig: Die Kulissen sind real, die Menschen wirken echt, sind es zum Teil auch, angefangen von dem Palliativarzt Johann Campean, Vater von Kameramann Adrian Campean, der zusammen mit einigen Kollegen einen Verbund von Einrichtungen der „Spezialisierten Ambulanten Palliativen Versorgung“ (SAPV) gegründet und mehrere Hospize mit aufgebaut hat, hin zu allen anderen, die man vor der Kamera ihre Berufe ausüben sieht – die Patienten wurden von Schauspieler:innen dargestellt, beruhen aber auf realen Figuren. Der Realismus des Films ist erstaunlich. Ebenso erstaunlich ist Ivo, dargestellt von der wunderbaren Minna Wündrich, die eine echte Entdeckung ist in der Rolle: eine Frau, deren Wesen und Charakter sich nicht in einem knappen Satz zusammenfassen lassen, die so schwierig und vielfältig und widersprüchlich ist wie die Welt, in der „Ivo“ spielt, die sich vor allem nicht anbiedert oder um Sympathie buhlt.
Wenn sie ihren Job macht, in ihrem ramponierten Skoda von Termin zu Termin fährt, ist Ivo keine Belastung zu groß. Sie ist professionell, umsichtig, einfühlsam, im Grunde immer im Einsatz. Zuhause ist sie eine Leerstelle bei Mann und Tochter. Abends lässt sie sich gehen, treiben, will sich verlieren, sucht das schnelle Abenteuer. Und dann ist da ihre Affäre mit Franz, die leidenschaftlich ist, innig. Franz ist der Mann von Solveigh. Solveigh ist eine gute Freundin von Ivo. Und obendrein eine Patientin, die nur noch wenige Monate zu leben hat. Ihr zusehender Verfall ist eine durchgängige Konstante: Pia Hierzegger spielt die sterbende Frau ohne Manierismen. Mit wenigen Blicken kommuniziert sie die gesamte Verzweiflung der ausweglosen Situation, vermittelt auch, dass die Sterbebegleiter eben genau das sind und nicht mehr: Sie begleiten, vermitteln, trösten, machen die Dinge leichter. Als Solveigh dann Ivo fragt, ob sie bereit wäre, ihr beim Sterben zu helfen, überschreitet sie genau die vorgezeichnete Linie.
In der Stille und der Genauigkeit liegt die Kraft von „Ivo“. Das hat etwas Aufrechtes, ja Heldenhaftes, weil Eva Trobisch und ihr Filmteam (Schnitt: Laura Lauzemis, Musik: Martin Hossbach) den nicht immer einfachen Situationen selbstbewusst und sachlich begegnen und damit erträglich machen für ein Kinopublikum, ohne Abstriche zu machen oder die Gemengelage herunterzuspielen. So gelingt das Kunststück, „Ivo“ einen Film über das Sterben und den Umgang mit dem Tod sein zu lassen, aber dabei immer vom Leben zu erzählen und wie man es vielleicht meistern kann.
Thomas Schultze