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REVIEW KINO: „Hundreds of Beavers“

Schwer in Worte zu fassender Do-It-Yourself-Wahnsinn über einen Trapper, der möglichst viele Biber töten muss, um die Gunst seiner Geliebten zu gewinnen. 

CREDITS: 
O-Titel: Hundreds of Beavers; Land/Jahr: USA 2024; Laufzeit: 108 Minuten; Drehbuch: Mike Cheslik, Ryland Brickson Cole Tews; Regie: Mike Cheslik; Besetzung: Ryland Brickson Cole Tews, Olivia Graves, Wes Tank, Doug Mancheski, Luis Rico; Verleih: Lighthouse Entertainment; Start: 13. Februar 2025

REVIEW:
Seit „Blair Witch Project“ hat wohl kein DIY-Movie mehr für annähernd so viel Aufregung und anhaltende Begeisterung gesorgt – und das in einer Zeit, in der theoretisch jeder Teenager mit dem Smartphone und etwas Hilfe von YouTube-Tutorials einen Blockbuster produzieren könnte. Nachdem Mike Cheslik und Ryland Brickson Cole Tews 2018 die schwarzweiße Horror-Farce „Lake Michigan Monster“ ins Festivalrennen schickten, haben sie nun erneut in Eigenregie aus einer am Tresen entwickelten Schnapsidee ein Independent-Kunstwerk geschaffen, das mit nichts und doch mit allem vergleichbar ist, was man in den letzten hundert Jahren im Kino oder auf der Spielkonsole gesehen hat. Nichts ist unmöglich in der grenzenlosen Fantasiewelt der ehemaligen High-School-Freunde, nicht einmal der finanzielle Erfolg: Ihr aktueller Geniestreich hat bereits ungefähr das Vierfache seines Budgets eingespielt.

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„Hundreds of Beavers“ (Credit: © 2025 Sabljak Ravenwood Hogerton)

Gedreht während der Corona-Pandemie bei Minustemperaturen im verschneiten Wisconsin, mit einer sechsköpfigen Crew und einem Budget von rund 150.000 US-Dollar, fertiggestellt in einer zweijährigen Postproduktionsphase, in der VFX-Aufnahmen am Heimcomputer hinzugefügt wurden, feierte „Hundreds of Beavers“ seine virtuelle Premiere beim texanischen Fantastic Fest, gewann auf der anschließenden Festivaltournee zahlreiche Auszeichnungen und eroberte die Herzen der Kritiker rund um den Globus. Im vergangenen Jahr übernahmen Cheslik und Tews auch den Vertrieb des Projekts, das für kommerzielle Verleiher vielleicht zu schräg oder zu speziell ist, aber dennoch auf die große Leinwand gehört. Es ist ein Film, der mit einem möglichst (sorry) breiten Publikum gemeinsam erlebt werden will, der allein bei nüchterner Betrachtung dagegen etwas Geduld und Anstrengung erfordert. Das Drehbuch hat außer einer Menge „Hmphs“ und anderen Comic-Lauten keinen Dialog, ignoriert Timing, Spannungsbögen und narrative Zweckmäßigkeit, lässt dem verblüffenden Effekt den Vortritt, den die Filmemacher allein mit einer Handvoll Ganzkörperkostüme, gehäkelten oder geschnitzten Requisiten, Drohnenaufnahmen, Archivfotos, Library Music und einigen Litern Applejack erzielen.

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„Hundreds of Beavers“ (Credit: © 2025 Sabljak Ravenwood Hogerton)

Damit lässt sich die Story nicht unbedingt auf einem Bierdeckel zusammenfassen. Es gibt einen Musical-Prolog, der die Geschichte der Applejack-Herstellung besingt, die den Schnapsbrenner Jean Kayak, gespielt von Tews, Anfang des 19. Jahrhunderts zum reichen Mann macht, bis Biber am Fundament seiner Fässer nagen und auch gleich die ganze Apfelplantage zerstören. Abgebrannt und auf sich allein gestellt, taucht Kayak wie Robert Redford in „Jeremiah Johnson“ oder Leonardo di Caprio in „The Revenant“ in tiefster, schneebedeckter Wildnis wieder auf. Er ist zunächst eine Weile damit beschäftigt, seinen Hunger zu stillen und einen Hasen zu jagen, von dem er gedemütigt wird wie Elmar Fudd von Bugs Bunny. Er stürzt sich auf alles, was sich bewegt oder vor seinen Augen in ein Pizza Slice verwandelt, erlebt die vielfältigen Gefahren der Natur (Eiszapfen, Disteln, Spechte, Erdlöcher) am eigenen Leib, stößt irgendwann auf die Hütte eines Waren- und Fellhändlers (Doug Mancheski) und verguckt sich in dessen liebliche Tochter (Olivia Graves), eine Kürschnerin, die in einer denkwürdigen Plüschtier-Splatter-Szene ein Biberkostüm ausweidet. Um sich die Gunst des Vaters zu erkaufen, heuert er bei einem Pelzjäger (Wes Tank) an, womit das erste Kapitel bzw. der Looney-Tunes-inspirierte Vorfilm endet und nach 30 Minuten das eigentliche Abenteuer beginnt. 

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„Hundreds of Beavers“ (Credit: © 2025 Sabljak Ravenwood Hogerton)

Weil sein Lehrmeister und sein gesamtes Schlittenhundeteam nacheinander von Wölfen gefressen werden, muss Kayak die Regeln des Spiels neu erfinden. Er tappt wiederholt in seine eigenen Fallen, erzielt Erfolge nur dann, wenn er deren Mechanik falsch bedient, da alle Biber, Stinktiere, Waschbären und Kaninchen schneller lernen als er selbst. Wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ folgt er dem Trial-and-Error-Prinzip, anders gesagt der Logik eines Strategie-Games, erarbeitet sich eine „Trapline“ mit dem Design von „Super Mario World“, schleppt immer mehr tote Tiere ab, während oben rechts im Bild Münzen und Punkte gezählt werden, denn es geht ihm nicht um das eigene Überleben, sondern um den Erwerb immer besserer Ausrüstung und Waffen – this is America. Bis er den Score für das nächste Level erreicht, bei dem ihm die Hand der Angebeteten winkt, wenn er es schafft, ihrem Vater die titelgebende Summe an Bibern zu liefern. Dies führt zu einer „Final Destination“-mäßigen Tötungsserie, bei der Kayak eine unendliche Reihe brutaler Kill-Techniken einfallen, nichtsdestotrotz muss er schließlich in einem von Bibern errichteten Sägewerk, dessen Architektur ebenso an „Moderne Zeiten“ wie an ein Jump’n’Run-Game erinnert, dann doch um sein Leben hüpfen.

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„Hundreds of Beavers“ (Credit: © 2025 Sabljak Ravenwood Hogerton)

Da Biber über äußerst fortschrittliche Technologien verfügen, sogar im Begriff sind, ein Raumschiff zu starten, und Kayak auf Schritt und Tritt von Sherlock-Holmes- und Watson-Biber verfolgt wird, landet er vor einem Biber-Tribunal und wird des Massenmords angeklagt. Das Finale gipfelt in einer Saloon-Schlägerei, deren Vorbilder vielleicht in Mel Brooks’ „Der wilde wilde Westen“ zu finden sind. Damit ist nur ansatzweise beschrieben, was sonst noch vor sich geht, es ist hinreißend, beeindruckend, urkomisch und irritierend wie ein Monty-Python-Sketch in Endlosschleife, ein 108-minütiger Biber-Witz, der sich nicht für die Pointe interessiert, sondern nur für die Mechanik und die Steigerung, wofür alle zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt werden wie in einer Hommage an die Filme von Buster Keaton und die Ursprünge des modernen Actionkinos. Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, dass „Hundreds of Beavers“ ein Werk ist, das durch Einschränkungen entstanden ist. Es ist in jeder abgedrehten Sekunde genau das, was es sein will, ist nur in diesem verrückten Rahmen, nur in genau dieser frei erfundenen Form möglich. Eine wahnwitzige Idee, die unübersehbar einer reinen, aufrichtigen Liebe zum Kino entsprungen ist, und genau deshalb genau dorthin gehört.

Corinna Götz