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REVIEW KINO: „In the Lost Lands”


Bildgewaltiger Postapokalypse-Western nach Kurzgeschichtenvorlage von George R.R. Martin über eine Hexe und einen Revolverhelden, die gemeinsam losziehen, um einen sagenumwobenen Werwolf zur Strecke zu bringen.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland, USA, Polen 2025; Laufzeit: 101 Minuten; Regie: Paul W.S. Anderson; Drehbuch: Constantin Werner, Paul W.S. Anderson; Besetzung: Milla Jovovich, Dave Bautista, Arly Jover, Amara Okereke, Fraser James, Simon Lööf; Verleih: Constantin Film, Start: 6. März 2025

REVIEW:
Der Glaube von Paul W.S. Anderson an wundersame Filmwelten, hervorgezaubert durch die neuesten technologischen Toolboxes, die Filmemachern brandaktuell zur Verfügung stehen, immer am sogenannten Cutting-Edge, ist ungebrochen. 31 Jahre nach seinem Debüt „Shopping“, damals schon mit seinem ewigen Produzentenfreund Jeremy Bolt entstanden, ist der in wenigen Tagen (Stichtag: 4. März) 60 Jahre alte Brite immer noch der sprichwörtliche Junge im Spielzeugladen, der sein Glück nicht fassen kann, jahrein jahraus mit dem tollsten neuen Spielzeug spielen zu dürfen. Und der als ultimativer Fanboy getragen wird von seiner stets eigenen Woge der Begeisterung: Wenn ich es super finde, muss es allen anderen auch so gehen. Das gibt all seinen Filmen etwas entwaffnend Mitreißendes und Berauschendes, seien es die „Resident Evil“-Filme, die er ab 2002 in seither anhaltender Partnerschaft mit Constantin Film zum Milliardengeschäft hatte werden lassen, seine 3D-Neu-Interpretation von „Die drei Musketiere“ oder zuletzt die Capcom-Adaption „Monster Hunter“, die alle Insignien eines globalen Hits trug, aber auf dem Höhepunkt der Corona-Angst um die Zukunft des Kinos kommerziell unter die Räder geriet. Stets weiß Anderson seine Frau und Muse Milla Jovovich als zu jedem Glaubenssprung und Legkick bereite Amazone an seiner Seite, die Marlene Dietrich zu seinem Josef von Sternberg, jeder neue Film ein weiterer ganz persönlicher Loveletter von Regisseur an seinen Star: Liebe Milla, keine und keiner tritt Ärsche so wie du… 

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Milla Jovovich und Dave Bautista in Paul W.S. Andersons „In the Lost Lands“ (Credit: Constantin Film)

Das ist auch in „In the Lost Lands“ nicht anders, Andersons erster Film seit vier Jahren, eine von dem deutschen Autor und Produzent Constantin Werner (keine Verwandtschaft zu der deutschen Produktionsgesellschaft hinter dem Film) angeschobene Verfilmung einer postapokalyptischen Kurzgeschichte von „Game of Thrones“-Impresario George R.R. Martin, die indes keine Neuerfindung, sondern eine konsequente Fortführung des bisherigen Schaffens ist. Paul W.S. Anderson ist nicht Paul Thomas Anderson und will es auch nicht sein. Seine Filme sind nicht Shakespeare. Und wenn er Shakespeare verfilmen würde, fände er Wege, dem Barden jeglichen Tiefgang auszutreiben, ihn dafür aber einfach irre aussehen zu lassen. Der Nährwert auch dieser neuen Phantasmagorie geht gegen Null, man erfährt garantiert NICHTS über das Wesen des Menschseins, erhält ZERO Einblick in die Psychologie der Figuren. Aber hey, es ist ein Ritt! Und er sieht aus wie nichts, was man jemals gesehen hat, for better or worse.

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Milla Jovovich und Dave Bautista in „In the Lost Lands“ von Paul W.S. Anderson (Credit: Constantin Film)

Rein atmosphärisch und visuell markiert „In the Lost Lands“ eine Kehrtwende zu „Monster Hunter“. Wenn man von einem entschlossenen Gegenentwurf spräche, läge man nicht falsch. Den expansiven, oft sonnengetränkten Sets an realen Locations des Vorgängers stehen hier radikal farbentsättigte Bilderwelten entgegen, die Gemälden von Bosch und Breughel nachempfunden scheinen: eine surreale Vorhölle, geprägt von extremen Kamerawinkeln und eigenwilligen Close-Ups, die die geneigte Zuschauerschaft entführen in eine Welt nach dem Untergang, wo sich die wenigen Überlebenden in der City Under the Mountain versammelt haben. Außerhalb sind die Lost Lands, ein endloses Ödland voller todbringender Gefahren, zu denen nicht zuletzt ein mythischer Werwolf gehört, der sich seine Opfer sucht, um den Skull River mit dem zu füllen, was ihm seinen Namen gegeben hat. Wenn man ihn dann einmal sieht, sieht er beeindruckend aus. Wie alles beeindruckend ist, was das Team um Szenenbildner Lukasz Trczinski – der Film wurde komplett auf Studiobühnen in Krakau gedreht – auf die Beine gestellt hat, auch wenn der mit Hilfe einer eigentlich nur für Games verwendeten Unreal Engine auf revolutionäre Weise gedrehte Film mit seinem unwirklichen Look sich wenig Zeit nimmt, das Publikum richtig staunen zu lassen. 

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Dave Bautista in „In the Lost Lands“ von Paul W.S. Anderson (Credit: Constantin Film)

Auf dieser Bühne – und tatsächlich wirken viele Szenen, als würden die Schauspieler:innen auf einer Theaterbühne stehen – entfesseln Paul W.S. Anderson und sein getreuer Kameravasall Glen MacPhersoneinen schmutzigen Western, in dem die stets von den Autoritäten (Arly Jover als religiöse Eiferin im Look der Falconetti) gejagte Hexe Gray Alys – Jovovich – sich mit dem von David Bautista mit viel Spaß am Eastwood-Sein gespielten Gunslinger Boyce den Weg durch die verlorenen Landschaften bahnen müssen, um besagten Werwolf zur Strecke zu bringen. Denn Gray Alys hat die Gabe, jeden Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen, auch wenn sie die Wünschenden jedes Mal aufs Neue warnt, man solle stets vorsichtig sein, was man sich da wünscht. Hier ist sie im Auftrag der unglücklichen Königin unterwegs, die sich ihr Liebesglück erfüllen lassen will, indem sie mit der abgezogenen Haut des Werwolfs zu einer Gestaltenwandlerin wird, hat aber gleichzeitig auch den Wunsch des unglücklich in die Königin verliebten Kapitäns der Überwache angenommen, genau diese Mission scheitern zu lassen. Wie das funktionieren soll, wie Alys diesen Kreis eckig kriegen will, nimmt sie als persönliches Geheimnis mit auf die Reise auf Leben und Tod. 

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Milla Jovovich und Dave Bautista in „In the Lost Lands“ von Paul W.S. Anderson (Credit: Constantin Film)

Das klingt allemal komplizierter, als es der Film schließlich ist. Es dauert eine Weile, bis „In the Lost Lands“ nach seinem etwas abrupten Einstieg Tritt findet. Nicht selten hat man den Eindruck, dass sich der Regisseur mit seiner offenkundigen Begeisterung für die Welt, die er vor unseren Augen entstehen lässt, im Weg steht. Aber dann muss man einfach nur feststellen: Hey, es ist ein Film von Paul W.S. Anderson! Wann hätte er sich jemals um elegante Erzählung oder inhaltliche Kohärenz geschert? Gerade erst habe ich den Ausdruck „Leanback-Experience“ gelernt: „In the Lost Lands“ ist eine solche Leanback-Experience. Zurücklehnen, zuschauen, staunen und sich mitnehmen lassen auf diesen Trip, als hätte sich Anderson von Jodorowskys „El Topo“ inspirieren lassen, wenn die beiden buchstäblichen Einzelgänger mit ihren nifty gadgets (die Flinte mit den zweiköpfigen Schlangen!) losziehen und beim Meistern unerhörter Gefahren romantische Gefühle füreinander entwickeln, ob sie nun in einer Gondel zwischen zwei Berggipfeln kämpfen oder am Schluss am Skull River eine überraschende Entdeckung machen. „In the Lost Lands“ ist Paul W.S. Anderson in Reinform, ein filmischer Wahnsinn. Wie kann man das als Fan puren Kinos nicht lieben?

Thomas Schultze