Neue Live-Action-Verfilmung von Cressida Cowells klassischer Geschichte eines einsamen Wikingerjungen, der in einem Drachen den besten Freund seines Lebens findet.
FAST FACTS:
• Erste Realverfilmung eines Animationserfolgs aus dem Haus DreamWorks Animation
• Wie die Animationsfilme wieder inszeniert von Dean DeBlois
• Die drei „Drachenzähmen“-Animationsfilme haben weltweit 1,6 Mrd. Dollar eingespielt
• Fortsetzung von Universal schon vor Start des Films bestätigt
• Gefeiert bei seinem exklusiven Screening auf der CinemaCon in Las Vegas
CREDITS:
O-Titel: How to Train Your Dragon; Land / Jahr: USA 2025; Laufzeit: 125 Minuten; Regie, Drehbuch: Dean DeBlois; Besetzung: Mason Thames, Nico Parker, Gerard Butler, Nick Frost, Gabriel Howell; Verleih: Universal Pictures International; Start: 12. Juni 2025
REVIEW:
Mehr als ein Jahrzehnt hat Filmemacher Dean DeBlois die Welt von „Drachenzähmen leicht gemacht“ gelebt, gefühlt, geschmeckt, jedes Eck der Wikingerinsel Berk in seinem Kopf erkundet, endlose Gedanken gewälzt, wie all diese verschiedenen Drachen, die den Menschen dort das Leben schwermachen, aussehen könnten. Gemeinsam mit seinem Kreativkollegen Chris Sanders, mit dem zusammen er davor mit „Lilo & Stitch“ bereits eine erste Ode an die Freundschaft zwischen Außenseitern erfunden hatte, erforschte und vermaß er die von Cressida Cowell erfundenen Fantasiewelten in drei immer noch aufwändigeren und prächtigeren Animationsfilmen, von denen zumindest einer von sich in Anspruch nehmen kann, als Klassiker in die Filmgeschichte eingegangen zu sein (sollten Unklarheiten bestehen: Der erste von 2010 ist gemeint). Gemeinsam erschufen sie ein filmisches Universum mit unperfekten Figuren, die einem nähergingen, als es im Computer gepixelte Figuren jemals dürften: der Junge Hicks und sein Drache Ohnezahn, vereint in ihrer Einsamkeit, zwei Außenseiter, die gemeinsam nicht mehr allein sind und alle Hindernisse überwinden können, versinnbildlicht in dem ersten gemeinsamen Flug über die Insel und das Meer, weit über die Wolken hinaus, einer der all-time erhebensten Momente amerikanischen Filmemachens.
Auch in der Realverfilmung 15 Jahre später ist diese Sequenz wieder ein Höhepunkt. Wie auch nicht? Abermals ist es Dean DeBlois, der die kreativen Fäden in der Hand hält und all das gesammelte Wissen über das Drachenzähmen großzügig ausspielt und was sonst noch von elementarer Bedeutung ist, um in dieser unverkennbaren Welt ein Abenteuer zu erzählen, das das ganz große Publikum abholt, Familienunterhaltung transzendiert zu etwas essenziell Menschlichem, grundlegende Dinge in den größten vorstellbaren Kinobildern verhandelt. Stets fühlt man sich in besten Händen beim ersten Realfilm des 55-jährigen Filmemachers, gut aufgehoben. Nie hat man das Gefühl, er könne einen Fehltritt tun, einen falschen Ton anschlagen, die Figuren und deren Geschichte womöglich gar verraten. Noch weniger hat man den Eindruck, einem Versuch beizuwohnen, schnell noch ein paar Öcken zu verdienen mit einer beliebten Marke.
Vielmehr fühlt sich dieser „Drachenzähmen leicht gemacht“, die erste Realverfilmung einer Marke von DreamWorks Animation, die ironischerweise nur wenige Wochen nach der Realverfilmung von „Lilo & Stitch“ folgt (für deren Original Dean DeBlois übrigens wieder die unverkennbare Stimme von Stitch beigesteuert hat) und nicht ganz ein Jahr nach „Der wilde Roboter“, dem überwältigenden Großwerk von DeBlois‘ einstigem Mitstreiter Chris Sanders, an wie eine zweite Chance, eine Gelegenheit, den damals unter großem Zeitdruck entstandenen ersten Animationsfilm des Franchise auf den Prüfstand zu stellen, auf einer größeren Leinwand aufzutragen, Anpassungen und Justierungen vorzunehmen, das Netz weiter auszuwerfen: Was damals großartig war, kann man maximieren. Was damals verpasst wurde oder noch nicht möglich war, kann nachgeholt werden. Am auffälligsten ist das bei der Zeichnung von Astrid, dem Mädchen, für das Hicks schwärmt und die doch unerreichbar scheint für einen so unauffälligen Jungen. In den Animationsfilmen war sie gewiss mehr als Beiwerk, aber jetzt rückt sie, dargestellt von Nico Parker, in eine ebenbürtige Rolle neben Hicks und verändert damit das gesamte Gefüge, die Tonalität der Erzählung, die sich eng am Original orientiert und doch ganz anders und frisch wirkt.
Natürlich geht es wieder um einen missverstandenen Jungen, der es seinem Vater nicht rechtmachen kann, weil er nicht in dessen Fußstapfen treten will. Gerard Butler konnte in einem Besetzungscoup gewonnen werden als Häuptling Haudrauf, nachdem er die Figur bereits in der Originalfassung der Animationsfilme gesprochen hatte, ein polterndes Alphamännchen, hinter dessen ruppigem Auftreten sich eine große Liebe verbirgt, für seinen Sohn und für seine Frau, die vor Jahren bei einem Angriff der Drachen verschleppt wurde und somit Haudraufs ewigen Hass auf die Fabelwesen besiegelt hat. Bei einem nächtlichen Angriff auf das Dorf will sich Hicks beweisen mit einer klug entworfenen Waffe, mit der er tatsächlich einen Nachtschatten verletzt, die seltenste und angeblich gefährlichste Gattung der Drachen. Im Wald will er das Tier ausfindig und ihm den Garaus machen, muss beim vorsichtigen Herantasten allerdings feststellen, dass der vermeintliche Feind ebenso viel Angst vor ihm hat wie er vor ihm.
Die Annäherung der beiden ist der Kern des Films. Der Schlüsselmoment, in dem Hicks sich dem Drachen nähert und dieser sein Gesicht in dessen Hand schmiegt, verfehlt seine Wirkung nicht, im Animationsfilm ebenso wie in der neuen Fassung, Beginn einer Freundschaft und Anfang eines komplizierten Spiels, das Hicks mit den Bewohnern des Dorfes spielen muss, um sie von ihren Vorurteilen und Aberglauben abzubringen. Das erzählt Dean DeBlois feinfühlig und empathisch, aber immer auch mit einer großen Lust, auf den Putz zu hauen, wenn der Augenblick danach verlangt. Unterstützt von Mason Thames, am besten bekannt aus „Black Phone“, in dessen Fortsetzung er ebenfalls vor der Kamera steht, der dem Hicks aus den Animationsfilmen in nichts nachsteht, ist ein rauschartiger Crowdpleaser entstanden, eine Art 2.0-Version des Originalfilms, die erst beim ausgedehnten Showdown übers Ziel hinausschießt, wie schon die Teile 2 und 3 der Animationsfilme dem Irrglauben aufsitzt, dass nur Mehr auch wirklich Mehr ist, und aus den Augen verliert, dass es die kleinen Details sind, die liebevollen Gesten und Ausschmückungen, mit denen er das Publikum gewinnt: Danach redet man nämlich nicht über den riesigen Drachen, der mit gemeinsamen Kräften bezwungen werden muss, sondern über die Berge versetzende Liebe, die Ohnezahn selbstlos und wie selbstverständlich das Leben des Freundes retten lässt, auch wenn er das eigene dabei aufs Spiel setzt.
Thomas Schultze