Erster „John Wick“-Kino-Spinoff mit Ana de Armas als Killerin der Ruska Roma, die auf den Mörder ihres Vaters Jagd macht.
FAST FACTS:
• Erster Kino-Spinoff aus der Welt des „John Wick“-Erfolgsfranchise
• Ana de Armas als Titelheldin in der Tradition der Rolle, die sie in „Keine Zeit zu sterben“ gespielt hat
• Keanu Reeves schaut auf einen ausgedehnten Gastauftritt vorbei
• Inszenierung von „Underworld“-Regisseur Len Wiseman, mit Unterstützung von „Wick“-Mastermind Chad Stahelski
• Etwa 4,5 Mio. Tickets für die bisherigen „John Wick“-Filme; Teil 4 allein mit 1,73 Mio. Tickets
• Deutschlandpremiere am 26. Mai im Zoopalast Berlin
CREDITS:
Land / Jahr: USA 2025; Laufzeit: 125 Minuten; Regie: Len Wiseman; Drehbuch: Shay Hatten; Besetzung: Ana de Armas, Keanu Reeves, Gabriel Byrne, Catalina Sandino Moreno, Ian McShane, Anjelica Huston, Norman Reedus, Lance Reddick, Robert Maaser; Verleih: LEONINE Studios; Start: 5. Juni 2025
REVIEW:
Du kämpfst wie ein Mädchen. Wird gemeinhin mit der Abschätzigkeit gesagt, als würde man vor jemand ausspucken. „Ballerina“ (das anstrengende „From the World of John Wick“ vorneweg darf sich jeder mitdenken) stellt es auf den Kopf, spuckt selbst aus und macht es zur Kampfansage: Du MUSST kämpfen wie ein Mädchen! Wird Eve und den anderen im Werden begriffenen Ballerinas explizit eingetrichtert bei ihrer Ausbildung bei den Ruska Roma, eine der mysteriösen und besonders brutalen Verbrecherorganisationen, die die, äh, Welt von John Wick bevölkern. Spielerisch, wie so vieles wie in diesem Film, nimmt man damit auch die Absurdität zur Kenntnis, wie es einer 50 Kilo leichten, zierlichen Frau gelingen soll, und mag sie auch noch so gut in Muay Thai und Krav Maga ausgebildet sein, muskelbepackten Zwei-Meter-Schränken den Arsch zu versohlen. Indem sie wie ein Mädchen kämpft eben. Mit der Wut im Bauch, die einen befeuert, wenn man in einem nach Männerschweiß riechenden System konsequent kleingemacht wurde. Mit den Waffen einer Frau, die zum Einsatz kommen, wenn sie die Krallen ausfährt. Eine Ballerina muss schmutzig kämpfen, hinterhältig, gemein, die Weichteile immer als ultimatives Ziel.
Und keine kämpft schmutziger, hinterhältiger, gemeiner und mit mehr Wut im Bauch als Eve, perfekt und auf den Punkt gespielt von Ana de Armas, in einer Verlängerung der Rolle, mit der sie „Keine Zeit zu sterben“ die besten Momente geschenkt hatte, als rechtmäßige Epigonin von Anne Parillaud aus Luc Bessons „Nikita“, die hier in einem wissenden Cameo einen kleinen Gastauftritt hat als Concierge in der Prager Dependance des Continental Hotels, Rückzugsgebiet und Niemandsland für die vielen sich bekriegenden Fraktionen von Auftragskillern. Es ist ein simpler und naheliegender, aber deshalb nicht minder genialischer Kniff, der „Ballerina“ sein Zentrum finden lässt, ihn einerseits verankert in der, äh, Welt von John Wick, aber doch ein eigenes Look & Feel finden lässt: Auch der Film kämpft wie ein Mädchen, als hätte er nichts zu verlieren in diesem ganz eigenen Universum, erdacht und erschaffen von Chad Stahelski und Derek Kolstadt, die Apotheose der Prämisse von „Kill Bill“: Die Auftragskiller sind nicht unter uns, nicht neben uns, nicht an unserer Seite, sie SIND uns, SIND die Welt, sind reglementiert nicht durch Gesetze und Polizei, sondern agieren nach einem eigenen strengen Regelwerk und Ehrenkodex. Nach vier sukzessive wachsend erfolgreichen Filmen mit Keanu Reeves im Mittelpunkt als wortkarges Stehaufmännchen, der Buster Keaton des Heroic Bloodshed, breiten die Macher die Schwingen aus und erweitern die Kampfzone nun erstmals im Kino, nach einem eher misslungenen Versuch, es mit „The Continental“ bereits im Serienbereich bei Prime zu tun.
„Ballerina“ ist ein aus Mühen geborener Film. Bereits Ende 2022 gedreht und ursprünglich für einen ohnehin schon späten Sommerstart 2024 geplant, wurde das von „Underworld“-Regisseur Len Wiseman betreute Dauerfeuerwerk noch einmal um ein ganzes Jahr verschoben, um die vermeintlich problematische Produktion mit extensiven Nachdrehs, dem Vernehmen nach unter Aufsicht von Wick-Mastermind Stahelski, zu dem Schlachtschiff zu machen, das Lionsgate den erwünschten Erfolg beschert, aber eben auch mit den vier Filmen davor mithält und idealerweise der Startschuss für ein eigenes Franchise ist. Man sieht dem Ergebnis das Ringen an. Aus einem Guss ist etwas anderes. Und nicht jede Entscheidung diente der Optimierung. Gerade das hinzugefügte Intro mit Eve als Mädchen, die mitansehen muss, wie der Vater von den Schergen des von Gabriel Byrne gespielten Bösewichts Der Kanzler nach heroischem Kampf getötet wird, sie jedoch von Continental-Manager Winston (würde die Rolle auch mit auf den Rücken gebundenen Händen überzeugend spielen: Ian McShane) gerettet und in die Obhut der Ruska Roma übergeben wird, soll die emotionale Beteiligung stärken, lässt einen aber schon einmal auf die Uhr gucken, bevor es richtig angefangen hat. Und dass ein Star wie Norman Reedus wirklich über der gestrichelten Linie unterzeichnet hat, um dann nur fünf Minuten eher en passant aufzutreten, ist eher unwahrscheinlich. Man will nicht wissen, was auf dem Boden des Schneideraums gelandet ist.
Es ist also kein perfekter Film geworden. Geschenkt. Weil es ein effektiver und unterhaltsamer Film geworden ist. Das zählt. Schon bei „John Wick“ ist die Handlung, sieht man einmal von dem großartigen vierten Teil ab, mehr als ein Überbau zu verstehen, ein Bindeglied für das, weshalb man das Ticket gelöst hat: Action, wie man sie in dieser Form noch nie gesehen hat. Es spielt keine rechte Rolle, ob man Stückwerk sieht, so lange das Tempo stimmt und die Höhepunkte Schlange stehen und sich anschicken, das gerade Bestaunte noch einmal zu toppen. Sollte sich jemals jemand die Frage gestellt haben, wie David Cronenbergs „Eastern Promises“ aussähe, wenn er die Entscheidung getroffen hätte, es nach dem wahnwitzigen Zweikampf in der Sauna nicht einfach darauf bewenden zu lassen, sondern nach dem Diktum Samuel Fullers („Mit einer Explosion beginnen, dann stetig steigern“) sofort noch einmal draufzupacken (und dann noch einmal und dann noch einmal), dann gibt „Ballerina darauf eine recht zufriedenstellende Antwort. Bei der Suche der Titelheldin durch das winterliche Prag hin zu einer verschlafenen Gemeinde an einem See irgendwo in Österreich nach dem Mann, der ihren Vater auf dem Gewissen hat, steigern sich die Stuntsequenzen förmlich zu Raserei, als hätten Wiseman und Co. ein Musical gedreht, indem unablässiges Pistolenfeuer für den Groove sorgt.
„Lux in tenebris“ hat sich die erwachsene Eve in gotischen Lettern auf die Schultern tätowieren lassen. Ana de Armas ist buchstäblich das Licht im Schatten, wenn der Film in seinem furiosen letzten Drittel förmlich Poesie in Bewegung erreicht in diesem unablässigen Crescendo durch die Luft gewirbelter Körper. Man will seinen Augen nicht so recht trauen, wenn einem Messerkampf (und was sonst noch an Behelfsinstrumenten rumliegt) in einer Wirtsstube mit trällernder Akkordeonmusik im Hintergrund ein ausgedehntes Duell mit Handgranaten folgt und schließlich als Pièce de Résistance ein Zweikampf von Eve mit einem von Robert Maaser aus „Blood & Gold“ gespielten Henchman mit zwei Flammenwerfern folgt. „The 14 Fists of McCluskey“ im Quadrat. Wenn man sich dem Bildergewitter ausliefert und keine Fragen stellt, sondern die Antworten der Stuntmannschaft akzeptiert, ist „Ballerina“ vielleicht ein Werk ohne Anspruch, als im Geiste der Three Stooges und dem bereits erwähnten Buster Keaton für Rambazamba zu sorgen, aber auch ein Genuss ohne Reue in der, äh, Welt von John Wick: Wenn fortan alle Filme kämpfen würden wie ein Mädchen (und Keanu Reeves kurz einmal lässig vorbeischaut, um dem Szenario seinen Segen zu geben), gäbe es von dieser Seite keinen Einspruch.
Thomas Schultze